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Zu-K-J-Hölkeskamp-Libera-res-publica

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Karl-Joachim Hölkeskamp: Libera res publica. Die politische Kultur des antiken Rom – Positionen und Perspektiven, Stuttgart (Steiner) 2017, 400 S., € 59 (ISBN 978-3-515-11729-6).

In zehn Beiträgen führt der Professor für Alte Geschichte an der Universität Köln K.-J. Hölkeskamp (H.) zum Einen seine 2004 in Stuttgart erschienene Sammlung SENATUS POPULUSQUE ROMANUS. Die politische Kultur der Republik – Dimensionen und Deutungen fort und begründet zum Anderen methodisch wie empirisch seinen „kulturalistischen“ (S. 7) Ansatz der Rekonstruktionen einer Republik. Die politische Kultur des antiken Rom und die Forschung der letzten Jahrzehnte (München 2004). Der hier anzuzeigende Band nun verknüpft wissenschaftsgeschichtliche Bestandsaufnahme mit gelebten Dimensionen republikanischer Politik. Ein durchgehender Roter Faden, welcher als übergeordnete Fragestellung die einzelnen Arbeiten miteinander verbindet, ist die Unterscheidung zwischen (theoretischer, gewollt-geplanter) politischer Konzeption und (praktischer, real existenter) historischer Wirksamkeit der Institutionen des römischen Staats in ihrem Ineinandergreifen und ihren Bedingtheiten viceversa.

In Th. Mommsens Römischem Staatsrecht (31887-88) ist dies der Gegensatz zwischen rechtlich-systematischer Form und historisch-realem Inhalt, bei Ed. Meyer (Römischer Staat und Staatsgedanke 41975) derjenige zwischen „wirklicher Bedeutung und streng rechtlich gefasster Funktion“ insbesondere des Senats: für Mommsen bildet die Magistratur – als zentrale Bezugsgröße der beiden anderen Instanzen Volksversammlung und Senat – den Ursprung staatlicher Ordnung und steht als „Verkörperung des Staatsbegriffs“ noch vor der „Volksgemeinde“ (Abriss des Römischen Staatsrechts 21907, S. 64); dabei enthebt sich das imperium der Amtsträger konzeptionell dem Wandel der Zeiten ebenso wie das ‚System‘ als solches, während die Verfassungswirklichkeit über Königszeit, Republik und Prinzipat auf eine stetige Abschwächung der (vormals einheitlichen und allein in sich selbst begründeten) Vollgewalt der Beamten hinauslief (H., S. 10 f.). Und das institutionelle Zentrum, aus welchem die Magistrate auf Zeit heraus-, sich gegenüber- und (hierarchisch jetzt aufgestiegen) wieder eintraten, war als „Zentralregierung der Gemeinde“ der Senat (S. 39 f.). Dem entgegen steht (S. 43 ff.) der Ansatz F. Münzers (Römische Adelsparteien und Adelsfamilien 1920), welcher – vieldiskutiert und gründlich widerlegt (S. 71) – in den politischen Bündnissen patrizischer (und führender plebeischer) gentes, deren Persönlichkeiten und Parteiungen (factiones) die eigentlichen, Generationen übergreifenden arcana imperii (Tac. ann. II 36, 1 / 59, 3) sieht – bis hin zur Übernahme der ‚Obermagistrate‘ als Ergebnis von Gruppenhändeln. Das Konsulat im Sinne eines Regierungskollegiums mit Entscheidungsgewalt wird indes bereits von M. Gelzer (1931) in Frage gestellt; dieser versucht sich andererseits mit seiner Nobilität der römischen Republik von 1912 als Gesellschaftshistoriker vom juristischen Übervater zu emanzipieren (dazu S. Strauß: Von Mommsen zu Gelzer ? Die Konzeption römisch-republikanischer Gesellschaft in „Staatsrecht“ und „Nobilität“, Stuttgart 2017).

Um das Konzept der ‚politischen Kultur‘ kreisen die folgenden Aufsätze: nicht mehr das Verfahrens- und Entscheidungshandeln von Institutionen oder Magistraten, nicht mehr die sozialen Grundstrukturen der politischen Ordnung und ihrer gesellschaftlichen Ensembles stehen im Mittelpunkt, sondern die ‚politische Grammatik‘ (Chr. Meier 1966) der römischen Republik, die Ritualsyntax ihrer performativen Vollzüge, das spezifische Vokabular ihrer Prozessionen (S. 73-105). Verhandelt werden Beziehung und Übertrag symbolischer Ansprüche vor einem System von Zeichen und Botschaften innerhalb des kommunikativen Dreiecks zwischen der durch den Anlass (einmalig) erhöhten Person, ihrer jeweiligen politischen Klasse und dem populus als institutionalisierter civitas – eine ‚Poetik der Macht‘, sichtbar etwa in den vielschichtigen Ensembles des Triumphzuges oder der pompa funebris, aber auch in den vorgegebenen Formen des Zusammentretens der Bürger, den comitia und concilia, auf der – im Idealfalle konsensualen – Grundlage „gemeinsamen Römertums“ (S. 242) der dramatis personae. Den Rahmen für dieses verwobene Ensemble von civic rituals als Herrschaftsform, für die Vernetzung von symbolisiertem Wertekanon und kultischer Praxis liefert die eigentümliche Stadtstaatlichkeit bürgerschaftlicher Einheiten wie Athen und Rom in der Antike, Florenz und Venedig in MA und Renaissance.

‚Prominenzrollen‘ (zwischen Patriziat und plebeischer Elite) und ‚Karrierefelder‘ in Kontinuität und Wandel (S. 107-122) – (kollektiver) Konsens und (individuelle) Konkurrenz: Analysemodelle zur Erklärung gesellschaftlicher Strukturen vom 4. Jh. bis zum Principat (S. 123-161) verfolgen die „Karriere eines Konzepts“ aus dem Blickwinkel neuerer Forschungsdiskussion weiter. Unter den Aspekten der Concordia contionalis: Mehrheitsentscheidungen und ihre Verhandlung in den Comitien des Volkes (S. 163-188), von Hierarchie und Konsens: Pompae in der politischen Kultur der Republik (S. 189-236), aber auch der Memoria (S. 237-271) in den zeitgenössischen Propagandamedien der monumenta oder der Münzprägung (S. 273-309) werden konkrete Kommunikationssituationen des öffentlichen Diskurses fortgeführt. Der Reigen schließt mit der politischen Kultur (in) der Krise (S. 311-327) und mündet in der Frage nach kausalen, funktionalen Zusammenhängen, veränderlichen Wechselbeziehungen oder einfach bloßem Zusammentreffen von Faktoren in der „letzten Generation“ der (überforderten ?) untergehenden Republik.

Die einzelnen Aufsätze sind unabhängig voneinander lesbar und zu unterschiedlichen Anlässen abgefasst, was Doppelungen in Einzelnem einschließt (e.g. S. 123, 311). Das Buch im Ganzen ist flüssig geschrieben, wobei Sprachduktus und Begrifflichkeit durchweg anspruchsvoll mit einhergehen. Die Erst- bzw. geplante Weiterveröffentlichung(en) sind zu Beginn jeden Beitrages und auf S. 390 vermerkt. Ein umfangreiches, alphabetisches Gesamt-Literaturverzeichnis (S. 329-387) sowie eingehende Personen- (modern-antik) und Sachregister schlüsseln den Band auf.

Michael P. Schmude, Lahnstein

aus: FORUM CLASSICUM 61 (2018), S. 145-146.