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Rhetorik-und-Jugend-debattiert

Rhetorik-und-Jugend-debattiert

Rhetorik und Jugend debattiert im Altsprachlichen Unterricht

 von  Michael P. Schmude,  Boppard       DAU 48, 2+3 (2005) 94-96

 

Rhetorik ist überall – nicht nur in einschlägigen Situationen des schulischen Alltags wie Referat vor der Klasse, Vorstellung in der Schülermitverwaltung oder Debatte mit Lehrenden über die Note, auch in der Spracherlernungsphase begegnen die Schülerinnen bereits Rednern und ihrer Kunst: zunächst natürlich und an durchaus unterschiedlicher Stelle im Lehrbuch als Gegenstand von Sachtexten, vermitteln Forum oder Agora als Handlungsbühne öffentlichen Geschehens in den lateinischen bzw. griechischen Lektionen einen Eindruck von Erfordernis und Macht des gesprochenen Wortes1. Sprachreflexion, Übersetzungsarbeit und erste Beobachtungen zur Aussagefunktion von Stilmerkmalen schulen den bewussten Umgang mit den eigenen Ausdrucksmöglichkeiten, Lektüren (Reden Ciceros, in Caesars Commentarii, Ovids Metamorphosen oder [im Übergang zur 11] Sallusts Catilina) zeigen die rhetorisch-stilistische Form wie inhaltlich-argumentative Struktur literarischer Sprache in Dichtung und Prosa2, ergänzt durch Überlegungen zur Wirkung von Körpersprache3, und den Schülern wird ab einer gewissen Sprachkompetenz – zumal unter Hinführung durch die Lehrperson – bewusst, dass Redekunst sich nicht erschöpft an ihren klassischen Orten = vor Gericht, im Parlament oder vor der Festcorona.

 

Entsprechend setzt eine Unterrichtsreihe Jugend debattiert bereits ab der Klassenstufe 8 mit einem auf acht Stunden ausgelegten Kerncurriculum und weiteren bis zu sechs Vertiefungsstunden (Schwerpunkt: freie Rede vor der Klasse) ein, in welchem von den kanonischen Arbeitsgängen des Redners nach Cicero (de Or. I 142) und Quintilian (inst. III 3,1) – inventio, dispositio, elocutio, memoria und pronuntiatio – herkommend Debatten in ihren Bauteilen vorbereitet und als Ganze eingeübt werden. Unterschieden von der Debatte zur Klärung von (geschlossenen) Entscheidungsfragen praktischer Natur („Sollen Lehrer durch ihre Schüler benotet werden ?„, „Soll das Rauchen an Schulen generell verboten werden ?„) sind die Diskussion zur Klärung von (offenen) Sachfragen (Wer, wo, wie…?) sowie die Disputation mit ihrer theoretischen Fragestellung zur Klärung von Voraussetzungen (Alternativfragen – „Ist der Mensch eher durch Naturveranlagung oder durch Umweltfaktoren disponiert ?„), wenngleich die rednerische Praxis sich die Mischung zunutze macht. Vielfältige Erarbeitungstechniken kommen zum Einsatz: Fragenfächer (W-Fragen), Suchfenster nach Pro und Contra (neudeutsch mindmap), Begriffsbaum (Arbor Porphyrii) – die Anlage der Unterrichtsreihe ist fächerübergreifend und die solchermaßen eingeführte und erarbeitete Debatte als Unterrichtsform überall da anwendbar, wo sich Unterrichtsinhalte zu Entscheidungsfragen verdichten: Debattieren – die Königsdisziplin der Rhetorik.

 

In Latein wie Griechisch weist der Oberstufenlehrplan in Rheinland-Pfalz einen eigenen Platz für Rhetorik in Grund- wie Leistungskurslektüre aus: als historisch-politische Prosa lässt der Dialogus de oratoribus des Tacitus drei bedeutende Redner ihre Profession reflektieren und zugleich den Niedergang republikanischer eloquentia vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Veränderungen im Prinzipat erörtern. Unter dem Stichwort Bios werden theoretischer Programmatik (Isokrates, Aristoteles) Beispiele angewandter Redekunst (Gorgias‘ Helena, Agathon in Platons Symposion, Lysias, Paulus) in ihrem psychagogischen wie agonalen Charakter gegenübergestellt.

 

Der Kern des Unterrichtscurriculums Jugend debattiert ist in der Oberstufe identisch dem auf der Mittelstufe, Schwerpunkt der Vertiefungsstunden hier aber die begriffliche Präzisierung und Ausgestaltung der Argumente. Mit den Überzeugungsebenen der Rhetorik: Ethos – die Glaubwürdigkeit des Redners; Pathos – Gefühlsmanagement bei Hörer wie Sprecher; Logos – Argumentation und rhetorische Struktur sowie Kairós – rechter Augenblick oder passende Situation ist die Lektüreauswahl beider Alter Sprachen für die Oberstufe verzahnt4.

 

Der Debattierwettbewerb von der Schul- bis zur Bundesebene: im Klassen- wie Kursverband tragen je vier Debattierende zu einem Thema allgemeineren gesellschaftlichen Interesses in Eröffnungsreden von jeweils zwei Minuten ihren Standpunkt Für oder Wider vor; diese monologische Struktur wird in der anschließenden Freien Aussprache von einer dialogischen abgelöst, in welcher die Argumente (ohne Moderator) ungebunden, aber nicht ungeregelt aufeinandertreffen. Eine einminütige Schlussrede gibt einem/r Jeden Gelegenheit zu resümierender und begründender Bestätigung oder auch Korrektur der eigenen Position. Grundlegend für die Debatte wie für ihre Beurteilung durch eine Jury aus Mitschülern sind die Kriterien Sachkenntnis, Ausdrucksvermögen, Gesprächsfähigkeit und Überzeugungskraft.

Die beiden Besten einer/s Klasse/Kurses qualifizieren sich für den Schulverbundwettbewerb: hier messen sich Vertretende der drei schulartübergreifend in einem Verbund zusammengeschlossenen Schulen nach den gleichen Regeln und ermitteln auf Mittel- wie Oberstufe die jeweils zwei Kandidierenden für den Wettbewerb auf Landesebene. Mitglied der Jury (aus Schüler-, Eltern- und Lehrerschaft) ist hier5 stets auch ein Lehrstuhlinhaber für Klassische Philologie an der Universität Mainz. Die Anzahl der Schulverbünde und damit auch der Qualifizierten eines Bundeslandes für das Bundesfinale in Berlin schließlich richtet sich nach seiner Bevölkerungszahl.

 

Dr. Michael P. Schmude, Schillerstraße 7, D-56154 Boppard-Buchholz,

m.p.schmude@web.de, Landesbeauftragter Jugend debattiert Rheinland-Pfalz

 

 

Anmerkungen:

1Kantharos, hg. v. Elliger/Fink/Heil/Meyer (Klett, Stuttgart1982 ff.) lect. 6, 9, 30/36, 33, 45, 50, 58; Hellas, hg. v. F. Maier (Buchners, Bamberg 1996 ff.) cap. 34 und 42; Cursus Continuus A, hg. v. G. Fink / F. Maier (ebda. 1995 ff.) lect. 32 und 35; Lumina, hg.v. H. Schlüter (Vandenhoeck, Göttingen 1998 ff.) lect. 19 und 20. –

2Beispiele aus möglichen Mittelstufentexten, die nach dem System der antiken Rhetorik gearbeitet sind: Terenz, Ad. 26-81a (Micios Erziehungsprogramm), rhetorische Analyse dazu Vf. in: RhM N.F. 133 (1990) 298-310; Ovid Met. X 16-48 (Rede des Orpheus in der Unterwelt), dazu R. Glaesser in: AU 38,3 (1995) 29-39. – Rhetorik in Praxis (Cic. Sest.) und Theorie (de inv.) sowie geschichtliche Stationen ihrer Bewertung D. Schmitz ebda. 41-53. –

3Praktizierte Rhetorik – Gestik und Körpersprache in antiker und moderner Theorie: Quint. inst. XI 3, 92-120 – dazu P. Wülfing in: AU 36,1 (1994) 45-63. –

4Grundlegend für Geschichte wie System der antiken Rhetorik nach wie vor der Artikel <Rh.> von H. Hommel im LAW; Rhetorik und Rom in: AU 39,1 (1996); moderne Einführung G. Ueding /B. Steinbrink: Grundriss der Rhetorik. Geschichte, Technik, Methode (Stuttgart/Weimar 31994); umfassende Aufarbeitung aller Erscheinungsformen von und um Rhetorik in ihrer inhaltlichen wie geschichtlichen Entwicklung bis heute durch das vielbändige Historische Wörterbuch der Rhetorik (Tübingen 1992 ff.).

5Dazu im Einzelnen Vf. in: Profil 1-2 (2004) 16/18.

Prosodie – Metrik – Rhythmus in der antiken und nachantiken Literatur

Prosodie-Metrik-Rhythmus

Prosodie – Metrik – Rhythmus                                                                                in der antiken und nachantiken Literatur

von     Michael P. Schmude                                  

 

Inhalt: Prosodie S. 1-17; Metrik S. 17-33 [Appendix 1: Zäsur S. 33-49]; Rhythmus S. 49-79 [Appendix 2: Synkope S. 79-85].

[Vorbemerkung: überarbeitete und fortlaufend ergänzte Fassung der entsprechenenden Artikel im HISTORISCHEN WÖRTERBUCH DER RHETORIK, hg. von Gert Ueding (Tübingen und Berlin/Boston 1992-2015); M.P. Schmude <Materialien zur römischen Metrik (Bad Kreuznach 1994) [Impulse – Heft 10]> sowie <Einführung in die lateinische Prosodie und Metrik> (Mainz 2013), in: Impulse – Heft 15, S. 79-89.]

 

Die vollständige Fassung (85 pp.) der hier jeweils nur angerissenen Artikel findet sich unter obenstehendem (grünen) Link → auf der ‚Innenseite‘ …

 

Prosodie: (griech. prosōdía; lat. accentus, sonus vocis, tenor; engl. prosody; frz. prosodie; ital. prosodìa)

A. Definition, Bereiche.

B. Historische Entwicklung. – I. Antike. – II. Mittelalter. – III. Neuzeit.

Definition, Bereiche. Im etymologisch ursprünglichen Wortsinne bezeichnet der Begriff pros-ōdía einen Zu-gesang, innerhalb der antiken griechischen Chorlyrik ein Prozessionslied, bei feierlichen Anlässen zu Flöten- oder Zitherbegleitung gesungen, Kultgesänge insbesondere für Apoll [auch Paian], unter deren Autoren neben Bakchylides für Pindar zwei [fragmentarisch erhaltene] Bücher <Pros[h]ódia> bezeugt sind) allgemeiner sodann das dem bloßen Laut Hinzu-getönte, wie im lat. ac-[aus ad-]centus [canere: singen], bzw. der Verweis auf Betonungs- oder Intonationsverhältnisse in Wort und Satz, in Lyrik und Prosa.

Dem musikalischen Akzent der griechischen Sprache entsprechend handelt es sich hierbei zunächst um die Hervorhebung einer Silbe durch Änderung der Tonhöhe oder Lautstärke; doch während der lateinische Terminus accentus auf diese primäre Betrachtung begrenzt bleibt, dehnt sich seit Aristoteles und nach ihm in hellenistischer Zeit (Alexandrinische Grammatik) <Prosodie> auf „suprasegmentale“ (d.h. größer als lautliche, mehrere Lauteinheiten überlagernde) Merkmale wie Aspiration und Silbenlänge aus und umfasst als phonetisch-phonologische Kategorie schließlich in­sgesamt Akzent, Intonation und Sprechpausen, Quantität, Rhythmus und Sprechge­schwindigkeit.

Mithin ergeben sich für die Prosodie drei Bereiche:

  1. Als Lehre von der Behandlung der Sprache im Vers (Metrik), als „Gestaltung der Sprache durch die musische Form, Rhythmus in Silbenstärke und -dauer“ (v. Wilpert) thematisiert Prosodie die metrische Größe der Silbenbetonung (Akzent) durch Tonhöhe (musikalischer oder Ton-A.), Tonstärke (dynamischer, exspiratorischer oder Druck-A. [der germanischen Sprachen]) oder Tonlänge (Quantität oder temporaler A. [der antiken Sprachen]) und ist mit der Aspiration ebenso wie mit der Natur, der Dauer und dem Verhalten der Silben im Wort befasst.
  2. Im Rahmen der Rhetorik verweist der Begriff <Prosodie> auf den Sprech- bzw. Prosarhythmus, innerhalb des oratorischen Arbeitsganges der pronuntiatio auf Betonung und Aussprache, Intonation und Akzentsetzung, Abweichung vom usuellen Betonungsmuster bei spezifischen Sprecherintentionen, auf Periodenbau sowie auf Lautstärke, Tonhöhe oder Pausen.
  3. Linguistische Prosodie behandelt sprachliche Eigenschaften und Merkmale, welche sich auf größere Einheiten als einzelne Phoneme beziehen (suprasegmentale [s.o.] bzw. prosodische Merkmale). Hier steht Prosodie auf einer Ebene zwischen Phonologie und Syntax, bezieht sich auf Laute, Silben, Wörter und Sätze.

 

Metrik: griech. metriké téchnē – Lehre von den Versmaßen und strukturbildenden Gesetzmäßigkeiten der Dichtersprache. Für die rhetorische Kunstprosa gewinnt die Verslehre insofern Bedeutung, als metrische Phänomene hier bewusst zur klanglichen Untermalung oder Verstärkung des auszudrückenden Gedankens herangezogen werden. Im System der Rhetorik somit Bestandteile des Ornatus (Redeschmuck) – hier: in verbis singulis –, sind diese in den Arbeitsgängen des Redners als Tugend der Elocutio, der sprachlichen Ausformulierung und Stilisierung, sowie der Actio / Pronuntiatio, dem Vortrag, zuzuweisen.

A. Definition: I. Metrum und Rhythmus. – II. Rhetorische Aspekte der Metrik.

B. Historische Entwicklung: I. Antike. – II. Mittelalter. – III. Neuzeit.

Definition. I. Metrum und Rhythmus. Innerhalb der M. als umfassender Vers- und Strophenlehre bezeichnet métron, metrum (Versmaß) in einem weiteren Sinne das Aufbauprinzip des Verses nach Quantität oder Akzent, bestehend aus einer regelmäßigen Abfolge von Versfüßen (pedes), in einem engeren Sinne diese pedes selbst als kleinste strukturgebende Einheiten poetisch gebundener Sprache. Die wichtigsten Gliederungsprinzipien der M. sind das quantitierende (nach langen und kurzen) der griechisch-lateinischen M. und das akzentuierende (nach betonten und unbetonten Silben) der deutschen und englischen M.; das silbenzählende der romanischen M.en sowie das akzentzählende Prinzip bilden die rhythmische Gestalt des Verses durch eine feste Anzahl von Silben überhaupt bzw. betonten Silben. Über die M. hinaus führt die Beobachtung, dass (im Griechischen und Lateinischen) jede sprachliche Äußerung in einer „irgendwie gearteten Abfolge von langen und kurzen Silben“ besteht, deren kunstgemäße Gestaltung sowohl die ars poetica als auch die ars rhetorica zum Gegenstand haben. Die kleinste, in Hebung und Senkung geregelte Abfolgeeinheit langer und kurzer Silben ist der pes, welcher nach verschiedenen Typen unterschieden wird: iambus, trochaeus, dactylus; anapaestus, spondeus … Der Unterschied zwischen den beiden artes besteht darin, daß die poetica die gesamte sprachliche Äußerung in eine regelmäßige Abfolge von Versfüßen fasst und damit das metrum konstituiert, die rhetorica dagegen in einer freieren Anordnung quantitierender oder akzentuierter Silben ihr sprachliches ‚Rohmaterial‘ durchgliedert, besonders aber das Kolon- bzw. Periodenende metrisch fügt (Klausel) und so für den oratorius numerus, den Prosa-Rhythmus sorgt. In der Dichtung wird Rhythmus durch die Spannung zwischen (wiederkehrender) metrischer Festlegung und (wechselnder) sprachlicher Füllung hergestellt, hält das metrum sozusagen das äußere Schema für den Rhythmus als Innenleben bereit. Dabei ist – historisch gesehen – für die antike Theorie der rhythmós allgemein jeder durch zeitliches Regelmaß gegliederte Bewegungsablauf, das métron der an das sprachliche Material gebundene Versrhythmus, während das Mittelalter mit rhythmi akzentuierende (lateinische und deutsche) Dichtungen im Unterschied zu den quantitierenden (lateinischen) carmina metrica, mithin verschiedene Versprinzipien bezeichnete.

 

Appendix 1:  Zäsur: (griech. tomḗ – von témnein ’schneiden‘; lat. caesura; engl. c(a)esura; frz. césure; ital., span. cesura).

A. Definition, Bereiche: 1. Allgemein. – 2. Sprach- und literaturwissenschaftlich. – 3. Antike griechisch-lateinische Metrik. – 4. Zäsur in der Musik. – 5. Klassifizierungen der metrischen Zäsur. – 6. Komma und Kolon. – 7. Zäsur in der Rhetorik.

B. Historische Aspekte: I. Antike. – II. Spätantike und Mittelalter. – III. Neuzeit.

Definition, Bereiche. 1. Der Begriff Z., abzuleiten etymologisch wie semantisch aus lat. caesura, ‚Hieb‘, ‚(Ein-)Schnitt‘ – von caedere ’schlagen‘, ‚hauen‘ (das 17. Jh. kennt ‚Caesur‘ bzw. ‚Zäsur‘ als Fachausdruck der Metrik), bezeichnet im heutigen allgemeinen Sprachgebrauch einen ‚Einschnitt‘, welcher einerseits zeitlich aufgefasst wird und ein außergewöhnliches, eine bestehende Epoche oder eine biographische Einheit, eine Entwicklung ablösendes Ereignis, einen historischen Wendepunkt markiert, und sich andererseits auf einen Sinneinschnitt oder eine Pause innerhalb eines Textes oder Vortrags beziehen kann (diese Bedeutungserweiterung entwickelt sich anfangs des 20. Jh.).

2. Ähnlich bezeichnet die Z. als sprach- und literaturwissenschaftlicher terminus technicus hörbare (→ Phonetik), also rhythmisierende und segmentierende ‚Einschnitte‘ (Pausen) innerhalb eines Verses oder eines längeren Satzes, welche – bei Sprecher wie Hörer – im künstlerischen Vortrag von Dichtung ebenso wie von rhythmisierter Prosa, in der Rezitation eines Textes oder auch einer Periode (z.B. in Prosareden) als Unterbrechung des Redeflusses zur Geltung kommen.

 

Rhythmus (griech. rhythmós; lat. numerus, oratio numerosa, auch impressio oder cursus; engl. rhythm; frz. rythme; nombre; ital. und span. ritmo)

A. I. Definition, Bereiche und Abgrenzung. – II. Musikwissenschaft. – III. Sprach- und Versrhythmus.

B. Historische Entwicklung. – I. Griechische Antike. – II. Römische Antike. – III. Spätantike und Mittelalter. – IV. Renaissance und Neuzeit.

Definition, Bereiche und Abgrenzung. In vorklassischer und vorsokratischer Terminologie bedeutet der Begriff Rh., der wohl nicht von rhéō (ich fließe) als <Bewegungsfluss>, sondern eher von erýō (ich ziehe [z.B. die Bogensehne an]) als <Spannungsgefüge [welches einer Bewegung Halt und Begrenzung verleiht]> abzuleiten ist, zunächst <Gestalt, Anordnung>. Zusammen mit dem Klang wirkt er über die sinnliche Seite der Sprache (Fuhrmann), ist, allgemein verstanden, <wohlgefällige Gliederung sinnlich wahrnehmbarer Vorgänge> (Saran), <Gliederung der Zeit in sinnlich fassbare Teile> (Heusler) oder <harmonische Gliederung einer lebendigen Bewegung in der Zeit> (v. Wilpert), mithin Grundlage natürlicher Lebensvorgänge und darum als mikro- wie makrokosmisches Ur-Phänomen sowohl auf rhythmische Grunderfahrungen des Menschen in seiner eigenen (Atmung und Herzschlag [unwillkürlich] oder Gehen und Springen [willkürlich]) und in der ihn umgebenden Natur (Welle, Pendel) als auch auf kosmische Gesetzmäßigkeiten (Gezeiten, Tag-Nacht, Sommer-Winter, Geburt-Tod) zu beziehen (Bio-rhythmik). Das sich aus Beobachtung wie Empfinden derartiger, in ähnlichem Ablauf wiederkehrender Zyklen heraus entwickelnde Zeitgefühl wird auf Sprache übertragen und konstituiert – analog zum Tanz – auch hier den Rh. als <nach Akzent, Tempo- und Tonstufen geordnete Sprachbewegung> (Kauffmann), als <Träger der zeitlichen Durchgliederung des Sprachstroms>. Etwa seit PLATON ist er als kunsttheoretischer Terminus technicus in die Musik integriert und bedeutet als táxis kinḗseōs (Ordnung der Bewegung) die unmittelbar aus der Sprache entnommene zeitliche Ordnung des Musikalischen; ARISTOXENOS, ein Schüler des Aristoteles, spricht abstrakter von der chrónōn táxis, der Ordnung von Zeiteinheiten.

Als zeitliches Struktur- und Gestaltungsprinzip, als <Urbedürfnis des ordnenden Menschen> (v. Wilpert) ist dem Rh. stets auch das Moment der Intentionalität zueigen, worin er zusammenfassende, begrenzende, verdeutlichende Aufgaben erhält. In Kult und Ritus, Tanz und Spiel, aber auch in alltäglicheren Bewegungsabläufen etwa im Arbeits- oder Marschlied, entfaltet er elementare gemeinschaftsstiftende Kraft, für Platon in der chorischen Kunst, der Orchestrik, mit ihrer Einheit von Wort, Musik und Körperbewegung durchaus erzieherische Wirkung, zumal allein die menschliche Natur über die aísthēsis táxeōs (Gespür für Ordnung) verfüge. VITRUV verankert (um 25 v. Chr.) den Rh.-Begriff ästhetisch als Maßverhältnis von Raum und Zeit in der Architektur, der spätantike, neuplatonisierende Musiktheoretiker ARISTEIDES QUINTILIANUS, Aristoxenos folgend, auch in den Bildenden Künsten überhaupt. Objekte oder Formen können sich dort zu rhythmischen Kompositionen anordnen.

 

Appendix 2 Synkope: (griech. syn-kopḗ; lat., engl., frz. syncope; ital. sìncope; span. síncopa).

A. Definition

B. Historische Aspekte. – I. Antike und Mittelalter. – II. Neuzeit.

Definition. Die S. (von griech. syg -kóptein; dt. ursprgl. zusammenschlagen) gehört allgemein zu den Möglichkeiten, ein als linear ausgedehnt verstandenes Phänomen (Haus, Strecke; Satzfolge, Satz, Wortform) durch Wegnahme eines oder mehrerer Bestandteile (Steine; Silben, Buchstaben) zu ändern. Dabei ist sie nach der Stelle dieser Wegnahme im linearen Ablauf des Phänomenganzen zu unterscheiden von der Aphärese (aph-[h]aíresis; lat. aphaeresis), der Wegnahme vom Anfang (raus statt heraus), sowie von der Apokope (apo-kopḗ; apocopé), der Wegnahme vom Schluss (z.B. Ausfall des Dativ –e): als Wegnahme aus der Mitte bezeichnet die S. in einem engeren, linguistisch-grammatischen Sinne die Subtraktion phonologischer Elemente im Inneren eines Wortes, die Ausstoßung eines unbetonten Vokals oder einer unbetonten Silbe aus artikulatorischen, grammatischen oder metrischen Gründen (gehn statt gehen, hörn statt hören; andre statt andere, ewger statt ewiger), auch wegen höheren Sprechtempos (<Allegro-Formen>: griechisch tí pote [was immer] ® homerisch típte; lateinisch viridis [grün] ® vulgärlateinisch virdis ® französisch verde). Im System der Rhetorik ordnet sich die S. innerhalb der vier Änderungskategorien, der quadripartita ratio Quintilians, der Modifizierung eines Wortes <per detractionem> zu. Wenngleich als absichtsvolle Änderung Gegenstand auch der dispositio, ist sie unter dem ersten Stilgebot der Latinitas (in verbis singulis) – nach Maßgabe des vierten: Aptum – eine Option der elocutio: dabei kann sie als aus metrischen Rücksichten und poetischer Lizenz geduldeter oder wegen des ornatus gar gesuchter metaplasmus wie als fehlerhafter (élleipsis: Mangel, Zuwenig – wieder: per detractionem) barbarismus auftreten. Quintilian nennt sie aber auch <figura in verbo>, womit sie zu den Mitteln des Ornatus zählt, des dritten Stilgebotes. Die Poetik, hier: die Metrik behandelt die S. als sprachliches Phänomen im Rahmen der Prosodie, versteht unter einer S. aber auch die Unterdrückung einer Senkung im Verssystem, z.B. bei Aischylos im iambischen Trimeter. In der Musiklehre führt die – an das Taktprinzip gekoppelte – S. (belegt seit 1631) zu einer rhythmischen Akzentverschiebung gegenüber der regulären Takt- oder Betonungsordnung, indem ein unbetonter Zeitwert (auch über die Taktgrenze hinweg) an den folgenden betonten gebunden wird, eine leichte Zeit die schwere gleichsam vorwegnimmt. Auf dem gemeinsamen Feld prosodischer Gestaltung in Dichtung wie Musik dient sie in geradezu expressionistischer Manier der Darstellung emotionaler Intensität mit den Mitteln von Rhythmus und Melodie. Als medizinischer Terminus bezeichnet die S. schon in der Antike Zusammenbruch und Entkräftung, insbes. einen Ohnmachtsanfall infolge mangelhafter Durchblutung des Gehirns bei Kreislaufkollaps.

Rhetorik-und-Komoedie

Rhetorik-in-der-Neuen-Komoedie  [aus: RhM N.F. 133 (1990), 298-310]

Rhetorik in der Neuen Komödie

von: Michael P. Schmude

[Die vollständige Fassung des hier nur angerissenen Artikels findet sich unter obenstehendem (grünen) Link → auf der ‚Innenseite‘ …]

 Die pädagogische Grundsatzrede, mit welcher Micio zu Beginn von Terenz‘ Adelphen die Bühne betritt, ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: inhaltlich bietet sie Überlegungen zu Fragen der Erziehung im Besonderen, der Lebensführung im Allgemeinen, die für die Geisteswelt der römischen Komödie unüblich sind; aber auch im Formalen stellt sie eine für diesen Dichter eher singuläre Erscheinung dar: denn wenn wir eine differenziertere Haltung zu Grundproblemen des Komödienlebens auch in den übrigen Stücken des Terenz allenthalben beobachten können, so entspricht der lange, geschlossene und – wie gezeigt werden soll – nach Regeln der téchnē rhētorikḗ gestaltete Auftrittsmonolog kaum der sonst zu beobachtenden Vorgehensweise des Autors.

Wohl ist Terenz die Bildung formal wie inhaltlich geschlossener Redeeinheiten durchaus nicht fremd, doch bezeugt Donat bereits für die Andria (zu v. 14), dass aus dem Eingangsmonolog der menandrischen Vorlage durch Hinzufügen einer weiteren Person ein Dialog wurde, und dem entspricht der Befund in den übrigen Stücken: die Handlungsgrundlagen werden jeweils in Form eines Zwiegesprächs gegeben, meist freilich mit deutlichem Übergewicht auf selten des Erzählers.

Anders in den Adelphoe: hier legt die Rede […] Unter rhetorischem Aspekt rückt die Tatsache, dass auch die Gegenseite zu Wort kommt (mit dem Publikum als ‚Richterkollegium‘), diese Passage dem genus iudiciale näher als dem genus demonstrativum oder (trotz starker adhortativer Elemente) dem genus deliberativum.