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Prosodie – Metrik – Rhythmus in der antiken und nachantiken Literatur

Prosodie-Metrik-Rhythmus

Prosodie – Metrik – Rhythmus                                                                                in der antiken und nachantiken Literatur

von     Michael P. Schmude                                  

 

Inhalt: Prosodie S. 1-17; Metrik S. 17-33 [Appendix 1: Zäsur S. 33-49]; Rhythmus S. 49-79 [Appendix 2: Synkope S. 79-85].

[Vorbemerkung: überarbeitete und fortlaufend ergänzte Fassung der entsprechenenden Artikel im HISTORISCHEN WÖRTERBUCH DER RHETORIK, hg. von Gert Ueding (Tübingen und Berlin/Boston 1992-2015); M.P. Schmude <Materialien zur römischen Metrik (Bad Kreuznach 1994) [Impulse – Heft 10]> sowie <Einführung in die lateinische Prosodie und Metrik> (Mainz 2013), in: Impulse – Heft 15, S. 79-89.]

 

Die vollständige Fassung (85 pp.) der hier jeweils nur angerissenen Artikel findet sich unter obenstehendem (grünen) Link → auf der ‚Innenseite‘ …

 

Prosodie: (griech. prosōdía; lat. accentus, sonus vocis, tenor; engl. prosody; frz. prosodie; ital. prosodìa)

A. Definition, Bereiche.

B. Historische Entwicklung. – I. Antike. – II. Mittelalter. – III. Neuzeit.

Definition, Bereiche. Im etymologisch ursprünglichen Wortsinne bezeichnet der Begriff pros-ōdía einen Zu-gesang, innerhalb der antiken griechischen Chorlyrik ein Prozessionslied, bei feierlichen Anlässen zu Flöten- oder Zitherbegleitung gesungen, Kultgesänge insbesondere für Apoll [auch Paian], unter deren Autoren neben Bakchylides für Pindar zwei [fragmentarisch erhaltene] Bücher <Pros[h]ódia> bezeugt sind) allgemeiner sodann das dem bloßen Laut Hinzu-getönte, wie im lat. ac-[aus ad-]centus [canere: singen], bzw. der Verweis auf Betonungs- oder Intonationsverhältnisse in Wort und Satz, in Lyrik und Prosa.

Dem musikalischen Akzent der griechischen Sprache entsprechend handelt es sich hierbei zunächst um die Hervorhebung einer Silbe durch Änderung der Tonhöhe oder Lautstärke; doch während der lateinische Terminus accentus auf diese primäre Betrachtung begrenzt bleibt, dehnt sich seit Aristoteles und nach ihm in hellenistischer Zeit (Alexandrinische Grammatik) <Prosodie> auf „suprasegmentale“ (d.h. größer als lautliche, mehrere Lauteinheiten überlagernde) Merkmale wie Aspiration und Silbenlänge aus und umfasst als phonetisch-phonologische Kategorie schließlich in­sgesamt Akzent, Intonation und Sprechpausen, Quantität, Rhythmus und Sprechge­schwindigkeit.

Mithin ergeben sich für die Prosodie drei Bereiche:

  1. Als Lehre von der Behandlung der Sprache im Vers (Metrik), als „Gestaltung der Sprache durch die musische Form, Rhythmus in Silbenstärke und -dauer“ (v. Wilpert) thematisiert Prosodie die metrische Größe der Silbenbetonung (Akzent) durch Tonhöhe (musikalischer oder Ton-A.), Tonstärke (dynamischer, exspiratorischer oder Druck-A. [der germanischen Sprachen]) oder Tonlänge (Quantität oder temporaler A. [der antiken Sprachen]) und ist mit der Aspiration ebenso wie mit der Natur, der Dauer und dem Verhalten der Silben im Wort befasst.
  2. Im Rahmen der Rhetorik verweist der Begriff <Prosodie> auf den Sprech- bzw. Prosarhythmus, innerhalb des oratorischen Arbeitsganges der pronuntiatio auf Betonung und Aussprache, Intonation und Akzentsetzung, Abweichung vom usuellen Betonungsmuster bei spezifischen Sprecherintentionen, auf Periodenbau sowie auf Lautstärke, Tonhöhe oder Pausen.
  3. Linguistische Prosodie behandelt sprachliche Eigenschaften und Merkmale, welche sich auf größere Einheiten als einzelne Phoneme beziehen (suprasegmentale [s.o.] bzw. prosodische Merkmale). Hier steht Prosodie auf einer Ebene zwischen Phonologie und Syntax, bezieht sich auf Laute, Silben, Wörter und Sätze.

 

Metrik: griech. metriké téchnē – Lehre von den Versmaßen und strukturbildenden Gesetzmäßigkeiten der Dichtersprache. Für die rhetorische Kunstprosa gewinnt die Verslehre insofern Bedeutung, als metrische Phänomene hier bewusst zur klanglichen Untermalung oder Verstärkung des auszudrückenden Gedankens herangezogen werden. Im System der Rhetorik somit Bestandteile des Ornatus (Redeschmuck) – hier: in verbis singulis –, sind diese in den Arbeitsgängen des Redners als Tugend der Elocutio, der sprachlichen Ausformulierung und Stilisierung, sowie der Actio / Pronuntiatio, dem Vortrag, zuzuweisen.

A. Definition: I. Metrum und Rhythmus. – II. Rhetorische Aspekte der Metrik.

B. Historische Entwicklung: I. Antike. – II. Mittelalter. – III. Neuzeit.

Definition. I. Metrum und Rhythmus. Innerhalb der M. als umfassender Vers- und Strophenlehre bezeichnet métron, metrum (Versmaß) in einem weiteren Sinne das Aufbauprinzip des Verses nach Quantität oder Akzent, bestehend aus einer regelmäßigen Abfolge von Versfüßen (pedes), in einem engeren Sinne diese pedes selbst als kleinste strukturgebende Einheiten poetisch gebundener Sprache. Die wichtigsten Gliederungsprinzipien der M. sind das quantitierende (nach langen und kurzen) der griechisch-lateinischen M. und das akzentuierende (nach betonten und unbetonten Silben) der deutschen und englischen M.; das silbenzählende der romanischen M.en sowie das akzentzählende Prinzip bilden die rhythmische Gestalt des Verses durch eine feste Anzahl von Silben überhaupt bzw. betonten Silben. Über die M. hinaus führt die Beobachtung, dass (im Griechischen und Lateinischen) jede sprachliche Äußerung in einer „irgendwie gearteten Abfolge von langen und kurzen Silben“ besteht, deren kunstgemäße Gestaltung sowohl die ars poetica als auch die ars rhetorica zum Gegenstand haben. Die kleinste, in Hebung und Senkung geregelte Abfolgeeinheit langer und kurzer Silben ist der pes, welcher nach verschiedenen Typen unterschieden wird: iambus, trochaeus, dactylus; anapaestus, spondeus … Der Unterschied zwischen den beiden artes besteht darin, daß die poetica die gesamte sprachliche Äußerung in eine regelmäßige Abfolge von Versfüßen fasst und damit das metrum konstituiert, die rhetorica dagegen in einer freieren Anordnung quantitierender oder akzentuierter Silben ihr sprachliches ‚Rohmaterial‘ durchgliedert, besonders aber das Kolon- bzw. Periodenende metrisch fügt (Klausel) und so für den oratorius numerus, den Prosa-Rhythmus sorgt. In der Dichtung wird Rhythmus durch die Spannung zwischen (wiederkehrender) metrischer Festlegung und (wechselnder) sprachlicher Füllung hergestellt, hält das metrum sozusagen das äußere Schema für den Rhythmus als Innenleben bereit. Dabei ist – historisch gesehen – für die antike Theorie der rhythmós allgemein jeder durch zeitliches Regelmaß gegliederte Bewegungsablauf, das métron der an das sprachliche Material gebundene Versrhythmus, während das Mittelalter mit rhythmi akzentuierende (lateinische und deutsche) Dichtungen im Unterschied zu den quantitierenden (lateinischen) carmina metrica, mithin verschiedene Versprinzipien bezeichnete.

 

Appendix 1:  Zäsur: (griech. tomḗ – von témnein ’schneiden‘; lat. caesura; engl. c(a)esura; frz. césure; ital., span. cesura).

A. Definition, Bereiche: 1. Allgemein. – 2. Sprach- und literaturwissenschaftlich. – 3. Antike griechisch-lateinische Metrik. – 4. Zäsur in der Musik. – 5. Klassifizierungen der metrischen Zäsur. – 6. Komma und Kolon. – 7. Zäsur in der Rhetorik.

B. Historische Aspekte: I. Antike. – II. Spätantike und Mittelalter. – III. Neuzeit.

Definition, Bereiche. 1. Der Begriff Z., abzuleiten etymologisch wie semantisch aus lat. caesura, ‚Hieb‘, ‚(Ein-)Schnitt‘ – von caedere ’schlagen‘, ‚hauen‘ (das 17. Jh. kennt ‚Caesur‘ bzw. ‚Zäsur‘ als Fachausdruck der Metrik), bezeichnet im heutigen allgemeinen Sprachgebrauch einen ‚Einschnitt‘, welcher einerseits zeitlich aufgefasst wird und ein außergewöhnliches, eine bestehende Epoche oder eine biographische Einheit, eine Entwicklung ablösendes Ereignis, einen historischen Wendepunkt markiert, und sich andererseits auf einen Sinneinschnitt oder eine Pause innerhalb eines Textes oder Vortrags beziehen kann (diese Bedeutungserweiterung entwickelt sich anfangs des 20. Jh.).

2. Ähnlich bezeichnet die Z. als sprach- und literaturwissenschaftlicher terminus technicus hörbare (→ Phonetik), also rhythmisierende und segmentierende ‚Einschnitte‘ (Pausen) innerhalb eines Verses oder eines längeren Satzes, welche – bei Sprecher wie Hörer – im künstlerischen Vortrag von Dichtung ebenso wie von rhythmisierter Prosa, in der Rezitation eines Textes oder auch einer Periode (z.B. in Prosareden) als Unterbrechung des Redeflusses zur Geltung kommen.

 

Rhythmus (griech. rhythmós; lat. numerus, oratio numerosa, auch impressio oder cursus; engl. rhythm; frz. rythme; nombre; ital. und span. ritmo)

A. I. Definition, Bereiche und Abgrenzung. – II. Musikwissenschaft. – III. Sprach- und Versrhythmus.

B. Historische Entwicklung. – I. Griechische Antike. – II. Römische Antike. – III. Spätantike und Mittelalter. – IV. Renaissance und Neuzeit.

Definition, Bereiche und Abgrenzung. In vorklassischer und vorsokratischer Terminologie bedeutet der Begriff Rh., der wohl nicht von rhéō (ich fließe) als <Bewegungsfluss>, sondern eher von erýō (ich ziehe [z.B. die Bogensehne an]) als <Spannungsgefüge [welches einer Bewegung Halt und Begrenzung verleiht]> abzuleiten ist, zunächst <Gestalt, Anordnung>. Zusammen mit dem Klang wirkt er über die sinnliche Seite der Sprache (Fuhrmann), ist, allgemein verstanden, <wohlgefällige Gliederung sinnlich wahrnehmbarer Vorgänge> (Saran), <Gliederung der Zeit in sinnlich fassbare Teile> (Heusler) oder <harmonische Gliederung einer lebendigen Bewegung in der Zeit> (v. Wilpert), mithin Grundlage natürlicher Lebensvorgänge und darum als mikro- wie makrokosmisches Ur-Phänomen sowohl auf rhythmische Grunderfahrungen des Menschen in seiner eigenen (Atmung und Herzschlag [unwillkürlich] oder Gehen und Springen [willkürlich]) und in der ihn umgebenden Natur (Welle, Pendel) als auch auf kosmische Gesetzmäßigkeiten (Gezeiten, Tag-Nacht, Sommer-Winter, Geburt-Tod) zu beziehen (Bio-rhythmik). Das sich aus Beobachtung wie Empfinden derartiger, in ähnlichem Ablauf wiederkehrender Zyklen heraus entwickelnde Zeitgefühl wird auf Sprache übertragen und konstituiert – analog zum Tanz – auch hier den Rh. als <nach Akzent, Tempo- und Tonstufen geordnete Sprachbewegung> (Kauffmann), als <Träger der zeitlichen Durchgliederung des Sprachstroms>. Etwa seit PLATON ist er als kunsttheoretischer Terminus technicus in die Musik integriert und bedeutet als táxis kinḗseōs (Ordnung der Bewegung) die unmittelbar aus der Sprache entnommene zeitliche Ordnung des Musikalischen; ARISTOXENOS, ein Schüler des Aristoteles, spricht abstrakter von der chrónōn táxis, der Ordnung von Zeiteinheiten.

Als zeitliches Struktur- und Gestaltungsprinzip, als <Urbedürfnis des ordnenden Menschen> (v. Wilpert) ist dem Rh. stets auch das Moment der Intentionalität zueigen, worin er zusammenfassende, begrenzende, verdeutlichende Aufgaben erhält. In Kult und Ritus, Tanz und Spiel, aber auch in alltäglicheren Bewegungsabläufen etwa im Arbeits- oder Marschlied, entfaltet er elementare gemeinschaftsstiftende Kraft, für Platon in der chorischen Kunst, der Orchestrik, mit ihrer Einheit von Wort, Musik und Körperbewegung durchaus erzieherische Wirkung, zumal allein die menschliche Natur über die aísthēsis táxeōs (Gespür für Ordnung) verfüge. VITRUV verankert (um 25 v. Chr.) den Rh.-Begriff ästhetisch als Maßverhältnis von Raum und Zeit in der Architektur, der spätantike, neuplatonisierende Musiktheoretiker ARISTEIDES QUINTILIANUS, Aristoxenos folgend, auch in den Bildenden Künsten überhaupt. Objekte oder Formen können sich dort zu rhythmischen Kompositionen anordnen.

 

Appendix 2 Synkope: (griech. syn-kopḗ; lat., engl., frz. syncope; ital. sìncope; span. síncopa).

A. Definition

B. Historische Aspekte. – I. Antike und Mittelalter. – II. Neuzeit.

Definition. Die S. (von griech. syg -kóptein; dt. ursprgl. zusammenschlagen) gehört allgemein zu den Möglichkeiten, ein als linear ausgedehnt verstandenes Phänomen (Haus, Strecke; Satzfolge, Satz, Wortform) durch Wegnahme eines oder mehrerer Bestandteile (Steine; Silben, Buchstaben) zu ändern. Dabei ist sie nach der Stelle dieser Wegnahme im linearen Ablauf des Phänomenganzen zu unterscheiden von der Aphärese (aph-[h]aíresis; lat. aphaeresis), der Wegnahme vom Anfang (raus statt heraus), sowie von der Apokope (apo-kopḗ; apocopé), der Wegnahme vom Schluss (z.B. Ausfall des Dativ –e): als Wegnahme aus der Mitte bezeichnet die S. in einem engeren, linguistisch-grammatischen Sinne die Subtraktion phonologischer Elemente im Inneren eines Wortes, die Ausstoßung eines unbetonten Vokals oder einer unbetonten Silbe aus artikulatorischen, grammatischen oder metrischen Gründen (gehn statt gehen, hörn statt hören; andre statt andere, ewger statt ewiger), auch wegen höheren Sprechtempos (<Allegro-Formen>: griechisch tí pote [was immer] ® homerisch típte; lateinisch viridis [grün] ® vulgärlateinisch virdis ® französisch verde). Im System der Rhetorik ordnet sich die S. innerhalb der vier Änderungskategorien, der quadripartita ratio Quintilians, der Modifizierung eines Wortes <per detractionem> zu. Wenngleich als absichtsvolle Änderung Gegenstand auch der dispositio, ist sie unter dem ersten Stilgebot der Latinitas (in verbis singulis) – nach Maßgabe des vierten: Aptum – eine Option der elocutio: dabei kann sie als aus metrischen Rücksichten und poetischer Lizenz geduldeter oder wegen des ornatus gar gesuchter metaplasmus wie als fehlerhafter (élleipsis: Mangel, Zuwenig – wieder: per detractionem) barbarismus auftreten. Quintilian nennt sie aber auch <figura in verbo>, womit sie zu den Mitteln des Ornatus zählt, des dritten Stilgebotes. Die Poetik, hier: die Metrik behandelt die S. als sprachliches Phänomen im Rahmen der Prosodie, versteht unter einer S. aber auch die Unterdrückung einer Senkung im Verssystem, z.B. bei Aischylos im iambischen Trimeter. In der Musiklehre führt die – an das Taktprinzip gekoppelte – S. (belegt seit 1631) zu einer rhythmischen Akzentverschiebung gegenüber der regulären Takt- oder Betonungsordnung, indem ein unbetonter Zeitwert (auch über die Taktgrenze hinweg) an den folgenden betonten gebunden wird, eine leichte Zeit die schwere gleichsam vorwegnimmt. Auf dem gemeinsamen Feld prosodischer Gestaltung in Dichtung wie Musik dient sie in geradezu expressionistischer Manier der Darstellung emotionaler Intensität mit den Mitteln von Rhythmus und Melodie. Als medizinischer Terminus bezeichnet die S. schon in der Antike Zusammenbruch und Entkräftung, insbes. einen Ohnmachtsanfall infolge mangelhafter Durchblutung des Gehirns bei Kreislaufkollaps.

Ausonius-ein-spätantiker-Barde-des-Moseltals

Ausonius-ein-spätantiker-Barde-des-Moseltals

Ausonius — ein spätantiker Barde des Moseltals

von  Michael P. Schmude, Lahnstein     [aus: Scrinium 40,1 (1995), 3-9]

Decimus Magnus Ausonius erblickte das Licht der Welt um das Jahr 310 nach Christi Geburt in Burdigala, dem heutigen Bordeaux. Maßgeblichen Einfluss auf die berufliche Entwicklung des Jungen zum Rhetor übte sein Onkel mütterlicherseits Aemilius Magnus Arborius in Tolossa (Toulouse) aus, nach dem er auch den Beinamen Magnus erhielt. Als dieser von Kaiser Konstantin nach Byzanz berufen wurde, um dort die Erziehung und Ausbildung der Prinzen zu übernehmen, kehrte Auson in seine Heimat Burdigala zurück, um dort seine rhetorischen Studien zu vervollständigen; 334 erhielt er von der dortigen Gemeinde einen Lehrstuhl für Grammatik, später auch Rhetorik.

Seiner Ehe mit der vornehmen Attusia Lucana Sabina entsprangen zwei Söhne und eine Tochter; Frau und ältester Sohn starben früh. Sein bedeutendster Schüler aus der damaligen Zeit war Paulinus von Burdigala, aus angesehenem Geschlecht, der spätere Bischof von Nola in Kampanien.

Durch seine erfolgreiche Lehrtätigkeit wurde er auch über die engeren Grenzen seiner Heimat hinaus berühmt, und als der Kaiser Valentinian I. für den sechsjährigen Thronfolger Gratian einen Erzieher suchte, fiel seine Wahl auf den gallischen Professor, der nun 365 von der Garonne in die Mosel- und kaiserliche Residenzstadt Trier zog.

Im Gefolge der beiden Kaiser – Valentinian hatte seinen jungen Sohn Gratian zum Mitregenten ernannt – nahm Ausonius im Jahre 368 an dem Feldzug gegen die Alemannen teil, die am Neckar und bei Lupodunum (Ladenburg bei Heidelberg) geschlagen wurden. Als Kriegsbeute brachte der etwa 60jährige Witwer ein kleines Schwabenmädchen Bissula mit, das er sorgfältig aufzog und in einigen kurzen Liedchen beschrieben hat.

Bald nach seiner Rückkehr von dem Feldzug, 370 oder 371, schuf Auson – wohl auch auf Anregung des Kaisers hin – sein poetisches Hauptwerk, das Mosellied; gleich die Einleitung zeigt den Dichter auf der Heimreise von jenem Feldzug: vom Rhein her kommend, überschreitet er bei Bingen die Nahe, um über die Hunsrückhöhen die Mosel zu erreichen. 371 wurde dem Kaiser ein Sohn aus zweiter Ehe, der spätere Valentinian II., geboren, dessen Erziehung gleichfalls Ausonius obliegen sollte; die Gunst des Kaisers ließ ihn nun stetig die Ämterleiter hinaufsteigen: nach dem Tode Valentinians I. und der Alleinherrschaft Gratians 375 wurde Auson 378 Präfekt von Gallien und Italien und 379 schließlich Konsul.

Als Gratian 383 durch den Tyrannen Maximus gestürzt und in Lyon ermordet wurde, verließ Auson Trier und verbrachte seinen Lebensabend hochangesehen in Bordeaux, wo er in den neunziger Jahren des Jahrhunderts starb.

Die Dichtung des Ausonius ist durchweg gelehrt, es finden sich zahlreiche Reminiszenzen an die archaische und vor allem klassische römische Literatur (Catull, Vergil, Horaz), Vorbilder waren ihm insbesondere kaiserzeitliche Neoteriker; seine Bildung ist demnach eine klassisch-heidnische, engen geistigen Kontakt unterhielt er zu Q. Aurelius Symmachus, dem zu der Zeit gefeiertsten (panegyrischen) Redner Roms und – wenngleich erfolglosen – Vertreter traditionell-römischen Geistesgutes. So dürfte sein Christentum und seine kaum überzeugte christliche Dichtung eher eine Konzession an den frommen Christen Gratian denn ein Abrücken von seiner heidnischen Denkweise sein, welche im mythologischen Kolorit seiner Poesie immer wieder zutage tritt; insgesamt aber geht durch sein Leben wie seine Schriften ein unverkennbarer Zug religiöser Gleichgültigkeit. Gerade auch seine enge Verwandtschaft mit den klassisch-antiken Vorgängern verleiht seiner Dichtung einen eher epigonenhaften Charakter, was aber mit der geistigen Übersättigung seines Zeitalters allgemein Hand in Hand geht.

Dieses ist – bereits vom Tode Hadrians bis tief ins 4. Jahrhundert hinein – von einem merklichen Abblühen der römischen Poesie gezeichnet: ihren Platz hat die schwung- und klangvolle Rhetorik eingenommen. Ein letztes Aufblühen konnte noch entstehen durch die Auseinandersetzung des Heidentums mit dem immer stärker aufkommenden Christentum, auf literarischem Felde ausgetragen und – wenn auch mit geringer Originalität – doch noch einmal antike Schönheit aufweisend. Ihr Hauptziel, dem alten Kultus olympischer Gottheiten damit neue Kraft zuzuführen, wurde nicht erreicht, doch musste auch die siegreiche Religion dem überlieferten geistigen Erbe einen Platz in ihrem Kosmos einräumen; Hauptvertreter dieser vereinigenden Richtung ist Auson, neben Claudian der bedeutendste Dichter Roms in jener niedergehenden Zeit.

Es soll indes nicht verschwiegen werden und wurde schon angedeutet, dass die Gedichte auch des Ausonius mehr ihres stofflichen Inhaltes als ihres poetischen Niveaus wegen für uns von Reiz sind; und auch bei der Mosella ist es eher die Schönheit des Flusses und seiner Ufer, welche diesem Epyllion eine Wertschätzung eingetragen haben, mit der sein dichterischer Gehalt nicht ganz Schritt zu halten vermag.

Diese – zeittypischen – Merkmale ändern nun nichts daran, dass Ausons Moselgedicht ein bemerkenswertes Werk ist und bleibt; es verherrlicht das Land und seine Bewohner aller Stände, seine Hauptstadt Trier, die damals wie heute beeindruckende Blume seines Weines, den Schiffsverkehr auf dem Strom selbst und alle seine Nebenflüsse.

Seinem Charakter nach ist die Mosella als ein ,Empfehlungsgedicht‘ zu bezeichnen: ähnlich der neuen Residenz Konstantinopel sollte auch Trier durch das Lied eines ,Hofpoeten‘ gehoben werden, welcher deren Sicherheit und Frieden noch später in einem Gedichtzyklus preisen sollte; nicht ohne Grund bewundert er zu Anfang des Moselliedes die Mauern des neubefestigten Bingen. Vor dem Hintergrund der Bedrohung durch die Barbaren jenseits des Rheins fast gegenüber der Stadt – die auch bald nach dem Tode des Dichters viermal hintereinander von Vandalen, Goten und Hunnen zerstört und geplündert wurde –, der Erlebnisse des Ausonius selbst, welcher die Verwüstung Kölns durch die Franken miterlebt hatte, der Barbarenherrschaft über die meisten Städte der Rheinlinie zur damaligen Zeit wird verständlich, warum der Kaiser seinen Dichter mit den höchsten Ehren am Trierer Hof zu halten suchte und dieser so auffällig den Ruhm des bedrohten Grenzlandes anstimmt, in welchem so mancher sich nicht mehr recht wohl gefühlt haben wird. Jedenfalls fand das Gedicht großen Beifall, und wenngleich etwa Symmachus in einem Brief an Ausonius bei allem Lob für die poetische Leistung Zweifel an den Angaben als solchen nicht verhehlt, wurde es weit im gesamten Reich verbreitet und gelesen.

Die Mosella untergliedert sich in 11 Abschnitte von unterschiedlicher Länge:

Der erste (v. 1-22) nennt den Ausgangspunkt des Dichters: Bingen an der Mündung der Nahe in den Rhein, neu befestigt durch Kaiser Julian im Jahre 359, drei Jahrhunderte zuvor Schauplatz eines Sieges des Sextilius Felix im Bataverkrieg über den Trevererführer Tutor 71 n. Chr. (Tac. hist. 4, 70), dem der Dichter hier aber übertriebene Bedeutung zumisst, indem er ihn mit Cannae vergleicht.

Der Weg führt ihn weiter in den Hunsrück hinein, der damals wenig belebt oder gar bewirtschaftet war, auf einer alten Römerstraße und wahrscheinlich mit der ,Reichspost‘. Erste Stationen sind Dumnissus, das heutige Kirchberg, welches sich noch in diesem Jahrhundert durch ein Pumpwerk sein Wasser aus der Senke holte, und Tabernae, ein gängiger Name für Weiler aus Schenken und Läden an verkehrsgünstigen und wasserreichen Orten; sie sind nicht mehr mit Sicherheit zu lokalisieren, man denkt an Belginum, den heute so genannten ‚Stumpfen Turm‘ bei Hinzerath, kaum jedoch etwa an Bernkastel. Die Gefilde der Sarmaten – ursprünglich ein skythischer Volksstamm und ein für Rom ebenso gefährlicher Nachbar wie die Germanen –, welche der Dichter gleichfalls durchquert, können nur ganz ungenau bestimmt werden; diese wurden nach dem üblichen Verfahren nach jeder Niederlage in großer Zahl in den römischen Provinzen als halbfreie, steuer- und kriegsdienstpflichtige Coloni angesiedelt, und um solche Siedlungen dürfte es sich auch bei denen der Sarmaten im Triererlande handeln. Nach diesen Ortschaften verlässt Ausonius das Waldgebiet des Hunsrücks und betritt die freie Ebene: Neumagen (Trier) im belgischen Vorlande, die Residenz des Kaisers Konstantin, ist erreicht. Prachtvillen an den Flussufern, rebenbewachsene Hügel und die ruhig dahinfließende Mosel lassen ihn an seine Heimatstadt Burdigala denken.

Nach diesen mehr einleitenden Versen geht der Dichter zu einem allgemeinen Lob des Flusses Mosel selbst über (v. 23-74): nach einigen Grußversen an den Strom, seine Reben und sein grünendes Umland sowie seine Kaiserstadt Trier kommt Ausonius auf die Vorzüge der verschiedenen Gewässerarten zu sprechen, welche die Mosel allesamt in sich vereine – die Schiffbarkeit des Ozeans, die kristallklare Tiefe des Sees, die freundliche Naturlandschaft des Baches und das kühlende Trinkwasser der Quelle. Die Mosel weise keine reißende Strömung auf, kenne keine Heimsuchung durch Stürme, keine Gefährdung durch Klippen oder Untiefen, keine Zerteilung des Flussbettes durch Inseln. Dafür sieht er eine doppelte Strömung – einmal die natürliche der Mündung zu, sodann auch eine entgegengesetzte durch die zahlreichen flussaufwärts geschleppten Kähne, die die Flut verlangsamen und gar zur Rückkehr zu bringen scheinen. Auch der gepflegte Zustand der Moselufer ruft seine Bewunderung hervor – sie sind weder mit Schilf bewachsen noch von Schlamm überzogen, der Boden ist vielmehr mit Kies gepflastert und ermöglicht, geradeso wie in den marmorgetäfelten Hallen reicher Bürger, trockenen Fußes Zugang zum Flussbett. Die Unterwasserwelt der Mosel wird schließlich mit Fauna und Flora des britischen Meeres im Norden (Schottland) verglichen.

Letztere Betrachtung wird auch im dritten Abschnitt aufgegriffen (v. 75-149): die Fische des Stromes in all der Vielzahl ihrer Arten zu nennen ist ihm nicht möglich, doch zu den wichtigsten – Dickkopf, Forelle, Neunauge, Äsche, Barbe, Salm, Lamprete, Barsch, Hecht, Schleie, Weißfisch, Maifisch, Lachsforelle, Gründling und Stör – weiß er jeweils bestimmte Gegebenheiten zu nennen, seien es ihre Tauglichkeit zu gastronomischer Verwendung, ihre Lebensgewohnheiten, ihr Aussehen oder auch – wohl nur poetischen Zwecken dienende – Vergleiche der Bewohner des Flusses mit denen des Meeres. Bedeutsam in diesem Abschnitt noch die Erwähnung der Saar, die bei Trier in die Mosel mündet, welcher sie an Rang und Namen auch deutlich nachgestellt wird (v. 91 ff.).

Im vierten Abschnitt (v. 150-199) wendet sich Ausonius vom Strom und seinen Bewohnern zum Ufer und zu den rebenbewachsenen Hügeln, die sich hier wie ein Theater dem Anblick aufrollen: gleich den Sitzreihen um die Bühne erheben sich rings die Hügel mit ihren grünenden Reben; der Dichter vergleicht die bekannten Weingebiete am Gaurusgebirge (am Golf von Neapel von Baiae bis Puteoli / Pozzuoli), in der thrakischen Landschaft Rhodope (einem Teil des Haemosgebirges), am Pangäischen Berg (östlich der Mündung des Strymon ins Thrakische Meer) und von Ismarus (Berg und Stadt westlich der Hebrosmündung in die Nordägäis), zuletzt seines eigenen Heimatflusses, der Garonne. Vom Ufer der Mosel hinaus bis zu den Spitzen der Bergwände wachsen die Reben, und ein fleißiges, fröhliches Volk von Winzern bebaut die Weinhänge. Ein Exkurs schildert das bunte Treiben der Faune, Pane, Satyrn, Nixen und Nymphen der Mosel und ihrer umgebenden Landschaft. Schließlich wird die im Abendrot zwischen den grünbemäntelten Hängen dahinfließende Mosel dichterisch nachempfunden.

Der fünfte Abschnitt (v. 200-239) befasst sich mit dem munteren Spiel der Flussschiff er; Auson vergleicht ihr lustiges Treiben mit den spielerischen Vorführungen der Amoren für Venus zur Feier des Sieges Octavians über Kleopatra bei Actium, oder der Barken auf dem Avernersee nach der Niederlage des Pompeius bei Mylae (heute Milazzo an der Nordküste Siziliens – gemeint ist die Seeschlacht Agrippas gegen Sextus Pompeius, den jüngeren Sohn des großen Gegenspielers Caesars, im Jahre 36 v. Chr.), die der wandernde Bacchus von den Rebenhöhen des Vesuvs aus sehen könne, wenn er auf das Kymäische Meer herabschaue. Besonders fasziniert ist Ausonius von der Reinheit des Moselwassers, dessen kristallklares Spiegelbild dem eines herkömmlichen Spiegels in Nichts nachstehe.

Der sechste Abschnitt (v. 240-282) behandelt ein dem Dichter weniger angenehmes Thema – den Fischfang an der Mosel. Zunächst werden die verschiedenen Fangarten geschildert, sei es vom Ufer aus oder auf dem Strom selbst, mit Angel oder mit dem Netz. Ausonius beklagt den Unverstand des Wasservolkes, das den Listen der Fischer nicht entgehen könne, und beschreibt ausführlich den verzweifelten Todeskampf der gefangenen Tiere auf dem Lande. Bemerkenswert, dass er den Tod der Fische auf die für sie giftige Luft und nicht auf die Unfähigkeit ihrer Kiemen zurückführt, den Sauerstoff in der Luft aufzunehmen. Aber auch auf die Möglichkeit des unerwarteten Entkommens eines einmal gefangenen Fisches geht er ein und verknüpft die Reaktion des getäuschten Anglers mit dem Mythos vom böotischen Fischer Glaukos (vgl. Ovid met. 13, 904 ff.), welcher (nach Ausonius‘ Darstellung) durch den Genuss eines Zauberkrautes der Circe ungewollt selbst zum Fisch geworden war.

Der siebte Abschnitt (v. 283-348) beschreibt die architektonische Umgebung der Mosel: die Flussufer gesäumt von verschiedenartigsten Landhäusern und Villen, deren Schmuck- und Formenreichtum einen großen Architekten verrieten, was Auson wiederum Anlass zu Vergleichen mit anderen berühmten oder auch nur sagenhaften Baumeistern der Antike gibt. Die Lage der Häuser selbst – nahe auf beiden Flussufern einander gegenüber und getrennt nur durch den hier schmalen Strom – hatte zuvor schon den Vergleich mit einem solchen Bild am Hellespont herausgefordert, wo ein reißender Ozean zwei Kontinente scheide und im Gegensatz eben hier zur Mosel keinen Kontakt zwischen ihnen ermögliche. Im Besonderen kommt er noch auf die Badehäuser zu sprechen, die denen der berühmten Badegegend Baiae bei Cumae durchaus nicht nachstünden, höchstens maßvoller ausgestaltet seien; ein kühles Bad in der Mosel gegen die Prozedur des ,Saunaganges‘ einzutauschen findet allerdings sein volles Verständnis.

Der achte Abschnitt (v. 349-380) bietet die wichtigsten Nebenflüsse der Mosel; unmöglich, alle zu nennen, führt er als erste die durch die Bäche Prüm (Promea) und Niems (Nemesa) vergrößerte Sauer (Sura) an, sodann die fischreiche Kyll (Celbis) und die durch ihren Marmor berühmte Ruwer (Erubris), die auch noch zum Betrieb von Kornmühlen genutzt werde. Kleinere Bäche sind Thron (Drahonus), Lieser (Lesura) und Salmbach (Salmona); einige Beachtung findet bei ihm auch die Saar (Saravus), die sich nach ihrem langen Weg von den Vogesen hier schließlich in die Mosel ergießt. Für Auson wichtig ist ihre Schiffbarkeit und starke Strömung; weit übertreibt er allerdings, wenn er im Folgenden die Elz (Alisontia) der Saar an Wassermenge gleichstellt. Am Ende gerät Ausonius geradezu in schwärmerische Begeisterung, wenn er die Mosel für besingungswürdig einem Homer oder Vergil hält, Dichtern, die durch ihr Lied den Fluss gar über den Tiber erhoben hätten.

Im neunten Abschnitt (v. 381-414) will Ausonius auf die Menschen des Mosellandes eingehen, doch kommt er nur bis zu einer allgemeinen Charakteristik – in Kriegstüchtigkeit, Redegewandtheit und Frohsinn, in strenger Tugend und Gerechtigkeit –, bevor er sich auf sein eigentliches Thema, die Mosel selbst, zurückbesinnt und ankündigt, im Alter alle großen Männer Belgiens im Liede zu verherrlichen, doch auch die bedeutenden Zeitgenossen innerhalb des gesamten Imperiums nicht zu vergessen.

Und so gelangt er im zehnten Abschnitt mit der Mündungsbeschreibung der Mosel in den Rhein (v. 415-437) zum Ende seines Preisgedichtes: war im achten Abschnitt die Mündung der verschiedenen Nebenflüsse noch als ein völliges Aufgehen in der Mosel und eine Aufwertung für die einmündenden Gewässer dargestellt worden, so ist der Zusammenfluss von Mosel und Rhein im Sinne eines gleichberechtigten Nebeneinanders in einem Bette und einer Bereicherung insbesondere für den Rhein zu verstehen (ohne dass ihm der Dichter damit allerdings seine Bedeutung nehmen will). An zeitgeschichtlichen Anspielungen finden sich hier die Siege Valentinians I. und Gratians über die Alemannen an Neckar (Nicer) und bei Ladenburg (Lupodunum) i. J. 369 (s.o.) sowie eine Schlacht an den Donauquellen, die zwar von den römischen Historikern noch nicht erwähnt worden sei, von deren Triumphzug in Trier die Wasser der Mosel nun dem Rhein kündeten. Und zum wahren Grenzwall gegen die germanischen Stämme der Franken, Chamaven und anderer werde der Rhein erst im brüderlichen Verbünde mit der Stärke der Mosel.

So endet das Mosellied; der Epilog (v. 438-483) gibt zunächst eine kurze Selbstvorstellung des Dichters: Ausonius, ein Römer von Namen und Gastrecht im belgischen Lande, aus dem Volke der Vivisker, geboren im gallischen Aquitanien nahe den Pyrenäen. Er bittet um Nachsicht für das bescheidene Niveau seiner Dichtung und verspricht, sobald seine äußere Lage wie seine innere Verfassung es zulassen, nochmals den Preis auf die Mosel anzustimmen und ausführlicher auch auf all ihre Städte und sonstigen Örtlichkeiten einzugehen.

Höchstes Lob zollt er der Mosel noch einmal im Vergleich mit den Flüssen seiner gallischen Heimat, die alle genannt und jeweils kurz charakterisiert werden: Loire (Liger); die reißende Aisne (Axona); Marne (Matrona), der Grenzfluss zwischen Gallien und Belgien; Charente (Carantonus), die vom Santonischen Busen her Ebbe und Flut empfängt; Dordogne (Duranus); Tarn (Tarnis); Adour (Aturrus) im tarbellischen Lande (am Golf von Biscaya); Drome (Druna); Durance (Druenta); Rhône (Rhodanus), die in den Alpen entspringt; und schließlich gar die Garonne (Garunna) am Atlantik, der Fluss seiner Heimatstadt Bordeaux – welche allesamt ihr Haupt verneigen müssen im Preise der Mosel.

Anhang

Die Verwurzelung des Ausonius im poetischen Erbe der lateinischen Literatur ist vielfach Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung gewesen; einen Überblick entsprechender Arbeiten gibt Woldemar Görler, Vergilzitate in Ausonius‘ Mosella, in: Hermes 97 (1969) S. 94-114, hier 94, Anm. 1/2. Zusammenstellungen der unzähligen literarischen Anklänge im Detail finden sich bereits in den Mosella-Ausgaben von Rudolf Peiper (Leipzig 1886, ND 1967), Karl Schenkl (Berlin 1883) und Karl Hosius (Marburg 31926). Görler a. O. erweitert die Fragestellung um den Blick auf die besondere Funktion erkannter Zitate in ihrem jeweiligen Textzusammenhang: als Beispiel gleich zu Beginn sei stellvertretend die Ankunft des Dichters im Moseltal (v. 12-17) genannt, welches Ausonius vor dem Hintergrund der vergilischen Zeichnung des Elysiums (im 6. Buch der Aeneis) nach der Wanderung durch die dunklen Gefilde der Unterwelt, insbesondere ihrer Flüsse Acheron und Styx, dem Waldgebirge des Hunsrück und der Nahe gegenüberstellt. Überhaupt sind es Anklänge an die Unterwelt, welche Ausonius hier  nach Darstellungen bei Vergil (weiter Aen. 6, 237-41; 7, 563-71), Ovid met. 4, 432 ff, 10, 53f.) und Lucan (b.c. 6, 642-53; vgl. auch 3, 399-413) als finstere Folie der Lichtwelt des Moseltales vorhält (noch einmal auf die Flüsse bezogen Mos. 45f. gegenüber georg. 4, 478-8o und Aen. 6,415f.). Eine doppelte Ebene des Vergleiches zeigt Görler (a. O. 104-09) auf in der Gleichsetzung der Mosel (Mos. 18-22) einmal (dem Wortlaut nach) mit der Garonne und Bordeaux aus der Heimat des Dichters, zugleich aber (ib. 20 ff., 27-32, 381-88, 454-60) durch Anklänge an georg. 2, 136-76 auch mit den laudes Italiae und damit der Heimat Vergils, insbesondere Kampanien (zur Ausweitung des Vergleiches schließlich noch auf die Städte des Orients Görler 110-14).

Auch für den Vergleich der Schifferspiele auf der Mosel (Mos. 211 ff.) mit den ludi Actiaci (vgl. Horaz epist. 1, 18, 61f.) und den Vorführungen der Amoretten für Venus nach Aktium liefert Vergil den Hintergrund mit seiner Darstellung der Seeschlacht in der Schildbeschreibung Aen. 8, 675 ff.

Der Beginn der Mosella als Reisebeschreibung erinnert sogleich an Horazens Iter Brundisinum (sat. 1, 5), dem Epos wie dem Lehrgedicht gehören die vier Kataloge (Mos. 77-149: Fische in der Mosel / 298-320: griechische Architekten / 349-74: Nebenflüsse der Mosel / 461-68: Flüsse Galliens) an; Ekphrasis (Mos. 150-99: die Weinhänge der Mosel – vgl. den bakchischen Thiasos auf der Ariadne-Decke in Catulls carm. 64, 251-64 / Mos. 321-48: Villen an den Flussufern), Enkomion (Mos. 374-8o: die Mosel ein Thema sogar für Homer und Vergil; 469 ff. u.a.) und Sphragis (Selbstdarstellung des Dichters – Mos. 438-52) geben einen Eindruck von der rhetorisch-stilistischen Kunst des Ausonius.

Eine Textausgabe der Mosella mit metrischer Übersetzung von B.K. Weis ist 1989 in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft (Darmstadt) erschienen; ebendort in der Reihe WdF die von M.J. Lossau herausgegebene Aufsatzsammlung zu Ausonius (1991), darin auch Görler (s.o.).

Septem-Artes-liberales

Septem-Artes-liberales

Allgemeinbildung versus Erwerbs(aus)bildung – das Eine etwas für OECD-Studien, das Andere zur Bewältigung des realen, und das heißt zunächst einmal: des beruflichen Alltags ? Der Gegensatz hat eine Geschichte, und die reicht – wie überraschend – bis ins Altertum, er hat aber auch eine Gegenwart, denn es rühren sich im universitären Bereich durchaus Überlegungen, dem Bemühen zur Erlangung allgemeiner Berufsreife eine Studienphase zum Erreichen einer allgemeinen Studierfähigkeit vorzuschalten (dies war bis vor einiger Zeit noch einer anderen Institution vorbehalten, welche es so aber auch nicht immer gegeben hat); als Septem Artes Liberales, die ‚Sieben Freien Künste‘, stehen sie jedenfalls in einer langen akademischen Tradition.

Dabei bezeichnet Ars weniger die ‚Kunst‘ im heutigen Sinne, sondern eher Fertigkeit und Befähigung, Liberalis den (antiken) ‚freien Menschen‘, welcher sich – im Unterschied zum Bediensteten – für solche Beschäftigungen den entsprechenden Freiraum schaffen und leisten konnte. Den Gegenbegriff bildeten die Artes mechanicae, praktische ‚Künste‘ – also jede Art von Handwerk, aber auch Bildende und Baukunst sowie Landwirtschaft –, welche unmittelbar auf den Broterwerb abzielten und nicht zuletzt im Bereich klösterlichen Lebens Anerkennung fanden. Analog wurden darum auch sie ab dem 12. Jahrhundert (Dominicus Gundisalvi verstand sie im Rückgriff auf Aristoteles als angewandte Geometrie) in der Siebenzahl kanonisiert, doch bereits im 9. Jh. werden von dem Iren Johannes Scottus Eriugena zusammengestellt die Ars vestiaria (Bekleidung), agricultura (Landwirtschaft), architectura (Baugewerke), militia/venatoria (Kampf und Jagd), mercatura (Kaufmannsgewerbe), coquinaria (Kochkunst) und metallaria (Metallverarbeitung).

Daß Architektur und auch Medizin zum Kanon der Artes mechanicae und nicht der Liberales gehören, wurde in der Spätantike von Martianus Capella (s.u.) ausdrücklich vermerkt (der römische Universalgelehrte Varro behandelt sie gleichwohl im 1. vorchristlichen Jh. in seinen Disciplinae) und findet sich entsprechend in der dann maßgeblichen Ordnung des Hugo von St. Viktor, Leiters einer Pariser Klosterschule (seit 1133) wieder. Zugleich wurde in der Unterscheidung zweier Gruppen von Artes und vor allem des Zuganges zu ihrem Studium wie ihrer Ausübung eine soziale Differenzierung deutlich: der Liberalis mußte sich die Lebensweise entsprechend der seiner würdigen Artes leisten können, er war von Erwerbsarbeit befreit, die Werktätigen bedurften ihrer praktischen Künste als Lebensgrundlage. Die gesellschaftliche Entwicklung hat das bekanntlich – zumindest im Rahmen der abendländischen Geschichte – und zum Glück modifiziert.

 

    Trivium                                                       Quadrivium

 

                                                                                                Arithmetik

 

Grammatik
Musik

 

Rhetorik
Geometrie

 

Dialektik
Astronomie

 

Die ‚Freien – mithin zunächst einmal dem Bereich der Theorie angehörenden – Künste‘ setzen sich zusammen aus dem:

a.) sprachlichen Dreiweg, dem Trivium aus Grammatik, Rhetorik und Dialektik,

sowie dem

b.) mathematisch-realen Vierweg, dem Quadrivium aus Arithmetik, Musik, Geometrie und Astronomie.

Unter Grammatik verstehen wir die Sprachlehre, mutter- wie fremdsprachlich. Die Rhetorik, ursprünglich die Lehre von der (gesprochenen) Rede, erweitert sich seit der Spätantike zu einer Lehre vom sprachlichen Ausdruck und der Literatur überhaupt. Dialektik steht für gedankliche Logik in Gespräch wie Text sowie (an der Universität) in der gelehrten Disputation. Die Arithmetik handelt von den Zahlen und dem, was in ihrem Zusammenspiel zum Ausdruck kommt. Musik ist Harmonielehre und begreift das Verhältnis der Töne zueinander (Akkorde, Intervalle) in Zahlen (Terz, Quart, Oktav …). Lehre und Bemessung von Strecke, Fläche und Körper (mit Lineal und Zirkel) ist Gegenstand der Geometrie, die darin von der (mit Landkarte und Globus) beschreibenden Geo-graphie zu unterscheiden ist. Die Astronomie beschäftigt sich mit den Himmelskörpern, den Umlaufbahnen der Planeten, den Sternbildern.

Als Artes sind sie im (späten) Hellenismus (um 100 v. Chr.) kanonisiert, von dem Juristen Martianus Capella aus Karthago 419-39 schließlich in seinem satirisch-philosophischen Lehrgedicht De nuptiis Philologiae et Mercurii (‚Über die Vermählung der Philologie mit Merkur‘) systematisiert worden (dort übergeben sie als Brautjungfern ihr Wissen als Hochzeitsgeschenke). Eine weitere Gesamtdarstellung finden wir an der Schwelle zum Mittelalter in den ersten drei Büchern des Kompendiums Etymologiae des Bischofs Isidor von Sevilla († 636) und in der Enzyklopädie De rerum naturis des Mainzer Erzbischofs (847) Rabanus Maurus.

Seit dem 7./8. Jh. stellen die Artes Liberales in den (westlichen) Kloster- und Lateinschulen die Grundlage der mittelalterlich-abendländischen Bildungsordnung bis hin zu Humanismus (Erasmus von Rotterdam 1466-1536) und Barock (Jan Amos Comenius 17. Jh.) dar. Sie werden später – so etwa der Bildungsgang Martin Luthers – als Propädeutik für die ‚Höheren Fakultäten‘ Theologie – Medizin – Recht von den ‚Artistenfakultäten‘ der Universitäten gelehrt. Die Facultas Artium verlieh als ersten akademischen Abschluß den Grad eines Baccalaureus Artium; sodann setzte der ‚Baccalaureus‘ (bereits mit teilweiser Lehrerlaubnis) sein Studium in einer der oben genannten Fakultäten fort, oder aber er verblieb ‚Artist‘ nach erfolgreicher weiterer Prüfung zum Magister Artium (mit voller licentia docendi) – moderne ‚Anklänge‘ sind durchaus nicht zufällig (ob die inhaltlichen ‚Füllungen‘ indes übereinstimmen, sei hier einmal eine andere Frage) …

Der ‚Magister‘ wurde seit dem 15. Jh. mehr und mehr durch den Doctor (philosophiae) ersetzt, die Artistenfakultät zur Vorläuferin der Philosophischen, und die jetzt vier Fakultäten, von denen eine Universität neben den Artes liberales mindestens eine der Höheren aufweisen mußte, bildeten im Idealfall das Studium generale. In diesem Sinne entbehrt es nicht der Konsequenz und Stimmigkeit, wenn die Artes Liberales von Neuem in den Blickpunkt der modernen Universität geraten sind: so hat in der Nachfolge US-amerikanischer allgemeinbildender liberal arts studies bzw. colleges die Universität Freiburg einen entsprechenden Bachelor-Studiengang eingerichtet, das Leibniz-Kolleg ein Studium generale, befinden sich in Berlin das (private) European College of Liberal Arts, in den Niederlanden University Colleges in Amsterdam, Maastricht und Utrecht; mit ihnen wird an die berufs- wie wissenschaftspropädeutischen – und sich von diesen Ausbildungsbereichen gerade abgrenzenden – Anliegen der humanistischen Artes des 15. und 16. Jahrhunderts sowie die damit verbundene Studienstruktur angeknüpft.

Michael P. Schmude,  Boppard