Rhetorik-und-Jugend-debattiert

Rhetorik-und-Jugend-debattiert

Rhetorik und Jugend debattiert im Altsprachlichen Unterricht

 von  Michael P. Schmude,  Boppard       DAU 48, 2+3 (2005) 94-96

 

Rhetorik ist überall – nicht nur in einschlägigen Situationen des schulischen Alltags wie Referat vor der Klasse, Vorstellung in der Schülermitverwaltung oder Debatte mit Lehrenden über die Note, auch in der Spracherlernungsphase begegnen die Schülerinnen bereits Rednern und ihrer Kunst: zunächst natürlich und an durchaus unterschiedlicher Stelle im Lehrbuch als Gegenstand von Sachtexten, vermitteln Forum oder Agora als Handlungsbühne öffentlichen Geschehens in den lateinischen bzw. griechischen Lektionen einen Eindruck von Erfordernis und Macht des gesprochenen Wortes1. Sprachreflexion, Übersetzungsarbeit und erste Beobachtungen zur Aussagefunktion von Stilmerkmalen schulen den bewussten Umgang mit den eigenen Ausdrucksmöglichkeiten, Lektüren (Reden Ciceros, in Caesars Commentarii, Ovids Metamorphosen oder [im Übergang zur 11] Sallusts Catilina) zeigen die rhetorisch-stilistische Form wie inhaltlich-argumentative Struktur literarischer Sprache in Dichtung und Prosa2, ergänzt durch Überlegungen zur Wirkung von Körpersprache3, und den Schülern wird ab einer gewissen Sprachkompetenz – zumal unter Hinführung durch die Lehrperson – bewusst, dass Redekunst sich nicht erschöpft an ihren klassischen Orten = vor Gericht, im Parlament oder vor der Festcorona.

 

Entsprechend setzt eine Unterrichtsreihe Jugend debattiert bereits ab der Klassenstufe 8 mit einem auf acht Stunden ausgelegten Kerncurriculum und weiteren bis zu sechs Vertiefungsstunden (Schwerpunkt: freie Rede vor der Klasse) ein, in welchem von den kanonischen Arbeitsgängen des Redners nach Cicero (de Or. I 142) und Quintilian (inst. III 3,1) – inventio, dispositio, elocutio, memoria und pronuntiatio – herkommend Debatten in ihren Bauteilen vorbereitet und als Ganze eingeübt werden. Unterschieden von der Debatte zur Klärung von (geschlossenen) Entscheidungsfragen praktischer Natur („Sollen Lehrer durch ihre Schüler benotet werden ?„, „Soll das Rauchen an Schulen generell verboten werden ?„) sind die Diskussion zur Klärung von (offenen) Sachfragen (Wer, wo, wie…?) sowie die Disputation mit ihrer theoretischen Fragestellung zur Klärung von Voraussetzungen (Alternativfragen – „Ist der Mensch eher durch Naturveranlagung oder durch Umweltfaktoren disponiert ?„), wenngleich die rednerische Praxis sich die Mischung zunutze macht. Vielfältige Erarbeitungstechniken kommen zum Einsatz: Fragenfächer (W-Fragen), Suchfenster nach Pro und Contra (neudeutsch mindmap), Begriffsbaum (Arbor Porphyrii) – die Anlage der Unterrichtsreihe ist fächerübergreifend und die solchermaßen eingeführte und erarbeitete Debatte als Unterrichtsform überall da anwendbar, wo sich Unterrichtsinhalte zu Entscheidungsfragen verdichten: Debattieren – die Königsdisziplin der Rhetorik.

 

In Latein wie Griechisch weist der Oberstufenlehrplan in Rheinland-Pfalz einen eigenen Platz für Rhetorik in Grund- wie Leistungskurslektüre aus: als historisch-politische Prosa lässt der Dialogus de oratoribus des Tacitus drei bedeutende Redner ihre Profession reflektieren und zugleich den Niedergang republikanischer eloquentia vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Veränderungen im Prinzipat erörtern. Unter dem Stichwort Bios werden theoretischer Programmatik (Isokrates, Aristoteles) Beispiele angewandter Redekunst (Gorgias‘ Helena, Agathon in Platons Symposion, Lysias, Paulus) in ihrem psychagogischen wie agonalen Charakter gegenübergestellt.

 

Der Kern des Unterrichtscurriculums Jugend debattiert ist in der Oberstufe identisch dem auf der Mittelstufe, Schwerpunkt der Vertiefungsstunden hier aber die begriffliche Präzisierung und Ausgestaltung der Argumente. Mit den Überzeugungsebenen der Rhetorik: Ethos – die Glaubwürdigkeit des Redners; Pathos – Gefühlsmanagement bei Hörer wie Sprecher; Logos – Argumentation und rhetorische Struktur sowie Kairós – rechter Augenblick oder passende Situation ist die Lektüreauswahl beider Alter Sprachen für die Oberstufe verzahnt4.

 

Der Debattierwettbewerb von der Schul- bis zur Bundesebene: im Klassen- wie Kursverband tragen je vier Debattierende zu einem Thema allgemeineren gesellschaftlichen Interesses in Eröffnungsreden von jeweils zwei Minuten ihren Standpunkt Für oder Wider vor; diese monologische Struktur wird in der anschließenden Freien Aussprache von einer dialogischen abgelöst, in welcher die Argumente (ohne Moderator) ungebunden, aber nicht ungeregelt aufeinandertreffen. Eine einminütige Schlussrede gibt einem/r Jeden Gelegenheit zu resümierender und begründender Bestätigung oder auch Korrektur der eigenen Position. Grundlegend für die Debatte wie für ihre Beurteilung durch eine Jury aus Mitschülern sind die Kriterien Sachkenntnis, Ausdrucksvermögen, Gesprächsfähigkeit und Überzeugungskraft.

Die beiden Besten einer/s Klasse/Kurses qualifizieren sich für den Schulverbundwettbewerb: hier messen sich Vertretende der drei schulartübergreifend in einem Verbund zusammengeschlossenen Schulen nach den gleichen Regeln und ermitteln auf Mittel- wie Oberstufe die jeweils zwei Kandidierenden für den Wettbewerb auf Landesebene. Mitglied der Jury (aus Schüler-, Eltern- und Lehrerschaft) ist hier5 stets auch ein Lehrstuhlinhaber für Klassische Philologie an der Universität Mainz. Die Anzahl der Schulverbünde und damit auch der Qualifizierten eines Bundeslandes für das Bundesfinale in Berlin schließlich richtet sich nach seiner Bevölkerungszahl.

 

Dr. Michael P. Schmude, Schillerstraße 7, D-56154 Boppard-Buchholz,

m.p.schmude@web.de, Landesbeauftragter Jugend debattiert Rheinland-Pfalz

 

 

Anmerkungen:

1Kantharos, hg. v. Elliger/Fink/Heil/Meyer (Klett, Stuttgart1982 ff.) lect. 6, 9, 30/36, 33, 45, 50, 58; Hellas, hg. v. F. Maier (Buchners, Bamberg 1996 ff.) cap. 34 und 42; Cursus Continuus A, hg. v. G. Fink / F. Maier (ebda. 1995 ff.) lect. 32 und 35; Lumina, hg.v. H. Schlüter (Vandenhoeck, Göttingen 1998 ff.) lect. 19 und 20. –

2Beispiele aus möglichen Mittelstufentexten, die nach dem System der antiken Rhetorik gearbeitet sind: Terenz, Ad. 26-81a (Micios Erziehungsprogramm), rhetorische Analyse dazu Vf. in: RhM N.F. 133 (1990) 298-310; Ovid Met. X 16-48 (Rede des Orpheus in der Unterwelt), dazu R. Glaesser in: AU 38,3 (1995) 29-39. – Rhetorik in Praxis (Cic. Sest.) und Theorie (de inv.) sowie geschichtliche Stationen ihrer Bewertung D. Schmitz ebda. 41-53. –

3Praktizierte Rhetorik – Gestik und Körpersprache in antiker und moderner Theorie: Quint. inst. XI 3, 92-120 – dazu P. Wülfing in: AU 36,1 (1994) 45-63. –

4Grundlegend für Geschichte wie System der antiken Rhetorik nach wie vor der Artikel <Rh.> von H. Hommel im LAW; Rhetorik und Rom in: AU 39,1 (1996); moderne Einführung G. Ueding /B. Steinbrink: Grundriss der Rhetorik. Geschichte, Technik, Methode (Stuttgart/Weimar 31994); umfassende Aufarbeitung aller Erscheinungsformen von und um Rhetorik in ihrer inhaltlichen wie geschichtlichen Entwicklung bis heute durch das vielbändige Historische Wörterbuch der Rhetorik (Tübingen 1992 ff.).

5Dazu im Einzelnen Vf. in: Profil 1-2 (2004) 16/18.

Materialien-zur-römischen-Metrik

Materialien-zur-römischen-Metrik

Materialien zur römischen Metrik

→ Impulse 10 (Bad Kreuznach 1994)

von  Michael P. Schmude, Lahnstein/Filsen, Rh.

Die vollständige Fassung der hier nur angerissenen Einführung findet sich unter obenstehendem (grünen) Link → auf der ‚Innenseite‘

 

Das vorliegende Heft 10 der Impulse – Beiträge zum altsprachlichen Unterricht unternimmt den Versuch, in knapper und übersichtlicher Form die Grundstrukturen römischer Metrik in ihren wichtigsten Bestandteilen darzulegen und mittels ausgeführter Beispiele eine Handreichung für die ‚praktische‘ Lektüre dichterischer Texte zu bieten.

 

Beim Vortragen lateinischer Verse ist unschwer zu hören, daß hier die Intonation von der ’normalen‘ Prosabetonung der gleichen Worte, also vom natürlichen Wortakzent, doch an manchen Stellen durchaus abweicht. Höhen und Tiefen, Hebung und Senkung, Akzent oder Iktus laufen in einer festgeregelten Folge ab, und diese Abfolge wiederum hängt zusammen mit den Längen und Kürzen der einzelnen Wortsilben, ihren Quantitäten: zwei ineinandergreifende Bereiche der lateinischen Verslehre überhaupt – Prosodie hier als Lehre von den Silbenquantitäten und Metrik als Lehre von den Versmaßen im engeren Sinne.

Der lateinische Vers besteht in einer regelmäßigen Folge langer und kurzer (quantitierende), der deutsche im Wechsel betonter und unbetonter Silben (akzentuierende Metrik). Neben dem natürlichen Wortakzent (der Prosa) steht in Dichtung zur Verdeutlichung der Versstruktur der <Ictus> (G. Hermann 1816), der Versakzent.

Die Prosabetonung deutscher Worte liegt auf der Stammsilbe, d.h. dem sinngebenden Bestandteil. Die Prosabetonung lateinischer Worte richtet sich nach dem Drei-Silben-Gesetz: jedes mehrsilbige betonte Wort hat den Hauptakzent auf der vorletzten Silbe ([syllaba] paen-ultima), wenn diese lang, auf der drittletzten (antepaenultima), wenn die vorletzte kurz ist. Zweisilbige Worte werden auf der vorletzten Silbe betont. Anders als im Deutschen ist also der Wortakzent von der Quantität der Silben (Gegenstand metrischer Prosodie) und ihrer Abfolge (Funktion des Rhythmus) abhängig.

Der Bau des lateinischen Verses wird demnach unabhängig vom natürlichen Wortakzent bestimmt von der Quantität der einzelnen Wortsilben, der deutsche von der Art der Abfolge seiner betonten und unbetonten Silben (dabei können wir von einem Vers erst sprechen, wenn diese Abfolge streng regelmäßig, an ein Versmaß gebunden ist, ansonsten haben wir es mit rhythmischer Prosa zu tun). Die metrische Länge oder Kürze der Wortsilben, von welcher die Betonung bzw. Akzentuierung abhängt, ist Gegenstand einer eigenen Disziplin, der Prosodie (gr. pros-ōdía =  lat. accentus).

Zu-S-Merten-Felisa-et-secreta-Romae

Zu-S-Merten-Felisa-et-secreta-Romae

Sabine Merten: Felisa et secreta Romae – Felisa und die Geheimnisse Roms. München (Circon) 2023 [Schüler Lernkrimi Latein]. 96 S., € 13 (ISBN 978-3-8174-4360-4).

aus: FORUM CLASSICUM 66 (2023), S. 278-279.

Soviel vorab – eine vergnügliche und spannende Kriminalgeschichte, in deren Mittelpunkt eine zunächst kleine, sodann an ihren Abenteuern wachsende Straßenkatze steht, welche sich vom Ort ihrer behüteten Jugend unter einer Brücke etwas außerhalb Roms auf den Weg macht ins bunte Leben und laute Treiben der großen Stadt am Tiber. Und sie wird begleitet von Vokabelangaben, Erläuterungen zum antiken Schauplatz (→ Res Romanae) sowie einführenden Bemerkungen zur Grammatik überhaupt, der lateinischen im Besonderen, welche sich aus den originalsprachlichen Einsprengseln in den zunächst einmal deutschen Text ergeben und in zusammenfassenden Übungen gesichert werden. Didaktische Konzeption ist diejenige der Compact Lernkrimis des Münchner Circon-Verlages, angebunden der Vokabeltrainer phase6. Die kontinuierliche Steigerung der Anforderungen mündet in ein Prüfungs-Quiz zum Abschluss der story und rundet diese lehrwerksunabhängige Einstiegslektüre parallel zum Spracherwerb motivierend ab. Ein alphabetisch geordnetes Glossar der verwendeten Vokabeln am Ende des in Layout wie visueller Gesamtausstattung ansprechenden Büchleins macht die Erlebnisse der catta parva zur Individuallektüre ebenso geeignet wie gut handhabbar für den Klassenverbund.

Der Jugendkrimi um die junge Katze Felisa (der Name – ein sprechender [feles und Lisa] und im Spanischen eigenständiger Vorname – erinnert zugleich an den Katzenthriller [für Erwachsene] Felidae von M. Schaack [1994]) ist in Diktion wie Anlage altersgerecht (Unterstufe) gestaltet. Er wird mit Fotos (6 Tiber, 10 Via Appia, 32 Hundemosaik) und veranschaulichenden Rekonstruktionszeichnungen (18 auf dem Emporium am Tiber und 53 auf dem Forum Romanum, 26 Villa, 44 Circus Maximus, 58 Triclinium) reich bebildert und ist in kurzen Abständen von den bereits genannten Übungen (vierzig exercitia zu Wortarten und Morphologie, Lexik und Satzbau, Übersetzung und Textverständnis) kunterbunt aufgelockert (zu diesen 82-86 ein Lösungsteil). Die fortlaufende Erzählung (ihre historischen Bezüge sind nicht allzu eng gefasst, was in den Sachhinweisen allerdings hätte eingeordnet werden können, dazu → u.) steigert sich in Umfang wie Anspruch der organisch-übergangslos eingelegten lateinischen Passagen, welche überall passend mit Vokabellisten sowie sprachlichen und sachlichen Hilfen unterfüttert werden; realienkundliche Kleintexte sind schülernah und gut verständlich – und auf alle wird aus der narratio heraus direkt verwiesen. Das Bändchen gibt sich als Lernbegleiter für das erste Latein-Jahr, und demzufolge stehen am Beginn die ‚Klassiker‘ des Anfangsunterrichts: a-/o-Deklination in Substantiv und Adjektiv; esse als Prädikatsnomen; die vokalische Konjugation des Verbs (als didaktische Reduktion wird der Stammauslaut der Personalendung zugerechnet); Satzeinleitungen, Kasusfunktionen und wichtigere Präpositionen, Frage-, Relativ- und Kondizionalsätze, Zahlen und Steigerung, AcI usf., ohne dass sich dahinter bereits ein bestimmter Unterrichtsband mit eigenen Vorgaben aufzeigt.

Die Geschichte als solche führt Felisa nach ihrer Ankunft in der Metropole gleich in die erste Bewährungsprobe unter Ihresgleichen am Emporium, der großen Markthalle Roms, samt Flucht, Verfolgungsjagd und Rettung im Hause des freundlichen, aber ‚anstrengenden‘ cattus doctus Cicero. Dem Idyll der Villa entzieht sie sich ins gefährliche Getümmel der Innenstadt und auf einen siegreichen Rennwagen in der Arena, gerät anderntags auf dem Palatin (die Abbildung zeigt indes das Forum, welches hier [53 f.] auf die Höhen des anliegenden Hügels verlegt ist) in eine Begegnung mit der kaiserlichen Sänfte – auf Katzenebene und darüber zu einem Gastmahl im Palast des Augustus (unter diesem Namen regierte Octavian seit 27 v. Chr.). Am folgenden Morgen fällt sie in die Unterwelt des Forum Romanum und (→ Titel) ins geheime Spionagenetz der Katzen Kleopatras (die [67] derzeit „in Rom weilt“ – tatsächlich in den Jahren 46-44. Nach der Niederlage in der Seeschlacht von Actium 31 v. Chr. und dem Fall von Alexandria 30 v. Chr. begeht Kleopatra – zusammen mit M. Antonius – Selbstmord). Dort trifft sie auf den inhaftierten und als Geisel gefolterten cattus litteratus Naso: es geht um das secretum Liviae (= L. Drusilla, seit 38 v. Chr. mit Octavian verheiratet; aus erster Ehe ist sie Mutter des späteren Kaisers Tiberius und Großmutter des vierten Kaisers Claudius), welches eine fatale Präferenz der ägyptischen Herrin für römische Katzen zeitigt. Dieses aber – so daraufhin Felisas List – soll im Tempel der Vesta verborgen sein, dessen Gesetzmäßigkeiten den neuen Freunden einen Ausweg öffnen.

Überprüft werden abschließend die auf den Pfaden der (über)lebenstüchtigen Katze gewonnenen Erkenntnisse durch sieben weitere exercitia eines Quiz zu allen beschriebenen Lernbereichen (samt Auflösung 87). Die eigentliche criminal story aber endet … ohne wirkliches Ende, vielmehr mit der Ankündigung einer noch ausstehenden, weiteren Aufgabe für die Beiden und damit zugleich mit dem Ausblick auf einen erwünschten Begleiter ähnlicher Art und Struktur für das kommende zweite Lernjahr Latein.

Michael P. Schmude,  Lahnstein