Josef Fischer: Die Perserkriege. Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Darmstadt 2013. 224 S. EUR 29,90 (ISBN 978-3-534-23973-3). –
Die Auseinandersetzungen zwischen der sich ausdehnenden vorderasiatischen Großmacht und dem Mutterland der griechischen Poleis, der Freiheitskampf der unabhängigen, demokratisch verfaßten Stadtstaaten im Westen gegen die übermächtige Achaimeniden-Despotie aus dem Osten ist bekanntlich das Hauptthema des Geschichtswerks Herodots und von daher Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Gesamt- wie Einzeldarstellungen. Mit seiner neuesten Monographie (nach „Griechische Frühgeschichte“, Darmstadt 2009) möchte Fischer (F.), Althistoriker und Mitarbeiter an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien, dem interessierten Laien einen kompakten Überblick über Hintergründe, Ursachen und Fortgang der Ereignisse geben, welche als „Geburtsstunde Europas“ (in diese Richtung noch die neuere angelsächsische Forschung) möglicherweise überhöht sind, die Dimensionen einer regionalen Abwehr hybrider Expansionsgelüste aber wesentlich sprengen und zu Beginn des 5. Jh. v. Chr. eine Wegmarke in der weiteren historischen Entwicklung des Raumes bilden. Angestrebt ist zugleich mit der Einbettung in ihren kulturgeschichtlichen Kontext eine Einführung in das archaische Griechenland und die persische Kultur, nicht zuletzt um die Sicht auch auf die persische Seite von manchem Vorurteil zu befreien. Großes Gewicht wird dabei den griechisch-römischen Quellen selbst (literarischen wie epigraphischen, in Übersetzung) zugemessen (9). Den derzeitigen Stand der Diskussion bieten ein knapper, aber detaillierter Forschungsbericht (207-209) sowie eine umfangreichere Bibliographie (210-217); ein Personen- und ein geographisches Register beschließen den Band.
Nun stehen hinter dem Begriff „Perserkriege“ viel mehr als nur die gängigen Namen Marathon, Salamis und Plataea mit dem Zeitraum 490-478 v. Chr. – wir sprechen von einer Spanne, welche mit der Einverleibung der Griechenstädte an der Küste des kleinasiatischen Ionien im 6. Jh. v. Chr. beginnt und erst mit dem Alexanderzug und Gaugamela (331 v. Chr.) in umgekehrter Richtung ein Ende findet. Dazwischen liegen bereits griechische Aktivitäten gegen das Perserreich – F. nennt (8) den Attisch-Delischen Seebund im 5. Jh. und spartanische Expeditionen unter Agesilaos zu Beginn des 4. Jh. v. Chr. – sowie die (meist finanzielle) persische Einflußnahme auf die Dauerrivalität zwischen Athen und Sparta. F.s Schwerpunkt liegt auf der ersten Phase der Konflikte um die ionischen Griechen und die Feldzüge der Großkönige Dareios und Xerxes bis ins Jahr 478 v. Chr.
Den Historiker unterscheide vom Dichter eine gesicherte Quellenlage (13-35): neben den hier dominierenden und um 430-425 v. Chr. abgeschlossenen Historien des Herodot aus Halikarnassos kann das Geschichtswerk des Thukydides nur für die griechisch-persischen Beziehungen zur Zeit des Peloponnesischen Krieges herangezogen werden (20). Weitere literarische Quellen (als Historiker neben u.a. Ephoros aus Kyme im 4. Jh. oder Diodorus Siculus im 1. Jh. v. Chr. der Sokratiker Xenophon von Athen sowie in seinen Vitae parallelae der kaiserzeitliche Platoniker Plutarch aus Chaironeia) hängen wesentlich von Herodot ab (bzw. setzen sich mit ihm auseinander); herauszuheben sind allerdings aus anderen Genres die Perser des Tragikers Aischylos (uraufgeführt 472 v. Chr.) über deren Niederlage nach Salamis (27-29) sowie die Preislieder und Epigramme des Simonides von Keos (556-468 v. Chr.) auf die Taten der Griechen (29 f.). Die AT-lichen Nachrichten insbes. um den Älteren Kyros (II.)und das Ende des Babylonischen Exils im Übergang von Chronik zu Esra sind aufgrund ihrer theologischen Ausrichtung von geringem Quellenwert (31).
Das Perserreich (38-60) wird von seinen medischen Anfängen (seit dem 9. Jh.) her und in seinen Auseinandersetzungen mit Assur (614 bzw. Ninive 612 v. Chr.) und Babylon (539 v. Chr.) als letztes der altorientalischen Großreiche behandelt. Recht breiten Raum erhält darin die Auseinandersetzung des Reichsgründers Kyros II. mit dem zunächst benachbarten, westkleinasiatischen Lydien unter Kroisos in der Darstellung von Herodots erstem Buch (40-45, einschließlich der Geschichte vom Ring des Gyges in ihren verschiedenen Versionen), doch ist damit auch der Grund gelegt für den Konflikt mit Hellas in Gestalt der Stadtstaaten Ioniens, die schon der Sohn des Alyattes unterworfen hatte (42, 68). Diese griechischen Auswanderer (61-80) waren in mykenischer Zeit und verstärkt seit dem 11. Jh. v. Chr. („Ionische Wanderung“) vorwiegend aus Messenien und Achaia als Kolonisten nach Kleinasien gekommen und gerieten jetzt unter persische Kontrolle. Eingehend würdigt F. die überragende kulturhistorische Bedeutung der kleinasiatischen Poleis als Begründer der frühgriechischen Dichtung (Epik, Lyrik), Philosophie und Wissenschaft (Ionische Naturspekulation – die Vorsokratik) seit Homer und Kallinos von Ephesos, Thales von Milet und Heraklit (75 ff.) – auch unter fremder Herrschaft.
Die Erhebung einiger dieser Stadtstaaten („Ionischer Aufstand“, 81-104) nimmt ihren Ausgang um 500 v. Chr. in Milet: Anlaß zunächst ein ionisch-persisches Flottenunterfangen zur Einnahme der Kykladeninsel Naxos (mit Zielrichtung bis Euboia), die durch Verrat sabotiert fehlschlägt; tiefere Ursache aber die politischen Spannungen der lokalen Aristokratie mit den von den Persern seit Dareios installierten und abhängigen „Vasallentyrannen“ einerseits, andererseits mit den achaimenidischen Satrapen (85 f.). Die Schlüsselfigur auf griechischer Seite, der Milesier Aristagoras, wendet sich schließlich zuerst – ohne Erfolg – an Sparta (unter Kleomenes), sodann an Athen (Überblick über die archaische Frühgeschichte beider 86-99); der Aufstand wird von einer persischen Flotte 494 v. Chr. vor Milet endgültig niedergeschlagen – die Athener hatten sich bereits nach der ersten Niederlage bei Ephesos (100) zurückgezogen – und die Tyranneis in Demokratien umgewandelt. Nach einer abgebrochenen Expedition des Feldherrn Mardonios über den Hellespont und gescheiterten Bemühungen des Großkönigs Dareios I., Athen (als Strafe für seine Unterstützung des ionischen Aufstandes) und Sparta auf diplomatischem Wege zur Unterwerfung zu bringen, beginnt 491 v. Chr. der erste persische Angriff auf Griechenland (105-126), welcher mit der Niederlage gegen die athenischen Hopliten (detailliert 113-120) unter Kallimachos und dem Jüngeren Miltiades in der Ebene von Marathon endet. Sein Sohn (und Enkel des Älteren Kyros) Xerxes rüstet zum zweiten Zug gegen Griechenland (127-136, detaillierte Zahlen 135), diesmal persönlich und mittels Brücken über den Hellespont (statt mit der Flotte) sowie erneut diplomatisch (144).
Die Zwischenkriegszeit (137-148) bringt Athen innenpolitisch den Ostrakismós und die Dominanz des Themistokles, welcher für den Ausbau der Flotte sowie des Piräus als Kriegshafen sorgt, außenpolitisch den Hellenenbund (146). Mit der Doppelschlacht (480 v. Chr.) an den Thermopylen und am Kap Artemision (Nordspitze Euboias) wird die persische Invasion Mittelgriechenlands Realität und Athen auf Antrag des Themistokles geräumt (149-164), was F. ebenso quellenbasiert (Herodot, Diodor) und in taktischen Details beschreibt wie die folgende Seeschlacht bei Salamis (165-182) und das Ende der persischen Invasion mit der zweifachen Niederlage (479 v. Chr.) von Plataea in Böotien und auf der ionischen Halbinsel Mykale (183 ff.). Der abschließende Sieg des neugegründeten Delisch-Attischen Seebundes am pamphylischen Fluß Eurymedon unter Kimon, dem Sohn des Miltiades, gehört bereits zum „Ausblick“ (198 f.), und mit Zweifeln an „welthistorischen Perspektiven ?“ (200-205) greift F. die oben angedeuteten Einordnungen der Geschehnisse – geistige Freiheit versus theokratische Autorität (Hermann Bengtson) – zu Recht in kritischer Gelassenheit (so auch Christian Meier) auf.
Die in diese elf Kapitel gegliederte Darstellung wird durch nützliche und gut zu überblickende Karten des griechisch-persischen Großraums (10 f.; 36 f.) ebenso wie von Einzelereignissen (84 zum Ionischen Aufstand; 110 zu Marathon; 159 zur Schlacht bei Kap Artemision; 167 zu Salamis) gestützt. Porträtbüsten von Handelnden (112 Miltiades; 148 Themistokles) wie von Darstellenden (15 Herodot; 27 Aischylos), Inschriften (32 Verwaltungstäfelchen; 46 Kyroszylinder; 138 Aristeides-Ostraka), Münzen (55 Dareikos), Reliefs (51 Siegesrelief Dareios‘ I; 150 persische Garde), archäologische Zeugnisse (Gräber 49 Kyros‘ d. Gr. und 128 Dareios‘ I; 121 Grabhügel von Marathon), Keramik (44 Kroisos auf dem Scheiterhaufen; 192 und 198 Überlegenheit der Griechen) und Rekonstruktionsmodelle (143 attische Triere) dienen der Veranschaulichung, durchgängig breit gestreute, ausführliche Quellenzitate (etwa von der Thermopylenschlacht bis zur Evakuierung Athens) der Absicherung des Geschilderten.
Die Betrachtung verfolgt unterschiedliche Richtungen und bietet doch auch im Einzelnen alles Wesentliche; Grundbegriffe werden differenziert und geklärt (62 Ionien; 66 f. Polis – Tyrannos). Das Ergebnis ist eine runde und gut lesbare, bei aller Vielfalt der (von griechischer wie persischer Seite) herangezogenen Quellen und der Vielschichtigkeit der politischen Gesamtthematik übersichtlich strukturierte, einführende Gesamtdarstellung des gewählten Abschnittes aus dieser – nach den homerischen Dichtungen – ersten großen historischen Auseinandersetzung zwischen West und Ost.
Michael P. Schmude, Boppard
aus: FORUM CLASSICUM 56 (2013), S. 161-163 .