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Gesellschaftliche Relevanz der Geisteswissenschaften        in säkularen Zeiten

von     Michael P. Schmude, VPUniversity Vallendar

[Festakt zum Abschluss des Sommersemesters 25.07.2025]

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Studierende, werte Angehörige und Gäste –

 

Anlass und Ausgangspunkt meiner folgenden Ausführungen, die in keiner Weise ein abgeschlossenes System darstellen, sondern einen fließenden Quell von Gedanken und Überlegungen eröffnen sollen, war eine Tagung im Rahmen der Theologischen Fakultät vor wenigen Wochen, als einmal mehr die unabdingbare und stets zu aktualisierende Frage nach Ausrichtung und Entwicklung philosophisch-theologischer Lehre gestellt wurde – Stichwort hier: Erweiterung des Spektrums der angebotenen Studieninhalte. Mit ihr verknüpft bleibt in einem weiteren Sinne diejenige nach gesellschaftlicher Relevanz, also Anbindung und Bedeutsamkeit der Geisteswissenschaften überhaupt, in deren Zentrum (neben den historischen und sprachlichen) unsere Fächer Theologie und Philosophie sich mit Fug und Recht verorten dürfen.

Platon, der griechische Philosoph zur Goldenen Zeit der Attischen Polis-Demokratie und (im 4. Jh. v. Chr.) Begründer der Akademie in Athen – und damit sind wir bereits mittendrin und bei einem der zentralen Köpfe geisteswissenschaftlicher Bemühungen

[er wird von vielen Philosophen als der geistige Urvater des Abendlandes betrachtet;   Folie 2   bekannt das Wort des britischen Ontologen und Mathematikers Alfred Whitehead aus seinem Hauptwerk Process and Reality (1929): Die sicherste allgemeine Charakterisierung der philosophischen Tradition Europas lautet, dass sie aus einer Reihe von Fußnoten zu Platon besteht] – ,

[besagter Platon also] machte die Frage nach dem Wesen des – insbesondere gerechten – Menschen zum tatsächlichen Anliegen seines Hautwerkes, der Politeía, welche der römische Staatsmann, Redner und Philosoph Marcus Tullius Cicero knapp dreihundert Jahre später passagenweise ins Lateinische übersetzte. Platon lässt seinen Lehrer Sokrates dafür allerdings den Blick sogleich vom Mikrokosmos Mensch auf den Makrokosmos menschliche Gesellschaft als dem größeren und anschaulicher zeigbaren Format überleiten; im Zusammenwirken ihrer unterschiedlichen Kräfte und Einzelelemente erweisen sich die Kardinaltugenden – Weisheit, Tüchtigkeit, besonnenes Maß und eben: die Gerechtigkeit als oberste und umfassende ethische Instanz. Diese Ausrichtung ist im Fortgang des Abendlandes, ‚des Westens‘, Europas zeitlos prägend geblieben, und im wertungsfreien Wettbewerb, in der gleichberechtigten (neudeutsch) Challenge der Kulturen ist jede einzelne wohlberaten, sich selbst, das jeweils Ihre bestimmen und beschreiben zu können, spätestens sobald sie in einen Austausch auf Augenhöhe mit ihren Nachbarinnen tritt – das ist die zentrale Aufgabe und (wieder neudeutsch) Kernkompetenz jeglichen geisteswissenschaftlichen Tuns.

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I. Gesellschaft – wie können wir diese definieren?

Folie 4            Cicero, De re publica I 39-41: Est igitur res publica res populi, populus autem non omnis hominum coetus quoquo modo congregatus, sed coetus multitudinis iuris consensu et utilitatis communione sociatus. eius autem prima causa coëundi est non tam inbecillitas quam naturalis quaedam hominum quasi congregatio; non est enim singulare nec solivagum genus hoc, sed ita generatum, ut ne in omnium quidem rerum affluentia idque ipsa natura non invitaret solum sed etiam cogeret

Gesellschaft ist also nicht jeder irgendwie nach dem Zufallsprinzip zusammengewürfelte Haufen, sondern ein bewusster Zusammenschluss von Menschen, regelbasiert über ein von sämtlichen Mitgliedern angenommenes Rechtsverständnis und geeint im Nutzen, welcher sich für Alle aus diesem Gemeinwesen ergibt. Und der Grund dafür, ein solches zu bilden, liegt in einem natürlichen Bedürfnis des Menschen, welcher zum Einzelgänger nicht berufen, sondern – aristotelisch gesprochen – als Zóon politikón geboren ist.

Folie 5            hier nun fährt der Kirchenvater und Cicero Christianus Laktanz (Divinae institutiones VI 11, 18) fort: … causam fuisse coëundi […] humanitatem, itaque inter se congregatos, quod natura hominum solitudinis fugiens et communionis ac societatis adpetens esset.

Die Humanitas, sein Mensch-Sein, ist das bestimmende mo(vi)mentum, welches den Menschen geradezu zwingend antreibt, eine auf sich allein gestellte Existenz zu meiden und sich mit Seinesgleichen – unter den zuvor genannten Voraussetzungen eines moralischen Regelkanons sowie wechselseitigen Gedeihs – zu verbinden.

Und Gesellschaft kann niemals als abstrakter Begriff von denen, welche sie – gleichsam als Bauteile – ausmachen, getrennt betrachtet werden, den Menschen nämlich. So stellen Gesellschafts- oder Staatslehre und Anthropologie als Menschenbild, säkular wie kirchlich, zwei Seiten der gleichen Medaille dar. Auf diese beiden Seiten bzw. die Medaille als Ganzes zielen Geisteswissenschaften ab: der einzelne Mensch in seiner – von ihm gebildeten – Gesellschaft und diese sodann in ihrer – von einer höheren, göttlichen Wesenheit geschaffenen – Ordnung der (soweit) für sie und von ihr erfahrbaren Welt.

 

II. Das Menschenbild nimmt die Philosophie in einem ersten Schritt somit aus Platons Staatslehre, welcher (in seiner bereits genannten Politeía) einen vernunftgesteuerten Teil der individuellen Seele von einem triebgesteuerten Teil unterscheidet und einen – aus beiden heraus gespeist – gemüthaften dazwischensetzt. Die Theologie stellt im Herbst der Antike der irdischen Respublica Ciceros die von Gottes Plan gelenkte, mithin überlegene Civitas Dei des kanonischen Kirchenlehrers Augustinus von Hippo Regius (im heutigen Algerien) gegenüber. Und es ist diese gesellschaftstheoretische und zugleich anthropologische Debatte, welcher ein Studium der Geisteswissenschaften im Allgemeinen, der Theologie und Philosophie im Besonderen dient – gerade in säkularen, an Diesseitigem ausgerichteten Zeiten, in denen das Transzendente, die Welt hinter der oder über der sichtbaren Welt, allzu oft übersehen wird.

Der Zugang zu den unterschiedlichen Ansätzen von Mensch – Gesellschaft – Welt hinter ‚den Dingen‘, historisch wie systematisch, erfolgt über eine kritische Auseinandersetzung mit den und in den diese vermittelnden Erst-, vulgo Originalschriften – und das heißt auch: in deren Ausgangssprachen, welche zu keiner Zeit durch sekundäre Quellen wie Übertragung, Paraphrase oder gar nur Zusammenfassung ersetzt werden konnte(n). Gute Geisteswissenschaft hat diese zu leisten und stellt mit der Diskussion innerhalb – nicht (mehr oder weniger lose) darüber – den Bezug zur gegenwärtigen, uns Alle umgebenden Gesellschaft, zu ihren Gruppen und ihren Individuen her. Sensibilität für einen bewussten Umgang mit Sprache, Fähigkeit zur Analyse aussagekräftiger literarischer Werke, Verständnis für Verbindendes und Trennendes, für kulturbedingte Wertvorstellungen und Lebensziele wechselnder Zeiten werden anhand zentraler zivilisatorischer Texte und im Dialog zwischen theologischer und säkularer Tradition recht eigentlich erst zum Wirken und Leben gebracht.

Damit ist Geisteswissenschaft zugleich deren konstituierenden Elementen, den Menschen verpflichtet: Was kann ich wissen, was soll ich tun, was darf ich hoffen, was ist der Mensch? – die Kant´schen Grundfragen jeden ethischen Seins (aus seinen Vorlesungen zur Logik von 1800). Wer bin ich? oder Wie soll ich sein?, transzendiert um die theologische Frage Wo werde ich hin gehen? und aktualisiert oder verallgemeinert Welche Rolle möchte ich in meiner Gemeinschaft einnehmen und wie soll diese aussehen – wie geht es weiter, wenn ich nicht mehr bin?: eine Behandlung ebendieser existenziellen Fragen, die fraglos junge Menschen jedweder modernen Gesellschaft und quer durch alle Kulturen umtreiben, sollte ein Kernanliegen zeitgemäßer gesellschaftswissenschaftlicher Angebote abbilden und über rein säkulare, innerweltliche Antworten weit hinausgehen – in einem ethisch-theologisch-philosophischen, nicht zuletzt auch spirituellen Sinne. Auf unser Haus wiederum übertragen ist der Mensch als gemeinschaftsbildendes Wesen die Klammer und Brücke, welche die beiden Fakultäten der Vinzenz Pallotti University – Theologie und Humanwissenschaften – viceversa verbindet.

 

III. Geisteswissenschaften stellen den Menschen, das humanum in den Mittelpunkt ihrer Lehre, und nicht ohne Grund ist der – zunächst europäische, von jeher aber universal und stets interkulturell zu denkende – Humanismus der anbrechenden Neuzeit aus der Renaissance, der Wiedergeburt der griechisch-römischen Philosophie im Schoße der christlichen Theologie hervorgegangen. Die Wolfsnatur des Menschen, welche der englische Staatstheoretiker Thomas Hobbes im 17. Jh. so fürchtete, bedingt die Notwendigkeit eines Staatsvertrages mit gegenseitigen Regeln zum Umgang einer Jeden mit einem Jeden: Gerechtigkeit ist hier keine Naturanlage – sie zeigt sich beim Menschen erst in der Gesellschaft. Und damit ist die Geisteswissenschaft wiederum bei den anthropologischen Grundfragen Immanuel Kants (s.o.) angelangt: für eine heutige Gesellschaft – und ihre Studierenden – so zeitlos maßgebend und der Anfrage wert wie Dekalog und Bergpredigt.   Folie 6   Die beim Evangelisten Matthäus formulierte Goldene Regel hält im Kern bereits den Kategorischen Imperativ des Königsberger Philosophen bereit. In einer christlichen Ethik ist die Essenz, das wesenhafte Sein eines Menschen, in seiner Gottähnlichkeit angelegt und geht seiner weltlichen und damit gesellschaftlichen Existenz voraus. Der Existenzialismus (etwa seiner prominentesten Stimme Jean Paul Sartre 1946) sieht es genau umgekehrt: der Mensch existiert quā Geburt zuerst und ist danach das, wozu er sich macht – der Mensch zur Freiheit verurteilt (welche bekanntlich das Schwierigste überhaupt sein dürfte). Und dies einmal angenommen, wird die Frage nach der Eigenart des Menschen, nach der Beschaffenheit einer Gesellschaft, in welcher er sich aufgehoben fühlt, umso dringlicher. Ob in christlicher Nachfolge oder in selbstbestimmter Individualität – am ehesten wohl in einer angemessenen Verbindung beider Ansätze – die Geisteswissenschaften sind der intellektuelle Raum, innerhalb dessen solche Debatten theologisch wie säkular unter Lehrenden wie Lernenden stattfinden.

 

IV. Es sind dies aber auch außerhalb akademischer Welten sinnstiftende Fragen für Jedermann, nach welchen sich heutige Gesellschaft aufbaut, Fragen, über welche Jede/r für sich und Alle miteinander zu ihrem Gemeinwesen in Rückbezug – Relevanz oder Referenz – stehen. Menschwerdung und Gesellschaftswerdung gehen Hand in Hand; sich in ihrer historischen Entwicklung damit auseinanderzusetzen und den je eigenen Platz in ihrem System zu finden und weiter auszubauen – das ist ein Angebot der Geisteswissenschaften für Studierende aller Semester, jeden Alters und jeder Herkunft.

 

In summa      Folie 7                       diese

  1. zu einer aufmerksamen, zu einer achtsamen Beschäftigung mit ihrer Gesellschaft in deren geschichtlichem Werdegang wie systematischen Struktur anzuleiten,
  2. kulturelle Gemeinsamkeiten wie Unterschiede wahrzunehmen und wertzuschätzen
  3. und im Vergleich den eigenen Modus zur Mensch- wie zur Gesellschaftswerdung finden zu lassen,
  4. sie Schritt für Schritt auf ihrem Weg zu ihrem persönlichen Standort darin anzuregen

stellen seitens der Geisteswissenschaften Vorbereitung für und Beitrag zum Gelingen eines Gemeinwesens dar – und aus gesellschaftstheoretischen Ansätzen theologischer Provenienz ein Pendant zu einer rein säkularen Sicht auf den Menschen und in Aller Welt.

Wir sprechen über das humanum: gesellschaftlich wie menschlich relevanter können Geisteswissenschaften, zumal in diesen, nach Orientierung suchenden Zeiten, gar nicht sein – und darüber hinaus im fortwährenden Austausch untereinander zu Antworten finden, welche das Saeculum alleine nicht zu geben vermag.

 

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

Prosodie – Metrik – Rhythmus in der antiken und nachantiken Literatur

Prosodie-Metrik-Rhythmus

Prosodie – Metrik – Rhythmus                                                                                in der antiken und nachantiken Literatur

von     Michael P. Schmude                                  

 

Inhalt: Prosodie S. 1-17; Metrik S. 17-33 [Appendix 1: Zäsur S. 33-49]; Rhythmus S. 49-79 [Appendix 2: Synkope S. 79-85].

[Vorbemerkung: überarbeitete und fortlaufend ergänzte Fassung der entsprechenenden Artikel im HISTORISCHEN WÖRTERBUCH DER RHETORIK, hg. von Gert Ueding (Tübingen und Berlin/Boston 1992-2015); M.P. Schmude <Materialien zur römischen Metrik (Bad Kreuznach 1994) [Impulse – Heft 10]> sowie <Einführung in die lateinische Prosodie und Metrik> (Mainz 2013), in: Impulse – Heft 15, S. 79-89.]

 

Die vollständige Fassung (85 pp.) der hier jeweils nur angerissenen Artikel findet sich unter obenstehendem (grünen) Link → auf der ‚Innenseite‘ …

 

Prosodie: (griech. prosōdía; lat. accentus, sonus vocis, tenor; engl. prosody; frz. prosodie; ital. prosodìa)

A. Definition, Bereiche.

B. Historische Entwicklung. – I. Antike. – II. Mittelalter. – III. Neuzeit.

Definition, Bereiche. Im etymologisch ursprünglichen Wortsinne bezeichnet der Begriff pros-ōdía einen Zu-gesang, innerhalb der antiken griechischen Chorlyrik ein Prozessionslied, bei feierlichen Anlässen zu Flöten- oder Zitherbegleitung gesungen, Kultgesänge insbesondere für Apoll [auch Paian], unter deren Autoren neben Bakchylides für Pindar zwei [fragmentarisch erhaltene] Bücher <Pros[h]ódia> bezeugt sind) allgemeiner sodann das dem bloßen Laut Hinzu-getönte, wie im lat. ac-[aus ad-]centus [canere: singen], bzw. der Verweis auf Betonungs- oder Intonationsverhältnisse in Wort und Satz, in Lyrik und Prosa.

Dem musikalischen Akzent der griechischen Sprache entsprechend handelt es sich hierbei zunächst um die Hervorhebung einer Silbe durch Änderung der Tonhöhe oder Lautstärke; doch während der lateinische Terminus accentus auf diese primäre Betrachtung begrenzt bleibt, dehnt sich seit Aristoteles und nach ihm in hellenistischer Zeit (Alexandrinische Grammatik) <Prosodie> auf „suprasegmentale“ (d.h. größer als lautliche, mehrere Lauteinheiten überlagernde) Merkmale wie Aspiration und Silbenlänge aus und umfasst als phonetisch-phonologische Kategorie schließlich in­sgesamt Akzent, Intonation und Sprechpausen, Quantität, Rhythmus und Sprechge­schwindigkeit.

Mithin ergeben sich für die Prosodie drei Bereiche:

  1. Als Lehre von der Behandlung der Sprache im Vers (Metrik), als „Gestaltung der Sprache durch die musische Form, Rhythmus in Silbenstärke und -dauer“ (v. Wilpert) thematisiert Prosodie die metrische Größe der Silbenbetonung (Akzent) durch Tonhöhe (musikalischer oder Ton-A.), Tonstärke (dynamischer, exspiratorischer oder Druck-A. [der germanischen Sprachen]) oder Tonlänge (Quantität oder temporaler A. [der antiken Sprachen]) und ist mit der Aspiration ebenso wie mit der Natur, der Dauer und dem Verhalten der Silben im Wort befasst.
  2. Im Rahmen der Rhetorik verweist der Begriff <Prosodie> auf den Sprech- bzw. Prosarhythmus, innerhalb des oratorischen Arbeitsganges der pronuntiatio auf Betonung und Aussprache, Intonation und Akzentsetzung, Abweichung vom usuellen Betonungsmuster bei spezifischen Sprecherintentionen, auf Periodenbau sowie auf Lautstärke, Tonhöhe oder Pausen.
  3. Linguistische Prosodie behandelt sprachliche Eigenschaften und Merkmale, welche sich auf größere Einheiten als einzelne Phoneme beziehen (suprasegmentale [s.o.] bzw. prosodische Merkmale). Hier steht Prosodie auf einer Ebene zwischen Phonologie und Syntax, bezieht sich auf Laute, Silben, Wörter und Sätze.

 

Metrik: griech. metriké téchnē – Lehre von den Versmaßen und strukturbildenden Gesetzmäßigkeiten der Dichtersprache. Für die rhetorische Kunstprosa gewinnt die Verslehre insofern Bedeutung, als metrische Phänomene hier bewusst zur klanglichen Untermalung oder Verstärkung des auszudrückenden Gedankens herangezogen werden. Im System der Rhetorik somit Bestandteile des Ornatus (Redeschmuck) – hier: in verbis singulis –, sind diese in den Arbeitsgängen des Redners als Tugend der Elocutio, der sprachlichen Ausformulierung und Stilisierung, sowie der Actio / Pronuntiatio, dem Vortrag, zuzuweisen.

A. Definition: I. Metrum und Rhythmus. – II. Rhetorische Aspekte der Metrik.

B. Historische Entwicklung: I. Antike. – II. Mittelalter. – III. Neuzeit.

Definition. I. Metrum und Rhythmus. Innerhalb der M. als umfassender Vers- und Strophenlehre bezeichnet métron, metrum (Versmaß) in einem weiteren Sinne das Aufbauprinzip des Verses nach Quantität oder Akzent, bestehend aus einer regelmäßigen Abfolge von Versfüßen (pedes), in einem engeren Sinne diese pedes selbst als kleinste strukturgebende Einheiten poetisch gebundener Sprache. Die wichtigsten Gliederungsprinzipien der M. sind das quantitierende (nach langen und kurzen) der griechisch-lateinischen M. und das akzentuierende (nach betonten und unbetonten Silben) der deutschen und englischen M.; das silbenzählende der romanischen M.en sowie das akzentzählende Prinzip bilden die rhythmische Gestalt des Verses durch eine feste Anzahl von Silben überhaupt bzw. betonten Silben. Über die M. hinaus führt die Beobachtung, dass (im Griechischen und Lateinischen) jede sprachliche Äußerung in einer „irgendwie gearteten Abfolge von langen und kurzen Silben“ besteht, deren kunstgemäße Gestaltung sowohl die ars poetica als auch die ars rhetorica zum Gegenstand haben. Die kleinste, in Hebung und Senkung geregelte Abfolgeeinheit langer und kurzer Silben ist der pes, welcher nach verschiedenen Typen unterschieden wird: iambus, trochaeus, dactylus; anapaestus, spondeus … Der Unterschied zwischen den beiden artes besteht darin, daß die poetica die gesamte sprachliche Äußerung in eine regelmäßige Abfolge von Versfüßen fasst und damit das metrum konstituiert, die rhetorica dagegen in einer freieren Anordnung quantitierender oder akzentuierter Silben ihr sprachliches ‚Rohmaterial‘ durchgliedert, besonders aber das Kolon- bzw. Periodenende metrisch fügt (Klausel) und so für den oratorius numerus, den Prosa-Rhythmus sorgt. In der Dichtung wird Rhythmus durch die Spannung zwischen (wiederkehrender) metrischer Festlegung und (wechselnder) sprachlicher Füllung hergestellt, hält das metrum sozusagen das äußere Schema für den Rhythmus als Innenleben bereit. Dabei ist – historisch gesehen – für die antike Theorie der rhythmós allgemein jeder durch zeitliches Regelmaß gegliederte Bewegungsablauf, das métron der an das sprachliche Material gebundene Versrhythmus, während das Mittelalter mit rhythmi akzentuierende (lateinische und deutsche) Dichtungen im Unterschied zu den quantitierenden (lateinischen) carmina metrica, mithin verschiedene Versprinzipien bezeichnete.

 

Appendix 1:  Zäsur: (griech. tomḗ – von témnein ’schneiden‘; lat. caesura; engl. c(a)esura; frz. césure; ital., span. cesura).

A. Definition, Bereiche: 1. Allgemein. – 2. Sprach- und literaturwissenschaftlich. – 3. Antike griechisch-lateinische Metrik. – 4. Zäsur in der Musik. – 5. Klassifizierungen der metrischen Zäsur. – 6. Komma und Kolon. – 7. Zäsur in der Rhetorik.

B. Historische Aspekte: I. Antike. – II. Spätantike und Mittelalter. – III. Neuzeit.

Definition, Bereiche. 1. Der Begriff Z., abzuleiten etymologisch wie semantisch aus lat. caesura, ‚Hieb‘, ‚(Ein-)Schnitt‘ – von caedere ’schlagen‘, ‚hauen‘ (das 17. Jh. kennt ‚Caesur‘ bzw. ‚Zäsur‘ als Fachausdruck der Metrik), bezeichnet im heutigen allgemeinen Sprachgebrauch einen ‚Einschnitt‘, welcher einerseits zeitlich aufgefasst wird und ein außergewöhnliches, eine bestehende Epoche oder eine biographische Einheit, eine Entwicklung ablösendes Ereignis, einen historischen Wendepunkt markiert, und sich andererseits auf einen Sinneinschnitt oder eine Pause innerhalb eines Textes oder Vortrags beziehen kann (diese Bedeutungserweiterung entwickelt sich anfangs des 20. Jh.).

2. Ähnlich bezeichnet die Z. als sprach- und literaturwissenschaftlicher terminus technicus hörbare (→ Phonetik), also rhythmisierende und segmentierende ‚Einschnitte‘ (Pausen) innerhalb eines Verses oder eines längeren Satzes, welche – bei Sprecher wie Hörer – im künstlerischen Vortrag von Dichtung ebenso wie von rhythmisierter Prosa, in der Rezitation eines Textes oder auch einer Periode (z.B. in Prosareden) als Unterbrechung des Redeflusses zur Geltung kommen.

 

Rhythmus (griech. rhythmós; lat. numerus, oratio numerosa, auch impressio oder cursus; engl. rhythm; frz. rythme; nombre; ital. und span. ritmo)

A. I. Definition, Bereiche und Abgrenzung. – II. Musikwissenschaft. – III. Sprach- und Versrhythmus.

B. Historische Entwicklung. – I. Griechische Antike. – II. Römische Antike. – III. Spätantike und Mittelalter. – IV. Renaissance und Neuzeit.

Definition, Bereiche und Abgrenzung. In vorklassischer und vorsokratischer Terminologie bedeutet der Begriff Rh., der wohl nicht von rhéō (ich fließe) als <Bewegungsfluss>, sondern eher von erýō (ich ziehe [z.B. die Bogensehne an]) als <Spannungsgefüge [welches einer Bewegung Halt und Begrenzung verleiht]> abzuleiten ist, zunächst <Gestalt, Anordnung>. Zusammen mit dem Klang wirkt er über die sinnliche Seite der Sprache (Fuhrmann), ist, allgemein verstanden, <wohlgefällige Gliederung sinnlich wahrnehmbarer Vorgänge> (Saran), <Gliederung der Zeit in sinnlich fassbare Teile> (Heusler) oder <harmonische Gliederung einer lebendigen Bewegung in der Zeit> (v. Wilpert), mithin Grundlage natürlicher Lebensvorgänge und darum als mikro- wie makrokosmisches Ur-Phänomen sowohl auf rhythmische Grunderfahrungen des Menschen in seiner eigenen (Atmung und Herzschlag [unwillkürlich] oder Gehen und Springen [willkürlich]) und in der ihn umgebenden Natur (Welle, Pendel) als auch auf kosmische Gesetzmäßigkeiten (Gezeiten, Tag-Nacht, Sommer-Winter, Geburt-Tod) zu beziehen (Bio-rhythmik). Das sich aus Beobachtung wie Empfinden derartiger, in ähnlichem Ablauf wiederkehrender Zyklen heraus entwickelnde Zeitgefühl wird auf Sprache übertragen und konstituiert – analog zum Tanz – auch hier den Rh. als <nach Akzent, Tempo- und Tonstufen geordnete Sprachbewegung> (Kauffmann), als <Träger der zeitlichen Durchgliederung des Sprachstroms>. Etwa seit PLATON ist er als kunsttheoretischer Terminus technicus in die Musik integriert und bedeutet als táxis kinḗseōs (Ordnung der Bewegung) die unmittelbar aus der Sprache entnommene zeitliche Ordnung des Musikalischen; ARISTOXENOS, ein Schüler des Aristoteles, spricht abstrakter von der chrónōn táxis, der Ordnung von Zeiteinheiten.

Als zeitliches Struktur- und Gestaltungsprinzip, als <Urbedürfnis des ordnenden Menschen> (v. Wilpert) ist dem Rh. stets auch das Moment der Intentionalität zueigen, worin er zusammenfassende, begrenzende, verdeutlichende Aufgaben erhält. In Kult und Ritus, Tanz und Spiel, aber auch in alltäglicheren Bewegungsabläufen etwa im Arbeits- oder Marschlied, entfaltet er elementare gemeinschaftsstiftende Kraft, für Platon in der chorischen Kunst, der Orchestrik, mit ihrer Einheit von Wort, Musik und Körperbewegung durchaus erzieherische Wirkung, zumal allein die menschliche Natur über die aísthēsis táxeōs (Gespür für Ordnung) verfüge. VITRUV verankert (um 25 v. Chr.) den Rh.-Begriff ästhetisch als Maßverhältnis von Raum und Zeit in der Architektur, der spätantike, neuplatonisierende Musiktheoretiker ARISTEIDES QUINTILIANUS, Aristoxenos folgend, auch in den Bildenden Künsten überhaupt. Objekte oder Formen können sich dort zu rhythmischen Kompositionen anordnen.

 

Appendix 2 Synkope: (griech. syn-kopḗ; lat., engl., frz. syncope; ital. sìncope; span. síncopa).

A. Definition

B. Historische Aspekte. – I. Antike und Mittelalter. – II. Neuzeit.

Definition. Die S. (von griech. syg -kóptein; dt. ursprgl. zusammenschlagen) gehört allgemein zu den Möglichkeiten, ein als linear ausgedehnt verstandenes Phänomen (Haus, Strecke; Satzfolge, Satz, Wortform) durch Wegnahme eines oder mehrerer Bestandteile (Steine; Silben, Buchstaben) zu ändern. Dabei ist sie nach der Stelle dieser Wegnahme im linearen Ablauf des Phänomenganzen zu unterscheiden von der Aphärese (aph-[h]aíresis; lat. aphaeresis), der Wegnahme vom Anfang (raus statt heraus), sowie von der Apokope (apo-kopḗ; apocopé), der Wegnahme vom Schluss (z.B. Ausfall des Dativ –e): als Wegnahme aus der Mitte bezeichnet die S. in einem engeren, linguistisch-grammatischen Sinne die Subtraktion phonologischer Elemente im Inneren eines Wortes, die Ausstoßung eines unbetonten Vokals oder einer unbetonten Silbe aus artikulatorischen, grammatischen oder metrischen Gründen (gehn statt gehen, hörn statt hören; andre statt andere, ewger statt ewiger), auch wegen höheren Sprechtempos (<Allegro-Formen>: griechisch tí pote [was immer] ® homerisch típte; lateinisch viridis [grün] ® vulgärlateinisch virdis ® französisch verde). Im System der Rhetorik ordnet sich die S. innerhalb der vier Änderungskategorien, der quadripartita ratio Quintilians, der Modifizierung eines Wortes <per detractionem> zu. Wenngleich als absichtsvolle Änderung Gegenstand auch der dispositio, ist sie unter dem ersten Stilgebot der Latinitas (in verbis singulis) – nach Maßgabe des vierten: Aptum – eine Option der elocutio: dabei kann sie als aus metrischen Rücksichten und poetischer Lizenz geduldeter oder wegen des ornatus gar gesuchter metaplasmus wie als fehlerhafter (élleipsis: Mangel, Zuwenig – wieder: per detractionem) barbarismus auftreten. Quintilian nennt sie aber auch <figura in verbo>, womit sie zu den Mitteln des Ornatus zählt, des dritten Stilgebotes. Die Poetik, hier: die Metrik behandelt die S. als sprachliches Phänomen im Rahmen der Prosodie, versteht unter einer S. aber auch die Unterdrückung einer Senkung im Verssystem, z.B. bei Aischylos im iambischen Trimeter. In der Musiklehre führt die – an das Taktprinzip gekoppelte – S. (belegt seit 1631) zu einer rhythmischen Akzentverschiebung gegenüber der regulären Takt- oder Betonungsordnung, indem ein unbetonter Zeitwert (auch über die Taktgrenze hinweg) an den folgenden betonten gebunden wird, eine leichte Zeit die schwere gleichsam vorwegnimmt. Auf dem gemeinsamen Feld prosodischer Gestaltung in Dichtung wie Musik dient sie in geradezu expressionistischer Manier der Darstellung emotionaler Intensität mit den Mitteln von Rhythmus und Melodie. Als medizinischer Terminus bezeichnet die S. schon in der Antike Zusammenbruch und Entkräftung, insbes. einen Ohnmachtsanfall infolge mangelhafter Durchblutung des Gehirns bei Kreislaufkollaps.