Attribut-Adverbiale-Bestimmung-Praedikativum

Attribut-Adverbiale-Bestimmung-Praedikativum

Attribut – adverbiale Bestimmung – Praedikativum            – mps –

 

  1. Definitionen:

 

1.) Das Attribut macht eine nähere Bestimmung zu einem Nomen – entweder als

a) adjektivisches Attribut: Dea poenam duram dat oder als

b) Genitiv-Attribut: poena deae dura est.

 

2.) Die adverbiale Bestimmung macht eine nähere Angabe (des Ortes, der Zeit, der Herkunft, des Mittels usw.) zu einem Verb: orator in foro stat (wo ?); quartā horā orationem habet (wann ?); domo venimus (woher ?); magnā voce clamant (womit ?).

 

3.) Das Praedikativum ist von der Wortart her ein Adjektiv (oder auch Substantiv), welches sich auf ein Nomen bezieht (KNG !) und zu diesem eine nähere Angabe macht – Satzteil/Satzglied: Attribut. Zugleich macht es aber auch eine nähere Angabe zu einer Verbform – Satzteil: adverbiale Bestimmung.

Das Praedikativum vereinigt also die Satzteil-/Satzgliedfunktio­nen Attribut und adverbiale Bestimmung miteinander:

 Discipuli defessi e scholā veniuntdie Schüler sind nicht nur müde, sondern kommen auch müde aus der Schule.

 

Beispiele – übersetzen und bitte alle Satzteile (durch Unterstreichen, Einrahmen o.ä.) markieren; kennzeichne jeweils auch die Nomina, welche von den Attributen, und die Verba, welche von den adverbialen Bestim­mungen näher beschrieben werden:

1.) Antiquis temporibus agricolae impii deam Latonam et liberos parvos a bibendo prohibebant. Agricolae irati in stagnum saliebant et saliendo aquam turbabant.

2.) Rustici vici propinqui aquam stagni perturbare volebant; itaque dea irata rusticos in ranas mutabat.

3.) Multitudo civium in foro Romano laeta virtutem egregiam oratoris effert. Attente orationem eius accipit.

4.) Primum senatores multi magnā voce mores bonos temporum antiquorum laudabant. Subito unus oratorum valde ridet.

5.) Pro rostris cives minime attenti partem orationis non audiunt; itaque splendida facta senatoris mortui multis hominibus ignota sunt.

Zu-R-Nickel-Xenophon-Thukydides

Zu-R-Nickel-Xenophon-Thukydides

Rainer Nickel: Der verbannte Stratege – Xenophon und der Tod des Thukydides, Wissenschaftliche Buchgesellschaft (Philipp von Zabern) Darmstadt 2014. 144 S., € 29,95 (ISBN 978-3-8053-4755-6).

Thukydides – als Scriptor rerum Begründer der historischen Monographie, in diesem Falle über den Peloponnesischen Krieg (431-404 v. Chr.) zwischen den Hauptmächten des perikleischen Zeitalters samt ihrer verschiedenen und wechselnden Verbündeten, als Auctor rerum (Sall. Cat. 3, 1 f.) Athener Stratege ebenda bis zu seiner Verbannung im Winter 424/23 nach dem Verlust von Amphipolis im Westen Thrakiens an Sparta (IV 104-06). Und Xenophon von Athen übernimmt in seinen Hellenika den Stab, wo Thukydides abbricht – im Sommer des Jahres 411 nach der Seeschlacht bei Kynossema (‚Hundsgrab‘), einem Vorgebirge am Hellespont.

Nickels (N.) Darstellung kombiniert überliefertes Quellenmaterial – neben den genannten besonders Xenophons „Kriegstagebuch“ Anabasis – mit literarischer Fiktion und rekonstruiert aus historisch Gesichertem und authentisch Plausiblem eine zusammenhängende Erzählung vom Friedensvertrag des Jahres 404 bis zum erfolgreichen Ende des ‚Zugs der Zehntausend‘ an die Schwarzmeerküste 400. Dieses Verfahren stellt N. in die bereits antike, aber auch moderne  (Chr. Meier) historiographische Tradition (S. 7; vgl. Thuk. I 22, 1), und man ist sogleich an zeitgenössische Formen medialer Aufbereitung von historischen Stoffen („History-Doku“) samt ihrem ‚Dreieck‘ aus objektiver Darstellung, Fiktionalität und didaktischer Intention erinnert. Zentrales Thema ist der Tod des Thukydides, für den es belastbare Belege keine, Theorien seit dem Altertum in ganz unterschiedliche Richtungen gibt, was Todesort (Pausanias: Athen, Plutarch: Thrakien) wie -umstände (gewaltsam, Unfall) angeht (S. 19 f.): Didymos (Chalkenteros, 1. Jh. v. Chr.) geht davon aus, daß der aus dem thrakischen Exil nach Athen zurück Berufene in den Wirren der ‚Dreißig‘ erschlagen wurde, und Xenophon (= N.) verwahrt sich, damit Etwas zu tun gehabt zu haben – was ihm L. Canfora (Die verlorene Geschichte des Thukydides) 1990 (orig. Storie di oligarchi 1983) zu unterstellen scheint (S. 68-70; 94) und daraus ein thukydideisch-xenophontisches Geschichts-Triptychon ‚kreieren‘ wird (S. 76-88).

Jedenfalls trifft der eine Generation Jüngere den prominenten Ex-Exilanten auf dem Landgut seines Vaters, freundet sich mit ihm an und erhält Dokumente; danach verliert sich dessen Spur (S. 8). Wenige Jahre später wird Xenophon von seinem Gastfreund Proxenos auf eine ‚Reise‘ zu dem persischen Satrapen Kyros d. J. eingeladen, und der künftige Kriegsberichterstatter könnte (= N.) bei diesem Abenteuer die Spurensuche nach dem Verschollenen im Auge gehabt haben. Diese bleibt letztlich ebenso erfolglos wie zuvor schon seine erklärten Bemühungen, Thukydides vor dem Terror der Dreißig zu schützen, als Kompensation für seine zeitweilige Zusammenarbeit mit ihnen – „fiktiv … nachvollziehbar, aber nicht durch Quellen belegt“, es kann so gewesen sein: „kontrollierte Fantasie“ (S. 7 f.) in der Ich-Erzählung Xenophons, die mit Überliefertem ebenso wie mit literarischen Motiven (Witwe von Ephesos S. 88 f., Kroisos und Kyros d. Gr. 71, 90) verknüpft eine durchgehend lebensnahe und anschauliche Darstellung der Abläufe, aber auch von historischen (Alkibiades S. 23 f., Klearchos 111 f.) wie literarischen (Philoktet S. 44 f., Marsyas 97) Persönlichkeiten ergibt.

Der Erzählreigen beginnt mit der Schleifung der Langen Mauern als Kriegsende, der Einsetzung der Dreißig unter Obhut des Admirals Lysander (und einer spartanischen Besatzung auf der Akropolis), ihren Willkürakten zur Wiederherstellung der „Verfassung der Väter“ sowie dem Konflikt der beiden Wortführer, des radikalen Kritias, Onkel Platons, und des gemäßigten, schließlich unterliegenden Theramenes (S. 11-17). Und hier kommt Xenophon ins Spiel; sein (überlieferter) Werdegang zwischen Athen und Sparta mündet in die Spekulationen um die Todesumstände des Thukydides, an welche und an seine Rolle für die Dreißig der junge Mann sich nun in eigener (= N.) Schilderung erinnert (S. 20 ff.): es ist Kritias, auf dessen Anweisung die Sache erledigt werden soll. Über Sokrates und ‚seine‘ Komödie, die Wolken des Aristophanes, setzen sich diese Ich-Gedanken fort, über die Motive des Kritias und die Gefahr, welche von Hintergrundmaterial und -wissen des Historikers für die Dreißig ausgehe, um zunächst einmal im (gesichert) gemeinsamen geistigen Hintergrund, der Sophistik in Athen zu münden (S. 28 f.). Es ist eine Geschichte in Fortsetzungen, die N. Xenophon über seine Annäherung an Thukydides bis zu ihrem persönlichen Zusammentreffen auf dem väterlichen Gut entwickeln läßt: nach Einlagen über den Parthenon-Fries (= N.) – mit Andeutungen über den Beginn seiner Vereinnahmung als Ephebe durch die Dreißig – und den Epitaphios des Perikles (= Th.) schildert der junge Kavallerist, wie er bei der befohlenen Verhaftung den Plan faßt (S. 34), den Schriftsteller (als Wiedergutmachung, s.o.) zum Verlassen Athens zu überreden, was er – nach einer gründlichen (realen) Beschreibung von Autor und Werk (im Kontrast insbes. zu Herodot) – in ihrer ersten (fiktiven) Begegnung in dessen Stadthaus insoweit erreicht, als Thukydides ungläubig zwar weder zu Kritias mitkommt noch nach Thrakien zurück flieht, aber sich auf das Landgut des ihm von früher bekannten Gryllos einladen läßt, nicht ohne auf sein wertvolles Schriftmaterial zu verweisen (S. 37-41).

Das bietet N. Gelegenheit, den Oikonomikos mit dem Lob des Landlebens in Aristophanes‘ Eirene zu verbinden, um Xenophon auf dieser Folie die Rolle des Vaters und seines Gutshofes in der Anfangsphase des Krieges nachzeichnen und sich selbstkritisch als mutmaßliches Werkzeug des intriganten Kritias gegenüber Thukydides in eine Linie mit Neoptolemos gegenüber dem sophokleischen Philoktet stellen zu lassen (S. 42-45). Auf dem Hof kommt es tatsächlich und doch auch gedacht zugleich zum zweiten-ersten Treffen des jüngeren Historikers mit seinem Vorgänger, die Umstände, die seinerzeit zur Verbannung des Strategen geführt hatten, werden besprochen (S. 48 f.), der Melier-Dialog (V 85-113) angekündigt (S. 50), und hier erhält Xenophon von Thukydides (= N.) den Auftrag, die Unterlagen aus seinem – später in Brand gesetzten (S. 65-67) – Stadthaus zu bergen (S. 61-63), die einen Teil von Canforas (s.o.) Hypothese stützen werden. Daß die ersten beiden Bücher der Hellenika in Stil wie Struktur ausgesprochen thukydideisch seien und möglicherweise auf dessen Material zurückgehen, läßt auch N. gelten (S. 51 f. und noch einmal 100).

Unterdessen ist Thukydides einem zweiten Brief des Kritias gefolgt (S. 52 f., 60, 63), und Xenophon bleibt hin- und hergerissen, ob es sich dabei um eine Schutzmaßnahme des Freundes handelt oder eine Fälschung der ‚Kleonisten‘, oder ob der Historiker, der zuviel weiß, in der immer chaotischeren Endphase der Dreißig beseitigt werden soll. Jedenfalls taucht sein Mentor nicht wieder auf, und Nachforschungen bis nach Thrakien (Amphipolis) ergeben nicht mehr als eine nebulöse Mordtheorie (S. 70). Eher beiläufig bringt Xenophon (= N.), der für sich und Philesia, Thukydides’ Tochter, selbst vom Orakel in Delphi keine Hilfe erwartet, die „Augen und Ohren“ des Großkönigs (Kyr. VIII 2, 10), die persische Geheimpolizei ins Spiel, leitet damit aber zu seinem nächsten großen Abenteuer über: er folgt dem Ruf seines boiotischen Gastfreundes Proxenos (An. II 6, 16-20) nach Sardes an den Hof des jüngeren Kyros (Diog. Laert. II 49 f.). Das Treffen mit seinem Lehrer Sokrates hierzu liefert N. den losen Aufhänger, die Kleinen Schriften Xenophons knapp zu charakterisieren (S. 78 f.), ebenso wie ein Gespräch mit persischen Forschungsreisenden auf der Überfahrt nach Ephesos, den „berühmten Herodot aus Halikarnassos“ vorzustellen (S. 83-85). Diese (= N.) kennen Thukydides und beruhigen Xenophon (S. 86 f.); von seiner Ernennung zum Schreiber durch Kyros (ein idealisierendes Porträt nach An. I 9 bei N., S. 92 f.) verspricht er sich Hilfe bei seinen weiteren Nachforschungen (S. 94).

Nach einem Stimmungsbild (=N.) vor dem Aufbruch von Sardes, insbesondere über die Zusammensetzung des Söldnerheeres aus den vormaligen Gegnern im Peloponnesischen Krieg (S. 95 f.), ist Xenophon mit der angeblichen Strafexpedition südöstlich durch Lydien über den Mäander nach Pisidien wieder ‚bei sich‘, also der Anabasis. In Kolossai komplettieren ein thessalisches Kontingent unter (dem aus Platon bekannten) Menon, im phrygischen Kelainai der aus Sparta verbannte Klearchos (Weitere An. I 1, 9-11 und 2, 9) die (mehr als) ‚Zehntausend‘, und hier gibt der Fluss Marsyas dem Forscher Gelegenheit, auf dessen aus Ovid (Met. VI 382-400 und Fast. VI 692-710) bekannten Namensgeber und seinen unglücklichen Wettstreit mit Apoll hinzuweisen. Unzufriedenheiten der Söldner über das offensichtlich vorgetäuschte Marschziel sowie ausbleibenden Sold finden eine Lösung (An. I 2, 12) im Auftritt der kilikischen Fürstengattin Epyaxa (S. 97 f.) – aber Thukydides rückt auf dem Weg ins Landesinnere immer weiter aus dem Blickfeld (S. 100) und kommt, eingebettet in Charakteristiken von Menon (An. II 6, 21-29 und N. mit Thuk. III 82 f.) und Klearchos (An. II 6, 6-15) sowie die Episode um den persischen Satrapen Orontas (S. 115 f.) oder zwischen der Darstellung des Söldneraufstands in Tarsos (S. 104-06) nach Durchsickern des tatsächlichen Marschziels (An. I 3, 1 f.) und der Übergabeverhandlungen nach Kunaxa (S. 117-19), nur noch punktuell ins Spiel, und das nurmehr zur erinnernden Bestätigung seiner Unauffindbarkeit, wie im Gespräch mit den Händlern aus Abdera (=N., S. 103 f.). „Nachrichten über Thukydides ?“ (S. 112-14) mit – von Xenophon kritisch abgewogenen – Lebenszeichen aus seinen Goldbergwerken in Thrakien oder Feuertod in seinem Athener Haus stellen in der aktuellen Situation schließlich (=N.) das Ende der Recherchen dar. Auf Xenophon warten andere Aufgaben (in denen er Thukydides dann doch noch auf seine Weise ‚findet‘ = N., S. 127): der weitere Fortgang der Anabasis ist bekannt, das Tagebuch liegt vor, und seine spätere (394 v. Chr.) Verbannung aus Athen wegen seiner spartanischen Bande – Koroneia – werden (=N.) eine Wiederaufnahme der Ermittlungen – dann vor Ort – verhindern (vgl. S. 130).

Ein hohes Maß an probabilitas erhält N.s Erzählung durch die konsequente Verzahnung ihrer fiktiven mit den nach Quellenlage abgesicherten Bauteilen: das Eine bedingt, setzt voraus, veranlaßt das Andere et vice versa; quellenmäßig gestützte Sachinformationen werden in die Erzählteile eingebaut (106; 120 f.: N.s Selbstlegitimation des künftigen Generals). Nicht selten wird der lineare Handlungsstrang durch Vorgriffe – wie etwa auf den Tod des Vaters Gryllos (S. 58 f.) bei der zweiten Vorladung des Thukydides – oder Rückblicke – wie auf den Betrug des Menon an Gryllos (S. 101) – aufgelockert, mitunter erläutern kleinere Wiederholungen (S. 97 m. Anm.191; S. 102 m. Anm. 204). Am Ende hat man sich von N. durch einen authentischen Geschehenszusammenhang samt agierenden Personals führen lassen, welcher die Lebenswege zweier nicht eben unbedeutender scriptores ebenso wie actores soweit als möglich miteinander verknüpft.

 

Michael P. Schmude, Boppard

 

aus: FORUM CLASSICUM 57 (2014), S. 171-174.

Zu-J-Fischer-Die-Perserkriege

Zu-J-Fischer-Die-Perserkriege

Josef Fischer: Die Perserkriege. Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Darmstadt 2013. 224 S. EUR 29,90 (ISBN 978-3-534-23973-3). –

Die Auseinandersetzungen zwischen der sich ausdehnenden vorderasiatischen Großmacht und dem Mutterland der griechischen Poleis, der Freiheitskampf der unabhängigen, demokratisch verfaßten Stadtstaaten im Westen gegen die übermächtige Achaimeniden-Despotie aus dem Osten ist bekanntlich das Hauptthema des Geschichtswerks Herodots und von daher Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Gesamt- wie Einzeldarstellungen. Mit seiner neuesten Monographie (nach „Griechische Frühgeschichte“, Darmstadt 2009) möchte Fischer (F.), Althistoriker und Mitarbeiter an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien, dem interessierten Laien einen kompakten Überblick über Hintergründe, Ursachen und Fortgang der Ereignisse geben, welche als „Geburtsstunde Europas“ (in diese Richtung noch die neuere angelsächsische Forschung) möglicherweise überhöht sind, die Dimensionen einer regionalen Abwehr hybrider Expansionsgelüste aber wesentlich sprengen und zu Beginn des 5. Jh. v. Chr. eine Wegmarke in der weiteren historischen Entwicklung des Raumes bilden. Angestrebt ist zugleich mit der Einbettung in ihren kulturgeschichtlichen Kontext eine Einführung in das archaische Griechenland und die persische Kultur, nicht zuletzt um die Sicht auch auf die persische Seite von manchem Vorurteil zu befreien. Großes Gewicht wird dabei den griechisch-römischen Quellen selbst (literarischen wie epigraphischen, in Übersetzung) zugemessen (9). Den derzeitigen Stand der Diskussion bieten ein knapper, aber detaillierter Forschungsbericht (207-209) sowie eine umfangreichere Bibliographie (210-217); ein Personen- und ein geographisches Register beschließen den Band.

Nun stehen hinter dem Begriff „Perserkriege“ viel mehr als nur die gängigen Namen Marathon, Salamis und Plataea mit dem Zeitraum 490-478 v. Chr. – wir sprechen von einer Spanne, welche mit der Einverleibung der Griechenstädte an der Küste des kleinasiatischen Ionien im 6. Jh. v. Chr. beginnt und erst mit dem Alexanderzug und Gaugamela (331 v. Chr.) in umgekehrter Richtung ein Ende findet. Dazwischen liegen bereits griechische Aktivitäten gegen das Perserreich – F. nennt (8) den Attisch-Delischen Seebund im 5. Jh. und spartanische Expeditionen unter Agesilaos zu Beginn des 4. Jh. v. Chr. – sowie die (meist finanzielle) persische Einflußnahme auf die Dauerrivalität zwischen Athen und Sparta. F.s Schwerpunkt liegt auf der ersten Phase der Konflikte um die ionischen Griechen und die Feldzüge der Großkönige Dareios und Xerxes bis ins Jahr 478 v. Chr.

Den Historiker unterscheide vom Dichter eine gesicherte Quellenlage (13-35): neben den hier dominierenden und um 430-425 v. Chr. abgeschlossenen Historien des Herodot aus Halikarnassos kann das Geschichtswerk des Thukydides nur für die griechisch-persischen Beziehungen zur Zeit des Peloponnesischen Krieges herangezogen werden (20). Weitere literarische Quellen (als Historiker neben u.a. Ephoros aus Kyme im 4. Jh. oder Diodorus Siculus im 1. Jh. v. Chr. der Sokratiker Xenophon von Athen sowie in seinen Vitae parallelae der kaiserzeitliche Platoniker Plutarch aus Chaironeia) hängen wesentlich von Herodot ab (bzw. setzen sich mit ihm auseinander); herauszuheben sind allerdings aus anderen Genres die Perser des Tragikers Aischylos (uraufgeführt 472 v. Chr.) über deren Niederlage nach Salamis (27-29) sowie die Preislieder und Epigramme des Simonides von Keos (556-468 v. Chr.) auf die Taten der Griechen (29 f.). Die AT-lichen Nachrichten insbes. um den Älteren Kyros (II.)und das Ende des Babylonischen Exils im Übergang von Chronik zu Esra sind aufgrund ihrer theologischen Ausrichtung von geringem Quellenwert (31).

Das Perserreich (38-60) wird von seinen medischen Anfängen (seit dem 9. Jh.) her und in seinen Auseinandersetzungen mit Assur (614 bzw. Ninive 612 v. Chr.) und Babylon (539 v. Chr.) als letztes der altorientalischen Großreiche behandelt. Recht breiten Raum erhält darin die Auseinandersetzung des Reichsgründers Kyros II. mit dem zunächst benachbarten, westkleinasiatischen Lydien unter Kroisos in der Darstellung von Herodots erstem Buch (40-45, einschließlich der Geschichte vom Ring des Gyges in ihren verschiedenen Versionen), doch ist damit auch der Grund gelegt für den Konflikt mit Hellas in Gestalt der Stadtstaaten Ioniens, die schon der Sohn des Alyattes unterworfen hatte (42, 68). Diese griechischen Auswanderer (61-80) waren in mykenischer Zeit und verstärkt seit dem 11. Jh. v. Chr. („Ionische Wanderung“) vorwiegend aus Messenien und Achaia als Kolonisten nach Kleinasien gekommen und gerieten jetzt unter persische Kontrolle. Eingehend würdigt F. die überragende kulturhistorische Bedeutung der kleinasiatischen Poleis als Begründer der frühgriechischen Dichtung (Epik, Lyrik), Philosophie und Wissenschaft (Ionische Naturspekulation – die Vorsokratik) seit Homer und Kallinos von Ephesos, Thales von Milet und Heraklit (75 ff.) – auch unter fremder Herrschaft.

Die Erhebung einiger dieser Stadtstaaten („Ionischer Aufstand“, 81-104) nimmt ihren Ausgang um 500 v. Chr. in Milet: Anlaß zunächst ein ionisch-persisches Flottenunterfangen zur Einnahme der Kykladeninsel Naxos (mit Zielrichtung bis Euboia), die durch Verrat sabotiert fehlschlägt; tiefere Ursache aber die politischen Spannungen der lokalen Aristokratie mit den von den Persern seit Dareios installierten und abhängigen „Vasallentyrannen“ einerseits, andererseits mit den achaimenidischen Satrapen (85 f.). Die Schlüsselfigur auf griechischer Seite, der Milesier Aristagoras, wendet sich schließlich zuerst – ohne Erfolg – an Sparta (unter Kleomenes), sodann an Athen (Überblick über die archaische Frühgeschichte beider 86-99); der Aufstand wird von einer persischen Flotte 494 v. Chr. vor Milet endgültig niedergeschlagen – die Athener hatten sich bereits nach der ersten Niederlage bei Ephesos (100) zurückgezogen – und die Tyranneis in Demokratien umgewandelt. Nach einer abgebrochenen Expedition des Feldherrn Mardonios über den Hellespont und gescheiterten Bemühungen des Großkönigs Dareios I., Athen (als Strafe für seine Unterstützung des ionischen Aufstandes) und Sparta auf diplomatischem Wege zur Unterwerfung zu bringen, beginnt 491 v. Chr. der erste persische Angriff auf Griechenland (105-126), welcher mit der Niederlage gegen die athenischen Hopliten (detailliert 113-120) unter Kallimachos und dem Jüngeren Miltiades in der Ebene von Marathon endet. Sein Sohn (und Enkel des Älteren Kyros) Xerxes rüstet zum zweiten Zug gegen Griechenland (127-136, detaillierte Zahlen 135), diesmal persönlich und mittels Brücken über den Hellespont (statt mit der Flotte) sowie erneut diplomatisch (144).

Die Zwischenkriegszeit (137-148) bringt Athen innenpolitisch den Ostrakismós und die Dominanz des Themistokles, welcher für den Ausbau der Flotte sowie des Piräus als Kriegshafen sorgt, außenpolitisch den Hellenenbund (146). Mit der Doppelschlacht (480 v. Chr.) an den Thermopylen und am Kap Artemision (Nordspitze Euboias) wird die persische Invasion Mittelgriechenlands Realität und Athen auf Antrag des Themistokles geräumt (149-164), was F. ebenso quellenbasiert (Herodot, Diodor) und in taktischen Details beschreibt wie die folgende Seeschlacht bei Salamis (165-182) und das Ende der persischen Invasion mit der zweifachen Niederlage (479 v. Chr.) von Plataea in Böotien und auf der ionischen Halbinsel Mykale (183 ff.). Der abschließende Sieg des neugegründeten Delisch-Attischen Seebundes am pamphylischen Fluß Eurymedon unter Kimon, dem Sohn des Miltiades, gehört bereits zum „Ausblick“ (198 f.), und mit Zweifeln an „welthistorischen Perspektiven ?“ (200-205) greift F. die oben angedeuteten Einordnungen der Geschehnisse – geistige Freiheit versus theokratische Autorität (Hermann Bengtson) – zu Recht in kritischer Gelassenheit (so auch Christian Meier) auf.

Die in diese elf Kapitel gegliederte Darstellung wird durch nützliche und gut zu überblickende Karten des griechisch-persischen Großraums (10 f.; 36 f.) ebenso wie von Einzelereignissen (84 zum Ionischen Aufstand; 110 zu Marathon; 159 zur Schlacht bei Kap Artemision; 167 zu Salamis) gestützt. Porträtbüsten von Handelnden (112 Miltiades; 148 Themistokles) wie von Darstellenden (15 Herodot; 27 Aischylos), Inschriften (32 Verwaltungstäfelchen; 46 Kyroszylinder; 138 Aristeides-Ostraka), Münzen (55 Dareikos), Reliefs (51 Siegesrelief Dareios‘ I; 150 persische Garde), archäologische Zeugnisse (Gräber 49 Kyros‘ d. Gr. und 128 Dareios‘ I; 121 Grabhügel von Marathon), Keramik (44 Kroisos auf dem Scheiterhaufen; 192 und 198 Überlegenheit der Griechen) und Rekonstruktionsmodelle (143 attische Triere) dienen der Veranschaulichung, durchgängig breit gestreute, ausführliche Quellenzitate (etwa von der Thermopylenschlacht bis zur Evakuierung Athens) der Absicherung des Geschilderten.

Die Betrachtung verfolgt unterschiedliche Richtungen und bietet doch auch im Einzelnen alles Wesentliche; Grundbegriffe werden differenziert und geklärt (62 Ionien; 66 f. Polis – Tyrannos). Das Ergebnis ist eine runde und gut lesbare, bei aller Vielfalt der (von griechischer wie persischer Seite) herangezogenen Quellen und der Vielschichtigkeit der politischen Gesamtthematik übersichtlich strukturierte, einführende Gesamtdarstellung des gewählten Abschnittes aus dieser – nach den homerischen Dichtungen – ersten großen historischen Auseinandersetzung zwischen West und Ost.

                                                                  Michael P. Schmude, Boppard

 

aus: FORUM CLASSICUM 56 (2013), S. 161-163 .

Wortfragen-Satzfragen

Wortfragen-Satzfragen

Wortfragen – Satzfragen                                                           – mps –

 

Wir unterscheiden grundsätzlich zwei Arten von Fragesätzen:

  • Wortfragen – sie werden durch ein Fragewort (Fragepronomen: quis ? = wer ? quantus ? = wie groß ? oder Frageadverb: ubi ? = wo ? quomodo? = wie ?) eingeleitet: hier trägt das Fragewort die Frage

 

– als direkte Frage: Senator in curia interrogat: „Quis fuit ille Iugurtha ? Cur bellum cum Romanis gessit ? Quando a Romanis victus est ?“

Der Senator fragt in der Kurie: „ Wer ist dieser Jugurtha gewesen ? Warum hat er Krieg mit den Römern geführt ? Wann ist er von den Römern besiegt worden?“

 

– als indirekte Frage: Senator in curia interrogat, quis ille Iugurtha fuerit, cur bellum cum Romanis gesserit, quando a Romanis victus sit ?

Der Senator fragt in der Kurie, wer dieser Jugurtha gewesen sei, warum er Krieg mit den Römern geführt habe, wann er von den Römern besiegt worden sei.

 

Als Antwort wird eine Sachinformation auf die Fragen quis ? = wer ? (Person), cur ? = warum ? (Grund), quando ? = wann ? (Zeitpunkt) erwartet. Darum nennt man diese Art von Fragen auch Sachfragen.

 

 

  • Satzfragen – sie werden durch Fragepartikel (nonne ? = etwa nicht ? num ? = etwa ?) eingeleitet: hier trägt der gesamte Satz die Frage

 

  • als direkte Frage: Potuitne servus Marium in domo privata interficere ? Marius ad servum: „ Num audes, manus contra me tollere ? Nonne Minturnenses me incolumem hic servare volunt ?“

Konnte der Sklave Marius in seinem Privathaus töten ? Marius zum Sklaven: “Wagst Du es etwa, die Hände gegen mich zu heben ? Wollen die Minturnenser mich etwa nicht wohlbehalten hier haben ?“

 

  • als indirekte Frage: Cives in foro Romano inter se dicebant, potuissetne servus Marium in domo privata interficere, num ausus esset, manus contra Marium tollere, nonne Minturnenses eum incolumem servare vellent.

Die Bürger auf den Forum Romanum sprachen untereinander, ob der Sklave Marius in seinem Privathaus habe töten können; ob er es etwa gewagt habe, die Hände gegen Marius zu erheben, ob die Minturnenser ihn etwa nicht wohlbehalten hier behalten wollten.

 

Als Antwort wird eine Entscheidung auf die Frage – offen – ? ja ? – nein – ? erwartet. Darum nennt man diese Art von Fragen auch Entscheidungsfragen.

 

 

  • Doppelfragen – sie werden durch die Fragepartikel (utrum – an ? = ob – oder ?) gegliedert: auch hier trägt der gesamte Satz die Frage

 

als direkte Frage: Discipuli magistrum interrogant: „Utrum Sallustius de bello Iugurthino sine ira et studio scripsit an virtutem militum Romanorum laudibus extulit ?“

Die Schüler fragen ihren Lehrer: „Hat Sallust über den Jugurthinischen Krieg ohne Zorn und Eifer (= objektiv) geschrieben, oder hat er die Leistung der römischen Soldaten mit Lobreden in den Himmel gehoben (= übertrieben) ?“

 

Bei der direkten Doppelfrage bleibt utrum unübersetzt, im Deutschen entfällt das ob.

 

– als indirekte Frage: Nescimus, utrum Sallustius de bello Iugurthino sine ira et studio scripserit an virtutem militum Romanorum laudibus extulerit.

Wir wissen nicht, ob Sallust über den Jugurthinischen Krieg ohne Zorn und Eifer (= objektiv) geschrieben hat, oder ob er die Leistung der römischen Soldaten mit Lobreden in den Himmel gehoben (= übertrieben) hat.

 

Als Antwort wird eine der beiden Teilfragen bestätigt.

Zu-H-Baykal-Der-erste-Reporter-Herodot

Zu-H-Baykal-Der-erste-Reporter-Herodot

Hakan Baykal: Der erste Reporter – Herodots Berichte aus aller Welt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft (Primus-Verl.) Darmstadt 2013. 159 S., € 19,90 (ISBN 978-3-86312-040-5).

Um es vorauszuschicken – Hakan Baykal (B.) legt nicht die (wievielte ?) durchgängige wissenschaftliche Monographie über den pater historiae (Cicero) vor, sondern eine geistreich-unterhaltsame wie angenehm lesbare Sammlung journalistischer Essays zu seinem Landsmann und ihm Seelenverwandten, deren Leichtigkeit der Darstellung die Selbstverständlichkeit der gleichsam beiläufig mitgegebenen Einzelinformationen wohl nicht ohne Absicht entspricht.

So zeigt die Einführung in Zeit und Werk (S. 7-14) Herodot als Erzähler von Geschichte wie Fabulierer von Geschichten, als Ethnologen und Geographen, als Biologen und Klimaforscher – als Enzyklopädisten der zu seiner Zeit bekannten Welt und ihrer Phänomene, und immer wieder: ihrer Menschen. Der ‚rote Faden‘, von welchem er ebenso oft ins Anekdotische und Legendenhafte abschweift wie er zu den historischen Fakten zurückkehrt, sind die Auseinandersetzungen zwischen Griechen und dem Perserreich, im Besonderen die Kriege zwischen 490 und 479 v. Chr.

Es ist ein Füllhorn kleiner Einzelbilder, die B. aus ihrer Abfolge im Geschichtswerk seines Kollegen löst und in fünf Themenkreisen – durch Querverweise teils (S. 125, 128, 142, 147) aufeinander bezogen – neu zusammenfaßt, die aber den o.g., weitergehenden Fachgebieten Herodots durchaus angemessen sind: Von Göttern und Menschen (S. 15-48) – Von Völkern und Ländern (S. 49-76) – Von Forschern und Entdeckern (S 77-104) – Vom Feiern und Trauern (S. 105-130) – Von Fürsten und Dienern (S. 131-153). Ein kurzes Verzeichnis allgemeinerer Literatur sozusagen um den Autor herum (S. 159) rundet die bunte Anthologie ab, Textgrundlage ist die Kröner-Übersetzung der Historien von A. Horneffer (Stuttgart 41971). So hören wir von der tranceseligen Reise des Aristeas aus Prokonnesos, Apollons Schamanen (S. 16-21), von der Küste des Marmarameeres ins Innere Asiens, auf der Route einer Seidenstraße, die es (im 7. Jh. v. Chr.) noch lange nicht gab und nahezu 2000 Jahre vor Marco Polo – in der Erzählung des antiken Reporters wie der Machbarkeitsprüfung des modernen, welcher sich hierfür auch auf Fachautoritäten stützt. Geschlechtliche Verbindungen von Mensch und Tier sind auch dem griechischen Mythos nicht fremd, man denke an die kretische Königin Pasiphae und den Minotaurus oder die Spartanerin Leda und ihren Schwan, aber Herodot siedelt seinen ersten Skandal im Rahmen des ägyptischen Logos im östlichen Nildelta an – die Anekdote um den Bock von Mendes (S. 28-33), während eines Aufenthaltes des Autors ebenda und zuvor bereits von Pindar bestätigt, wird aus ägyptologischer und religiöser, aus sexologischer und moderner juristischer Perspektive gedeutet – als Urthema der Menschheit wie auch der Kavallerie des Alten Fritz. Die Beschneidung – nicht Verstümmelung – , von Herodot bei den Ägyptern merklich distanziert beobachtet und mit Hygiene begründet, bei manchen Völkern Aufnahmeritual in die Kriegerklasse, im AT von Jahwe Im Zeichen des Bundes (S. 34-37) als Gesetz schon Abraham aufgegeben, zeigt sich – nicht ohne Schalk beschrieben – über die Verehrung des sanctum praeputium des beschnittenen Messias (Lk) bis in die Neuzeit hinein für B. noch in der tagesaktuellen Diskussion als „gleichsam konstituierendes Element des jüdisch-christlichen Abendlandes“ (S. 35). Rituelle Tötungen, die Herodot den Persern attestiert (S. 38-43 → AT, germanisch-nordische oder mittelamerikanische Praktiken), Tempelprostitution bei den Babyloniern, die er – auch mit einer Prise Süffisanz („Altherrenwitz“) – ausweidet (S. 44-48 → Devadasi in Indien), erweist B. als zeitenübergreifende multikulturelle Phänomene und findet einmal mehr – journalistisch recherchiert – für Beides Beispiele auch im Heute.

Sitten und Bräuche des ägyptischen Pharaonenreiches beschreibt der Ethnograph mittels ihrer völligen Gegensätzlichkeit zu den eigenen, hellenischen Verhältnissen – „Symmetrie im Gegensätzlichen“ als Erzählprinzip (R. Bichler, S. 51), Eigentümliches bis Skurriles, eine Verkehrte Welt (mundus inversus, S. 50-54), die er Mitte des 5. Jh. v. Chr. in Augenschein nimmt, über deren kulturelle Leistungen er seine Leserschaft aber mit Bewunderung und Faszination staunen läßt. Überhaupt ist der antike wie moderne Reporter zum Einen Publizist und Vortragender, welcher sein Publikum finden und unterhalten will, zum Anderen Wissenschaftler und Intellektueller, welcher mit der Darstellung fremdartiger Zustände auch Stellung bezieht zu denen der eigenen Gesellschaft. Und jene findet Herodot bei den barbarischen Völkern am Rande der Oikumene (S. 55-59), das Ideal des ‚edlen Wilden‘ (Aithiopen) ebenso wie eine Rohheit, die sich – abgestuft – vor Allem in Formen von Kannibalismus und sexueller Promiskuität zeige – und für die eigene „Performance“ (B. S. 58) ein dankbares Sujet hergab. Das bedrohliche Eintreten der skythischen Reiternomaden ins Blickfeld der Griechen als Folge einer eurasischen Völkerwanderung im Nordosten, die Diskussion um die kleinasiatische Herkunft der Etrusker im Westen (Herodot – Dionysios von Halikarnaß – Theopomp, S. 60-64), Herodots Unglaube an die Hyperboreer, des Pytheas von Massilia Bericht über Thule im Nordwesten, Platons Atlantis weit westlich der Säulen des Herakles, schließlich die Berührungen Europas mit dem El Dorado im Osten, dem indischen Subkontinent (S. 71-76) umreißen den geographischen Horizont unserer beiden Reporter. B. zeichnet dabei auch das Wiederauftauchen der legendären Inseltrias im Übergang von Renaissance zu Aufklärung nach – mitsamt der kruden Ableitung Nietzsches zu Beginn seines Antichrist und ihrer widerwärtigen Vereinnahmung durch die nationalsozialistische Ariosophie (S. 65-70). Die Landnahme(n) Indiens durch Alexander d. Gr. und römische Händler, über den 2. Kreuzzug (1147-49) und Vasco da Gamas Entdeckung des Seewegs dorthin (1498) bis zum Ende der britischen Kolonialherrschaft 1947 haben den antiken Reporter dann aber bereits weit hinter sich gelassen.

Für den modernen (S. 78-82) sind die Phönizier die ersten und besten unter den Entdeckern zur See: die Expedition im Auftrag des ägyptischen Pharao Necho II (610-594 v. Chr.), nachdem der Durchstich von Rotem ins Mittelmeer gescheitert war und ins 19. Jh. verlegt werden mußte, umschifft laut Herodot Libyen = Afrika Auf großer Fahrt von Osten her, ihre Nachfahren, Punier unter Hanno von Karthago, werden in der Gegenrichtung die Säulen des Herakles hindurch zunächst an Westafrika entlang fahren und immerhin den Golf von Guinea erreichen; auf ihren Landexpeditionen begründen sie Siedlungen und entdecken wilde Völker – Gorillas. Erst Ende 1487 wird mit dem Portugiesen Bartolomëu Diaz wieder ein Seefahrer das Kap der Guten Hoffnung umrunden … An den Quellen des Segens (S. 83-87) spürt die Ursprünge des sagenumwobenen Nil im Gebirge des heutigen Burundi und Ruanda auf – Herodot kommt nur bis zur Insel Elephantine beim ersten Katarakt (und dem modernen Assuan). Die nach Herodot von Pharao Psammetich I im 7. Jh. durch ein Experiment mit Neugeborenen angestoßene und bis heute letztlich erfolglose Suche nach der Ursprache (S. 88-93), die Erfindung der Eisenverhüttung (S. 94-98) im hethitischen Großreich – Herodot führt das Löten von Eisen auf einen Glaukos von Chios (unter dem Lyderkönig Alyattes im 6. Jh. v. Chr.) zurück – , Kryptographie und geheime Botschaften (S. 99-104), ausgehend von Herodots Episode um Histiaios und Aristagoras von Milet als Anstifter des Ionischen Aufstandes und von B. bis ins 20. Jh. weitergeführt, beschließen diesen Reigen von dem Forschergeist antiker wie moderner Zeiten gewidmeten Artikeln, für welche das einleitende Zitat aus den Historien durchweg ‚nur‘ als Ausgangspunkt dient.

Bewußtseinsverändernde Rauschmittel werden von Herodot (Skythen) wie von modernen Konsumenten der Exotik des Nahen und Fernen Orients zugeschrieben, aber B. (S. 106-110) legt ihre lange abendländische Tradition wieder frei. Die bekannte (und sprichwortgebende) Geschichte von der Vertanzten Hochzeit (S. 111-115) am Hofe des Kleisthenes von Sikyon zu Beginn des 6. Jh. v. Chr. gibt B. Gelegenheit zu einer kleinen Kult- und Kulturgeschichte des Tanzes. Und er bleibt weiter im privat-persönlichen Bereich: seinem antiken Kollegen attestiert er eine fast besessene Neugier an zwei gesellschaftlichen Urphänomenen – der Sexualität und dem Umgang mit Tod und Toten, die diesem auch als Gradmesser des Zivilisationsstandes der beschriebenen Völker – sei es der nomadischen Massageten nördlich des Kaspischen Meeres, sei es der bewunderten Ägypter vergleichsweise ‚vor der Haustür‘ – dienen, und speist einmal mehr auch hier Beispiele aus unserer Gegenwart mit ein (S. 116-125). Herausgehoben die Bestattungsriten der Skythen (S. 126-130), Vorboten der ‚Gefahr aus dem Osten‘ kommender Jahrhunderte (Hunnen, Mongolen, Türken), und auch hier wird der detaillierte Autopsie-Bericht (IV 81) des Reporters durch die von B. zitierte moderne Wissenschaft bestätigt – es sind merklich die ethnographischen Partien aus Herodots Geschichtswerk, denen B. mit Vorliebe die Blüten für seinen Kranz entnimmt.

Stärker historisch ausgerichtet der letzte; nur lose an Herodot anknüpfend (S. 132-137) über Formen antiker (namentlich römischer) wie moderner Sklaverei: der sagenhafte Prunk des persischen schahan schah, Organisation und Infrastruktur des Achaimenidenreiches, militärische Rüstung – Hybris am Beginn der Niederlage, bei Kroisos, Xerxes und Reza Pahlevi (S. 138-143). Das wahnsinnige Wüten des Jüngeren Kambyses unter den Einwohnern des ägyptischen Memphis wie in seiner eigenen Familie, nicht – wie Herodot erklärt – aufgrund von Epilepsie (S. 144-147), der aussichtslose Kampf der 300 (tatsächlich etwa 1000) bei den Thermopylen 480 v. Chr., nicht kriegsentscheidend, aber mythenbildend (S. 148-152), zuletzt die Begründung des Kulturkampfes zwischen hellenischem (demokratischem) Okzident und dem (despotischen) Orient der Barbarenvölker (S. 153-157) in den Frauenraub-Sagen durch unseren Reporter aus Halikarnaß sowie seine fragwürdige Stilisierung zum Ost-West-Konflikt in Generationen nach einem Aischylos (Perser) oder Herodot runden die Sammlung ab.

Ein Buch, das man – einmal mit der Lektüre begonnen – nicht ohne Weiteres wieder zur Seite legt: unangestrengt kenntnisreich, auf unterhaltsame Weise historisch, geographisch, ethnologisch informativ, durchgängig auch im Rückgriff auf die fachwissenschaftliche Diskussion – feuilletonistische Essays im besten Sinne, mitunter den Leser direkt ansprechend (S. 75, 104, 120) oder sympathisch Anteil nehmend (S. 41, 70, 121). Eine Werbung für einen antiken Autor, gerichtet zumal an Diejenigen, welche ihn – wie B. (S. 8 f.) – nicht in Schule oder Universität kennenlernen konnten oder wollten.

Michael P. Schmude, Lahnstein

 

aus: FORUM CLASSICUM 57 (2014), S. 78-80.

Zu-M-Bolder-Boos-Ostia-Hafen-Roms

Zu-M-Bolder-Boos-Ostia-Hafen-Roms

Marion Bolder-Boos: Ostia – Der Hafen Roms, Wissenschaftliche Buchgesellschaft (Philipp von Zabern) Darmstadt 2014. 144 S., € 29,95 (ISBN 978-3-8053-4819-5).

Ostia Antica – so die heutige Metro-Station und verbunden über die Via Ostiensis mit dem ewigen Rom, Schulgruppen, Studierenden und Altertumsreisenden aus aller Welt bekannt als Hafen- und Handelsstadt an der Mündung des Tiber ins Tyrrhenische Meer, beginnt seine geschichtliche Karriere als überschaubare Militärsiedlung zur Sicherung des Versorgungsweges zu Wasser im 4. Jh. v. Chr. Seit der Zeit der Auseinandersetzungen mit dem epirotischen König Pyrrhus und im Vorfeld der Punischen Kriege in der 1. Hälfte des 3. Jh. v. Chr. wird es zum Flottenstützpunkt, seit 267 durch einen Quaestor vom Rom aus verwaltet, bevor seine Bedeutung parallel zur Expansion der Republik wächst und es in der Kaiserzeit zu dem Handels- und Kriegshafen wird. Im Mythos Anlegestelle für Aeneas und seine Troianer nach ihrer Odyssee im Mittelmeer, der Legende nach (Liv. 1, 33, 6-9) gegründet von Ancus Marcius, dem vierten König Roms (646-616) als erste Kolonie zum Schutz der von ihm dort angelegten Salinen, ist ein Fischernest Ostia erst ab etwa 335 v. Chr. an dieser Stelle archäologisch (Keramik) belegbar.

Vom (früh-)republikanischen castrum bis zur Aufgabe der veritablen Hafenstadt nach Völkerwanderung und Übergang zum Mittelalter – in diese Stationen teilt Bolder-Boos (B.) ihren „Überblick über die Geschichte Ostias und seiner Bauten“ (S. 7) ein: bereits die älteste Siedlung, von deren Mauern aus Tuffquadern noch einige Stellen erhalten sind, wird durch die beiden Hauptstraßen, den west-östlich in die Via Ostiensis übergehenden Decumanus Maximus sowie den vom Tiberhafen herkommenden und in südöstlicher Richtung in die Via Laurentina (die alte Salzhandelsstraße zum Forum Boarium in Rom) einmündenden Cardo Maximus gegliedert. Der Tuff stammt aus den Steinbrüchen von Fidenae (nördlich von Rom), welches in der 2. Hälfte des 5. Jh. erobert worden war und damit einen terminus post quem für die Gründung dieser frühen Zelle liefert. Stadtpatron war von Beginn an der Schmiedegott Vulcanus, aber auch die Zwillinge Castor und Pollux sind als Schutzgötter der Seefahrt schriftlich bezeugt. Auf ein Kultareal republikanischer Tempel an der Via della Foce (= Via Laurentina westlich der Castrumsmauern) weisen Altarreste aus Tuff, auf einen Jupitertempel am Decumanus spätestens seit dem 3. Jh. v. Chr. Livius (32, 1, 10). Die ersten, mit römischem Bürgerrecht (aber ohne eigenständige Stadtverwaltung) versehenen Einwohner waren Kleinbauern, Handwerker und Fischer mit dem militärischen Auftrag, über die Wasserstraße vor Ort zu wachen (S. 9-15). Der hinzuwachsende Handel sprengt die engen Mauern des (viertorigen) Lagers, die Nekropolen an den Hauptstraßen außerhalb des castrum werden überbaut, merkantile wie sakrale Anlagen entstehen im 2. und 1. Jh. v. Chr.: Ladenzeilen und Werkstätten am Decumanus hinter der Porta Romana, dem Osttor, oder horrea, Speicherbauten (etwa des Hortensius im Osten) mit Kammern, die sich um einen rechteckigen Innenhof reihen, bestimmen zunehmend das Bild Ostias. Am (damaligen) Stadtrand, an einer Nebenstraße südlich des Decumanus, wird das Heiligtum der Bona Dea, der keuschen Frau des Gottes Faunus angelegt, die area sacra (s.o.) um Tempel für Apollo, Aesculap und Hercules erweitert, nördlich zum Tiber hin und vom Decumanus durch eine Reihe von tabernae getrennt das Plateau der ‚vier Tempelchen‘ errichtet (S. 16-30). Diese (und weitere) freilich sind in der Kaiserzeit, namentlich Hadrians, überbaut worden und entziehen sich heutigem ‚Zugriff; das gilt auch für die Wohnhäuser, von denen im Süden auf der Westseite des Cardo noch republikanische Reste mit porticus, tablinum und atrium erkennbar sind.

Nekropolen des 1. Jh. v. Chr. vor der Porta Romana und Laurentina führen zum ersten von fünf lehrreichen Themenkästen (S. 34-36): „Tod und Begräbnis“. Weitere solcher Einführungen behandeln, sinnvoll in den jeweiligen Durchgang eingebettet „Das römische Badewesen“ (S. 60 f.), „Ein Hotel in Ostia“ (S. 95), „Das macellum“ (S. 108) sowie den römischen Mithraskult (S. 122 f.). Nachdem im letzten republikanischen Jahrhundert während der Wirren des Bürgerkrieges Soldaten des Marius 87 die Stadt geplündert, Piraten 69/68 sie überfallen und eine Flotte vernichtet hatten, erhält Ostia eine neue (pseudo-sullanische) Mauer (mit drei Haupttoren), die unter Ciceros Konsulat begonnen, unter seinem Erzfeind Clodius Pulcher 58 v. Chr. aber erst vollendet wird und das gesamte, etwa um das Dreißigfache angewachsene Stadtgebiet umfaßt (S. 32).

In julisch-claudischer Zeit (S. 37-51) kommt es nicht zuletzt unter dem Einfluß des augusteischen Baubooms auf Privatinitiative zu einem jüngeren Bona-Dea-Heiligtum vor der (zur Küste hin) im Westen gelegenen Porta Marina. Augustus‘ Schwiegersohn, Feldherr und Architekt Agrippa stiftet am Ostteil des Decumanus ein Theater und den (nördlich) dahintergelegenen Platz; bis Ende des 2. Jh. stark ausgebaut, wird dieses Ensemble des Teatro und der Piazzale delle Corporazioni eine der augenfälligsten Anlagen Ostias bleiben. Unter Tiberius wird im Zentrum des castrum, an der Kreuzung von (horizontalem) Decumanus und vertikalem Cardo Maximus vor dem alten, an der Nordseite gelegenen Jupiter-Tempel (s.o.), dem Capitolium, das Forum angelegt und an dessen südlichem Ende der Tempel der Roma und des Augustus errichtet. Am Tiberufer nördlich der Via della Foce läßt Claudius einen neuen Flusshafen samt Werft anlegen, an der Küste nordwestlich ein Hafenbecken (mit Leuchtturm und Verbindungskanal) für große Handelsschiffe – Portus Augusti Ostiensis, unter Trajan um ein weiteres Becken erweitert (S. 57). Insbesondere die Versorgung Roms mit Getreide (unter Aufsicht eines praefectus annonae) aus dem westlichen Mittelmeerraum, die Ostia von Puteoli (am Golf von Neapel) nunmehr übernimmt, macht die Anlage großer Speicher (Grandi Horrea flußseits des Decumanus) erforderlich (S. 43 f.). Erste Thermen und ein (von Osten herführender) Aquädukt beleben Mitte des 1. Jh. die Infrastruktur, und eine Synagoge in Küstennähe für die (seit dem 1. Jh. v. Chr. inschriftlich belegte) jüdische Gemeinde spiegelt die Internationalität der Hafenstadt.

Unter den Flaviern (S. 52-70) wird der Platz der Korporationen mit einem zentralen Tempel versehen, das Forum (an der Wende vom 1. zum 2. Jh.) um Curia, Basilika und einen Rundbau (für Vulcanus ?) vergrößert, weitere Thermen im Osten des alten Bona-Dea-Heiligtums sowie außerhalb der Porta Marina (die trajanischen Thermae maritimae) angelegt. Neue Wohnformen bietet das medianum-Appartement, ein rechteckiger, mehrgeschossiger Block mit Wohn- und Schlafeinheiten um einen zentralen Verteilerraum (S. 58 f.). Gewerbebetriebe wie Bäckereien und Walkereien (fullonicae), Vereinshäuser (scholae, so die – allerdings jüngere – Schola del Traiano am westlichen Decumanus Richtung Porta Marina) und Schenken (Caseggiato del Termopolio in der Via di Diana, Anfang 2. Jh. – Caupona di Alexander e Helix am Decumanus hinter der Porta Marina, 3. Jh.) entsprechen den gestiegenen Bedürfnissen der wachsenden Handelsstadt. In hadrianischer Zeit (S. 71-95) erfährt das Forum eine prächtige Ausgestaltung (Neubau des Kapitols), und vor der Porta Marina im Westen entsteht eine Art Neben-Forum (S. 75). Überhaupt erhält Ostia in der Regierungszeit Kaiser Hadrians (117-138) seine reichste Gestalt: um 120 n. Chr. das Peristylhaus dei Triclini östlich des Forum, im Nordwesten den Piccolo Mercato, eine Speicheranlage wie die sich westlich anschließenden, wenige Jahrzehnte jüngeren Horrea Epagathiana et Epaphroditiana (benannt nach zwei griechischen Freigelassenen); Kultstätten für östliche Gottheiten, Serapis aus Ägypten (im Westen der Stadt), die Magna Mater aus dem kleinasiatischen Phrygien (an der Porta Laurentina) werden ausgebaut, die Neptunsthermen (im Osten) angelegt. Weitere, für das antike Stadtbild und vor dem Auge des modernen Ostia-Besuchers prominente Anlagen entstehen in nach-hadrianischer, namentlich antoninischer (S. 96-117) Zeit (2. Jh.) – der Tempel der Schiffsbauer gegenüber der Schola del Traiano oder die Kollegiengebäude der Augustalen unweit südwestlich des Theaters, die Terme dei Sette Sapienti (nahe der Via della Foce) sowie die umfangreiche Badeanlage am Forum, Mietskasernen (insulae) wie die Casa di Diana (im Osten von Cardo und Kapitol) und gehobene Stadthäuser wie die Domus della Fortuna Annonaria östlich der Forumsthermen.

Spätere Epochen bauen aus und gestalten (das unter Commodus, dem Sohn Mark Aurels ‚neugegründete‘) Ostia fortlaufend um, überbauen oder erweitern Vorhandenes, im kultischen (Tempio Rotondo, 1. H. 3. Jh. am Decumanus neben der Basilika) wie im privaten (Domus di Amore e Psiche im Nordwesten und D. del Ninfeo an der Porta Marina, beide 1. H. 4. Jh.) Bereich. Kontinuierliche Baumaßnahmen gegen das Verlanden der Tibermündung wie zum Schutz der Hauptstadt vor drohenden Überschwemmungen bezeugen die Ingenieurskunst römischer Architekten. Die innenpolitischen Krisen und äußeren Machtkämpfe Roms zur Zeit der Soldatenkaiser (235-284) berührten zwar auch den Handel der Hafenstädte Ostia und (weiter nördlich) Portus, doch blieben diese zunächst unverzichtbar für die Versorgung der Metropole. Renovierungsarbeiten an der Terme di Porta Marina bis in die Regierungszeit des Gotenkönigs Theoderich (S. 63) weisen auf die Größe der Stadt auch nach der Eroberung Roms 476. Gleichwohl bringen das 3. Jh. (S. 118-128) und die einsetzende Spätantike (S. 129-138) Zeiten des Umbruchs: die Verlegung des Kaiserhofes nach Osten und die Aufwertung von Portus zur Stadt unter Konstantin lassen aus dem Handels- und Gewerbestandort mit sozialer Durchmischung einen Wohnort (besonders im Südteil der Stadt) mit Dienstleistung und Vergnügen für eine Oberschicht werden. Nach den Verfolgungen des 3. Jh. wird zur Zeit Konstantins eine christliche Basilika (an der südöstlichen Stadtmauer) gebaut, weiht seit 336 der Bischof von Ostia den Papst. Die Juden – ihre Synagoge steht außerhalb im Südwesten, fernab von christlichen Bauten – bleiben im Gegensatz zu heidnischen Kulten (Mithras) zumindest geduldet, ihre Gemeinde bis ins 5. Jh. aktiv. Religiös motivierte Gewalt ist nicht belegt (S. 131 f.). Die zunehmende wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit schützte Ostia schließlich vor den Plünderung des 5. Jh. durch Alarichs Goten 410 und Geiserichs Vandalen 455. Monica, die Mutter des Kirchenvaters Augustinus, starb 387 hier vor der Abfahrt nach Nordafrika. Im 9. Jh. wurde die schrumpfende Stadt nach einem Sarazeneneinfall schließlich aufgegeben (S. 137 f.). Ein wesentlicher Teil der heute sichtbaren Hinterlassenschaften, unter denen die Bauten der Republik und des Prinzipats wahrhaft ‚begraben‘ liegen, entstammt der hohen Kaiserzeit; jüngere Bauphasen mußten den Ausgrabungen der Jahre 1938-1942 (!) und deren Blick auf das imperiale Ostia zum Opfer fallen (S. 17, 139).

Die großzügige Darstellung ist überreich mit Fotographien von hoher Qualität, mit Rekonstruktionsskizzen und Plänen baulicher Anlagen wie der gesamten Stätte in ihrer größten Ausdehnung anschaulich versehen und gerade für den Nicht-Fachmann/-frau eingängig und gut verständlich erläutert. Nützlich im Besonderen die Abbildung der Mauerwerks- und Fußbodenarten (S. 141); man vermisst freilich jede Art von Index. Ohne in Konkurrenz zu R. Meiggs umfassendem Standardwerk Roman Ostia (Oxford 21973), den von G. Calza und G. Becatti begründeten Grabungspublikationen Scavi di Ostia (Rom 1953 ff.) oder C. Pavolinis Studienführer Ostia (Rom 22006 [Guide Archeologiche Laterza]) treten zu wollen, ist B.s Durchgang aufgrund seines Formats zwar weniger handlich für das Reisegepäck, dafür aber umso tauglicher zur Vorbereitung auf einen Besuch dieser über Jahrhunderte gewachsenen, kleineren römischen Zwillingsstadt.

Michael P. Schmude, Lahnstein

 

aus: FORUM CLASSICUM 58 (2015), S. 47-50.

Zu-J-Kepler-Vom-wahren-Geburtsjahr-Christi

Zu-J-Kepler-Vom-wahren-Geburtsjahr-Christi

Johannes Kepler: Vom wahren Geburtsjahr Christi – ins Deutsche übersetzt von Otto und Eva Schönberger, Rahden/Westfalen (Verlag Marie Leidorf) 2016 [Itinera Classica, hg. v. H.-J. Horn u. Chr. Reitz, Bd. 10]. 187 S., € 34,80 (ISBN 978-3-86757-106-7).

Johannes Kepler ist uns spezieller bekannt als Kalendar und Kosmograph der ausgehenden Renaissance bzw. frühen Neuzeit, allgemeiner aber als Begründer einer durchaus bahnbrechend neuen astronomischen Weltsicht. Einen gar nicht einmal so geringen Teil seines Oeuvres nehmen allerdings auch theologische Fragestellungen ein, mit denen er sich bereits an der Lateinschule in Leonberg sowie den Klosterschulen Adelsberg und Maulbronn zu befassen begonnen hatte und die auch seinem ursprünglichen Berufswunsch als lutherischer Pfarrer eher entsprachen. So weisen denn seine wissenschaftlichen Anfänge 1586 als Stipendiat des höheren (evangelischen) Seminars in Maulbronn und als Baccalaureus der Artes Liberales an der Universität Tübingen 1589 zunächst in die Theologie; doch führt das Studium bei dem dortigen Astronomen Michael Mästlin zu seiner persönlichen ‚kopernikanischen Wende‘ (die 1618-21 in der Epitome von dessen Lehre und Keplers eigener Weltharmonik von 1619 münden wird). 1594 empfiehlt die Fakultät den jungen Magister der Theologie als Mathematiklehrer an das evangelische Stiftsgymnasium nach Graz. Unter dem Druck der Gegenreformation kommt er 1600 nach Prag und wird dort Mitarbeiter und Nachfolger des Astronomen und kaiserlichen Mathematicus Tycho Brahe. Planetentafeln (Tabulae Rudolphinae) und die (heliozentrische) Astronomia Nova (1609) sind Früchte jener Zeit. Mit der zu besprechenden, von O. und E. Schönberger (Sch.) nach der Ausgabe J. K.: De vero anno quo aeternus Dei filius humanam naturam in utero benedictae virginis Mariae assumpsit (Frankfurt 1614), in: Gesammelte Werke. Band V – Chronologische Schriften, hg. v. F. Hammer (München 1953) sorgsam übersetzten ‚fächerübergreifenden‘ Schrift, die er ab 1613 inzwischen als Landschaftsmathematiker und Gutachter für Kalenderfragen im österreichischen Linz zuerst – analog zur reformatorischen Predigt – in deutscher, sodann für das akademische Publikum in lateinischer Sprache vorlegte, präzisiert er den Ansatz des skythisch-römischen Mönchs Dionysius, welcher um 525 das Jahr der Geburt des Herrn 754 Jahre ab urbe condita datiert und mit dem Jahr 1 die christliche Zeitrechnung ab incarnatione domini begründet hatte, um „fünf volle Jahre vor Beginn der heutigen Zeitrechnung“ (Sch., S. 155).

Die Datierung des Dionysius war bereits (S. 183 f.) zu Keplers Zeit von Gelehrten (u.a. dem polnischen Chronologen Laurentius Suslyga und dem Leipziger Thomas-Kantor Sethus Calvisius) mit dem Verweis auf die Geburt Christi unter Herodes d. Gr. (Mt. 2, 1) und dessen Tod wenig später um 4 v. Chr. widerlegt worden, zumal der Mönch dabei der Notiz des Evangelisten Lukas (2, 2) gefolgt war, Jesus sei während einer Volkszählung unter Kyrenios = P. Sulpicius Quirinius geboren worden, welche nach Flavius Iosephus allerdings erst anlässlich der Annexion Iudaeas in die Provinz Syrien 6 n. Chr. stattfand. Ein reger Schriftwechsel seit etwa 1605 zum ‚wahren Geburtsjahr‘ insbesondere zwischen Kepler, Calvisius und dem pfalzgräflichen Leibarzt und Haguenauer Stadtphysicus Helisaeus Röslin führte zu der bis heute gültigen These, dass dieses fünf Jahre vor dem Ansatz des Dionysius Exiguus zu datieren sei – in Verbindung mit einer Mondfinsternis im Jahre 4 v. Chr., welche Josephus wiederum für die Zeit von Herodes‘ Krankheit bezeugt. Zugleich stellte Kepler (Sch., S. 119 f.) einen Zusammenhang her zwischen einer – periodisch alle 800 Jahre sich ergebenden – Konjunktion (Stellung im gleichen Längengrad) der Planeten Jupiter und Saturn ‚im Widder‘ und dem Kometen, dem die chaldäischen Astrologen nach Bethlehem nachgezogen waren (Mt. 2, 1-12). Aus der Dienstfolge der Priesterklasse Abia, welcher Zacharias, der Vater Johannes d. T. angehörte (Lk. 1, 5), bestätigte Kepler als Geburtstag des Herrn den 25. Dezember im 40. Jahr des Julianischen Kalenders (S. 142).

Sch.s Übersetzung geht mit Zueignung und Proöm unmittelbar und medias in res; die Einführung in Leben des Autors, Ziel und Anlage der Schrift leistet ein kurz gehaltenes Nachwort (S. 179-187). Kepler entwickelt seine eigentliche Argumentation in 15 Kapiteln, deren jedem eine ausführliche Art Überschrift vorangestellt ist, welche an sich je einem Inhaltsaufriss gleichkommen und die Leserschaft über seine Darlegungen hinweg ‚an die Hand nehmen‘ – in knappest möglicher Form einer Kopfzeile (neben der Kapitelzahl) könnte dies in einer künftigen Neuauflage einen weiteren Leserservice bieten, zumal auch das Inhaltsverzeichnis nur die bloßen Kapitelzahlen nennt. Der Umfang der einzelnen Untersuchungen variiert, thematisch laufen sie nicht ohne Umwege und unter Einbezug weiterer zeitgenössischer Beiträge auf den übergeordneten Gegenstand zu: Kernpartie dürften die cap. VIII bis X zum prominenten Quellenwert von Josephus‘ ant. Iud. / bell. Iud. neben Evangelisten, Kirchenvätern und Apologeten sein. Eine Schlussrede „wiederholt die Hauptergebnisse“ (S. 155 f.) und verwirft entschieden und – wie zuvor häufig (S. 63, 98 f., 125 f., 129, 134 f.) – in direkter Ansprache die Kritik des Calvisius an der deutschen Ausgabe des Werkes, welche erst die lateinische „herausgefordert“ habe (vgl. S. 9).

„Kepler schreibt ein ausgezeichnetes Latein“, und Sch. übersetzen ausgewogen zwischen Nähe zum Original und Verständlichkeit in der Zielsprache, wobei sie die maßgebende lateinische stets auch mit der deutschen ‚Ur‘-Fassung abgleichen (S. 185 f.). Ihre Würdigung von Keplers Stilqualitäten und Charakteristika seines Berichts hätte noch durch das eine oder andere Beispiel an Anschaulichkeit gewinnen können. Keplers reichhaltige Übernahmen aus seinen – namentlich antiken – Quellen: sind hier (wie schon bei ihm selbst) kursiv gesetzt, ohne dass allerdings zum Ende Autoren, Begriffe, Realien per Indices aufgeschlüsselt würden (auch dafür wird auf die Ausgabe Hammers [s.o.] verwiesen). Immerhin sind recht detailliert und alphabetisch wohlgeordnet ‚Namen und Sachen‘ (S. 157-173) verzeichnet, gefolgt von einer Literaturauswahl. Zu wünschen wäre dieser komplexen Schrift in ihrer verdienstvollen Übersetzung eine noch stärker strukturierte editorische Einbettung.                                                                                                                Michael P. Schmude, Lahnstein

 

aus: FORUM CLASSICUM 60 (2017), S. 42-43.