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Zu-E-Stein-Hölkeskamp-Das-archaische-Griechenland

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Elke Stein-Hölkeskamp: Das archaische Griechenland – Die Stadt und das Meer, München (Beck) 2015 [C.H. Beck Geschichte der Antike]. 302 S., € 16,95 (ISBN 978-3-406-67378-8).

Der anzuzeigende Band bildet den Auftakt einer sechsteiligen Reihe des Beck-Verlages zur antiken Geschichte, welche den Bogen vom archaischen über das klassische Griechenland sowie den Hellenismus zur römischen Republik und Kaiserzeit bis in die Spätantike spannt. In acht Kapiteln entwickelt Stein-Hölkeskamp (StH.) hierin die Geschichte des vorklassischen Griechenland zwischen dem 12. und 6. Jh. v. Chr. und erweitert damit den konventionellen Epochenansatz um das Ende der mykenischen Zeit bis über die ‚Dunklen Jahrhunderte‘ hinweg. Die Vorstellung von einer Primitivisierung nach dem Niedergang der Paläste und einer Renaissance im 8. Jh. wird im Lichte anwachsenden archäologischen Materials aus der nichtliterarischen Zwischenzeit ebenso aufgegeben wie die Annahme eines linearen und überall parallel laufenden Prozesses, der bruchlos und im Sinne einer Kausalkette notwendig von den homerischen Helden über Solon zu Sokrates, von Adelsherrschaft und Tyrannis zur attischen Demokratie, von der Archaik als Vorgeschichte zur Klassik als Höhepunkt und Abschluß führte; vielmehr zeigen sich in regional versetzten Phasen Kulturkontinuitäten wie -brüche, geht der Weg vom Fürstenpalast Homers zur Polis, vom ansässigen Bauern zum Kolonisten und Bürger in einem Nebeneinander von Handlungssequenzen, welche vormals in kontinuierlicher Abfolge gesehen wurden (S. 12-14).

Die einzelnen Kapitel fügen sich einer gemeinsamen Ordnung: nach einer einleitenden Passage, welche durchweg die frühe griechische Dichtung, aber auch Philosophie oder Herodot sprechen läßt, wird der systematische, Groß-Hellas zusammenschauende Hauptteil der Darstellung durch Fallstudien unterlegt, die am Beispiel der Mikrogeschichte einzelner Poleis Entwicklungen diachron nachzeichnen und – über die bestbezeugten Athen und Sparta hinaus – den geographischen Rahmen auf das ‚andere Griechenland‘ hin weiter abstecken, abgeschlossen wiederum durch ein Fazit, welches die Eingangs- bzw. Grundüberlegungen unterstreicht und dabei Ergebnisse der Fallstudien mit einbindet. Überdies werden die auf die Kapitel verteilten gesellschaftlichen Gruppen in den Fallstudien zusammengeführt, in deren Rahmen sie wiederum als kooperierende oder konkurrierende dramatis personae den Werdegang ihres Gemeinwesens auf je eigene Weise gestalten. Die ersten beiden Abschnitte nehmen einen gemeinsamen Bezugspunkt und beleuchten ihn aus unterschiedlicher Quellensituation und zeitlicher Perspektive: die Palastanlagen, für welche namengebend diejenige des festländischen Mykene wurde, erlebten ihre Blütezeit im 14./13. Jh. und standen ihrerseits unter dem Einfluß der jüngeren minoischen Zivilisation auf Kreta (17.-15. Jh.). Neben den architektonischen Zeugnissen etwa von Pylos und Tiryns auf der Peloponnes, Theben in Boiotien, Jolkos in Thessalien sowie zahlreicher ‚mykenischer‘ Siedlungen außerhalb dieser Zentren (und von unterschiedlicher Ausdehnung) geben insbesondere die Tontäfelchen des Linear-B Einblick in die hierarchische Struktur dieser den vorderasiatischen Stadtmonarchien ihrer Zeit verwandten, dazu untereinander wie ‚international‘ bestens vernetzten Gesellschaften, ihren sozialen Aufbau, ihr Wirtschafts- und Abgabensystem, ihr Gefolgschaftswesen (S. 25 f.). Mit dem Untergang der zentralistischen Hochkultur wurde eine Schrift offenbar entbehrlich, die Paläste verfielen unwiederbringlich, die Herrscherfiguren erhielten ihren Platz im Mythos. Gleichwohl ist eine submykenische Tradition und gar postpalatiale Blüte lokal wie politisch begrenzter, aber weiterhin auch überregional agierender Fürstentümer bis Mitte des 11. Jh. durch Keramikfunde und Grabbeigaben belegt. Erst ab etwa 1075 kann man aufgrund des Fehlens materieller wie schriftlicher Zeugnisse tatsächlich von ‚Dunklen Jahrhunderten‘ sprechen (S. 37), durch welche hindurch wiederum und entgegen einem kontinuierlichen kulturellen Fortschrittsprozess auf der Ebene der Grundstrukturen bescheidenere autonome Einheiten überdauerten und zum Fundament des gemeinsamen Polissystems werden konnten.

Die ‚Welten des Homer‘ auf der anderen Seite sind durch Alphabet und Schriftlichkeit geprägt, die Palastzeit Geschichte, ihre epische Darstellung in den spätmykenischen Lebensverhältnissen bereits durchzogen von den gesellschaftlichen Umbrüchen des 8. Jh.: Gegenstand indes sind noch die Machthaber der früheren Epoche in ihrem Ringen untereinander, gesehen mit den Augen einer neuen Zeit und ihres Aufbruchs. Im Vordergrund steht hierbei die Frage, ob und in welchem Maße diese literarisierten Textzeugen einer mündlichen Erzähltradition Aussage- und Quellenwert für die zeitgenössischen Gesellschaftsstrukturen haben, zu deren Legitimation sowohl eine Vergangenheit schaffen als auch eine gestalterische Zukunftsprojektion entwickeln (S. 60). Jedenfalls spielen Ilias wie Odyssee innerhalb der Polisrealität späterer Jahrhunderte und damit zur Zeit ihrer Verschriftlichung (S. 67), ist „in den Epen die Polis bereits allgegenwärtig“ (S. 79). Dies bestätigt sich in der Fallstudie der phäakischen Königsstadt Scheria (Od. 6 ff.), welche bereits das Verschmelzen monarchischer und polisdemokratischer Elemente zeigt (S. 95). Im Unterschied zur konventionellen Herangehensweise zieht StH. (S. 14) die Behandlung der frühgriechischen Kolonisation derjenigen der Polis vor, indem sie – literarische (Texte) und archäologische (Steine) Quellen gegeneinander abwägend – Migration nicht als Folge von demographischen und/oder ökonomischen Schwierigkeiten im Mutterland sieht, sondern das beidseitige Ringen der Gemeinschaften um auskömmliche Siedlungsstrukturen herausstellt: Kreativität im Aufbau und – phasenverschobene – Innovationserfahrungen in den einzelnen Neugründungen konkurrieren mit Reorganisationsprozessen, die sie bei den ‚Zurückgebliebenen‘ erst anstoßen, ein Lernfortschritt, welcher die Verbreitung neuer sozialer und politischer Modelle in der alten wie neuen Welt beförderte (S. 119 f.). Motive mögen Stáseis (Bürgerkriege), Streben nach neuen Handlungsspielräumen, bloße Abenteuerlust gewesen sein, von der Heimatgemeinde geplante Unternehmungen homogener Gruppen indes nur in Einzelfällen – die von StH. dann aber eingehend charakterisiert werden (S. 102 ff.). Der durchweg aristokratische Anführer (Oikístes) besorgt zugleich die kultische Legitimation in einem Gründungsmythos, und die Erwartungen dieser höchst mobilen (und zahlenmäßig kleinen) Gruppen wie ihre Erfahrungen jenseits der heimischen Oíkoi im Westen, an der Schwarzmeer- und nordafrikanischen Küste seit der Mitte des 8. Jh. dürften in den idyllischen nicht weniger als in den Horrorgeschichten der zeitgleichen homerischen Odyssee ihr poetisch-verschriftlichtes Echo gefunden haben.

Die stadtstaatliche, in sich geschlossene und mit je eigenen Institutionen, Normen und Identität ausgestattete Polis als Kult- wie politische Gemeinschaft (sowohl oligarchischer als auch demokratischer Variante) teilt sich mit anderen Poleis einen gemeinsamen geographischen wie kulturellen Raum; innerhalb dessen wettstreitet sie zugleich wirtschafts- und machtpolitisch – was Kriege als eine „typische Form der Interaktion zwischen Poleis“ miteinschließt (S. 124). Nach innen ist sie wiederum verzahnt mit einem bewohnten ländlichen Raum bzw. Hafenumland als unabdingbarem wirtschaftlichen Einzugsgebiet und binnenuntergliedert in Phylen, Demen und weitere Kleineinheiten (S. 135). Im Unterschied zu den hierarchisch aufgebauten und ständisch gegliederten frühen Hochkulturen findet die souveräne und selbstbestimmte Polisbürgerschaft ihren gemeinsamen Raum im urbanen Zentrum mit Agora, Verwaltungsgebäuden, Heiligtümern und Feststätten, wie sie sich (von der Autorin an zahlreichen Beispielen im Einzelnen belegt) seit dem 8. Jh. insbesondere in den Siedlungsgebieten des Westens herausbilden und von dort aus erst in die Poleis des Mutterlandes zurückwirken – nicht zuletzt im Zeugnis der schreibenden Zeitgenossen (S. 126 f.). Entwicklungslinien dieser autonomen soziopolitischen Einheiten mit periodisch wechselnden, aber sachbezogen zuständigen Ämtern, mit vorberatenden, geschäftsführenden und kontrollierenden Ratsorganen sowie mit beschlussfassenden Versammlungen der Vollbürger samt „geregelter Interaktion“ in der Öffentlichkeit der Agora vollzieht StH. in aller Vielfalt von der Königszeit in Ilias und Odyssee an (S. 140 ff.).

Auf das Konzept der Polis folgen in der Behandlung konsequent die tragenden Bevölkerungsgruppen: Bauern – Aristokraten – Bürger, eingelegt: die Tyrannis (S. 221-55). Das archaische Griechenland war ein bäuerliches, das von den Bauern bewirtschaftete Umland bildete Rückgrat und Basis der Kernsiedlungen (S. 159 f.). StH. beschreibt detailliert und in Anbindung an deren literarischen Widerhall soziale Strukturen sowie Lebens- und Arbeitsverhältnisse zunächst Regionen übergreifend, um sie dann für die überschaubare Umgebung des dichtenden Landwirts Hesiod (S. 170 f.) anhand einer Interpretation von dessen Werken und Tagen in der Fallstudie Askra (Böotien) punktgenau zu verifizieren. Krise und Bedrohung dieser Welt bereits seit dem 8. Jh. durch Erbrecht, Demographie und Klima, durch das Fehlen eines nennenswerten exportfähigen Handwerks wie Handels finden ihr Echo um 600 in den Reformen Solons, der Umgang der lokalen Führungsschicht (Basileís) damit in seinen Elegien (S. 182-84). Die als Gruppe offene, durch individuelle – ökonomische, soziale, moralische – Überlegenheitsmerkmale definierte (S. 188) Aristokratie maß sich untereinander in permanentem Wettbewerb, nach innen auf dem kultivierten und ‚netzwerkenden‘ Symposion, nach außen bei den panhellenischen Agónen – Fallstudie natürlich: Olympia – , die in den Siegerskulpturen künstlerische, in den Epinikien (Pindar) poetische Verarbeitung fanden (S. 201-04). Die Umbrüche der adligen (Fernhandel, Kriege, Stáseis), mit der bäuerlichen durchaus verwobenen Schicht spiegelt StH. in der Lyrik des 7./6. Jh. (Alkaios, Theognis), und Dichter wie Archilochos, Tyrtaios und Xenophanes bereiten (S. 218 f.) in ihren auf den Gemeinnutz zielenden Wertmaßstäben für eine bislang selbstbezogene Prominenz und deren tyrannischen Superlativ (S. 254) den Übergang zu einem Polisbürgertum vor. Neue Strukturen von Zugehörigkeit und Teilhabe an Entscheidungsprozessen auf kommunaler Ebene – so in Attika (S. 270-73) die Demen- und Phylenreform des Kleisthenes (509/08) – bereiten den Boden für das Zusammenspiel der politischen Einheiten in klassischer Zeit.

Ein ganz großes Plus dieses Buchs ist die konsequente Gliederung und der überall klare Aufbau. Der trotz zahlreicher Fachtermini auch für Nicht-Fachleute stets gut erklärte und flüssig aufzunehmende Text, von Karten, Zeichnungen und Abbildungen passend unterstützt, ist nicht ganz frei von Wiederholungen in Einzelnem, und mancherorts lässt ein ‚behagliches‘ „dieses … aber jenes auch“ eine wünschenswerte Klärung offen, doch vielleicht ist das in einem einführenden Handbuch nicht anders angebracht. Ein knapper Anmerkungsapparat (S. 279-82) belegt nahezu ausschließlich die in allen Kapiteln zahlreichen Textzeugen der (meist) zeitgenössischen griechischen Originale. Das Literaturverzeichnis ist gleichfalls kapitelweise aufgefaltet und stellt den Titeln (durchweg neueren Datums) jeweils einen kurz gefassten, informativen Forschungsbericht voran. Ein Namens- und Ortsregister beschließt diesen kundigen und lesenswerten Gang durch die frühe, eigenständige Phase hellenischer Geschichte zwischen Stadt und Meer.

Michael P. Schmude, Boppard

aus: FORUM CLASSICUM 58 (2015), S. 194-197.

Zu-B-Morstadt-Die-Phönizier

Zu-B-Morstadt-Die-Phönizier

Bärbel Morstadt: Die Phönizier, Wissenschaftliche Buchgesellschaft (Philipp von Zabern) Darmstadt 2015. 175 S., € 29,95 (ISBN 978-3-8053-4878-2).

Ein seefahrendes Volk, Handelsreisende im Mittelmeerraum (und jenseits → Hanno von Karthago entlang Westafrika, Himilko zu den Britischen Inseln, S. 76), Kulturbringer und begehrte Handwerker, die von ihrer levantinischen Heimat zwischen Syrien und Israel (bis zum Zweistromland) aus und zwischen 1200 und 300 v. Chr. noch vor den Griechen die gesamte mediterrane Küste ‚beidseits‘ besiedelten, bieten die Phönizier seit der Antike eine (zumindest) schillernde Projektionsfläche für je nach Quellenlage widersprüchliche Wahrnehmungen. Innerhalb dieser Marken beschreibt B. Morstadt (M.), Archäologin der phönizischen Diaspora an der Universität Bochum, ein Phänomen panoekumenischer Historie, welches – in eigenen Schriftquellen eher dürftig – in archäologischen Hinterlassenschaften wie in seinem literarischen Umfeld von Beginn an durchaus zwiespältigen Niederschlag gefunden hat.

Im AT (2Chr., 1Kön.) wie bei Homer (Il. 23) werden sie als herausragende Handwerker erwähnt, Byblos unterhält seit dem 4./3. Jt. rege Handelskontakte mit Ägypten, den Propheten ist ihre hybride Hauptstadt Tyros Grund für Jahwes Zorn, Herodot (hist. 5) bezeugt die Aneignung ihres Alphabets durch die Griechen um 800 – Bindeglied ist Kadmos, Gründer des böotischen Theben und Prinz aus Tyros – , aber auch die Kehrseite ihrer kommerziellen Raffinesse bleibt wenig später durch den homerischen Odysseus (Od. 14) nicht unerwähnt (S. 9-12) und noch dem Gallier Miraculix ein Begriff (S. 35 f.): dieser hat sehr wohl das Zitat aus der Odyssee – Verkauf der ‚Helden‘ auf dem nächsten Sklavenmarkt – im Hinterkopf … Und so schwankt die Phönizierforschung der frühen Neuzeit seit der Geographia Sacra des französischen Theologen S. Bochart (1646) zwischen einem Pan-Phönizismus, welcher diese zu kulturellen Ahnherren aller Völker ihres Expansionsraumes macht, und der Auffassung als orientalisches Gegenmodell zu einer europäisch-okzidentalen Identität, welche unter dem Einfluss des Philhellenismus im 19. Jh. herausgearbeitet wurde und sich auf den Schultern eines romantisierten Griechentums sinnbildlich in der minoischen Thalassokratie (S. 19) verselbständigte. Der Dominanz humanistischer, die griechische Antike idealisierender Bildung entsprach 1795 die Einrichtung – und zugleich Abgrenzung – der Orientalistik als akademischer Disziplin. E. Renans Mission de Phénicie (1864-74) im Rahmen einer Expedition unter Napoleon III. ins Libanongebirge wird zur Grundlage der modernen Phönizierarchäologie ebenso wie der politischen Ordnung in der Levante (S. 25). Von da aus spannt M. den Bogen zur modernen Staatswerdung: kulturelle Identifikation mit dem phönizischen Mutterland führt nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches 1918 einen ‚Großlibanon‘ 1943 in die libanesische Republik heutigen, christlich durchsetzten Zuschnitts und steht (nach wie vor) einem panarabisch-muslimischen Konzept ‚Großsyrien‘ im Wege.

Eine vergleichbare Rückbesinnung auf die antiken Wurzeln erfolgt am zweiten ‚Standort‘ in der libysch-tunesischen Syrte erst spät: wohl erhält Karthago, um 813 v. Chr. von Tyros aus gegründet, seit dem 6. Jh. Regionalmacht in Nordafrika und in den Punischen Kriegen des 3. und 2. Jh. v. Chr. Gegenspielerin römischer Machtinteressen im westlichen Mittelmeer, als solche literarischen Rang seitens des achäischen Römerfreundes Polybios sowie in den entsprechenden Büchern von Livius‘ Ab urbe condita, dazu noch einmal eine reife römische Blüte und bis zum 3. Jh. gar einen Bischofssitz (Cyprian). Auch sei der Gründungsmythos von der Erbfeindschaft, die tragische Liebesgeschichte um die Sidonia Dido in Vergils Aeneis, in einer historisch-archäologischen Arbeit eher nicht im Vordergrund, hier (wie S. 29, 152) wenigstens angedeutet: historisch ausgetragen wird sie von der Barkidenfamilie um Hamilkar und seinen Sohn Hannibal. Aber die neuzeitliche Heldenverehrung ist zunächst einmal Sache der französischen Kolonialmacht, während sich zeitgleich der tunesische Nationalismus über die islamische Periode seit dem 7. Jh. definiert. Das aktuell angekündigte Denkmal für Hannibal im Hafen des Vororts von Tunis harrt noch seiner Ausführung, ein Lehrstuhl für interkulturellen Dialog wurde 2001 in der Hauptstadt eingerichtet (S. 31 f.).

In einem – nicht ganz ebenmäßigen – Dreischritt geht M. an das Phänomen ‚Phönizien‘ heran: das Kernland bis zu seinem Aufgehen in der hellenistischen Welt (S. 53-112), geographisch zwischen dem südlichen Küstenteil Syriens und Nordisrael den modernen Libanon umfassend, kulturgeschichtlich vom Beginn der Eisenzeit bis zu den Eroberungszügen Alexanders d. Gr., machtpolitisch eingebettet in die ostmediterranen Umwälzungen (Zusammenbruch des Hethiterreiches, ‚Seevölkersturm‘) zu Beginn der ‚Dunklen Jahrhunderte‘, expansiv von Stadtstaaten wie Tyros und Sidon aus und – durchweg mit einer gewissen Eigenständigkeit – im Rahmen des assyrischen, neubabylonischen und achämenidisch-persischen Reiches, als Koilé-Syrien zwischen Ptolemäern und Seleukiden, als Provinz Syria nach dem 3. Mithridatischen Krieg seit 63 im Römischen Reich. Außerhalb Phöniziens (S. 113-48) rücken die Kolonisation im Vorderen Orient und über die Inseln und Küsten des Mittelmeers sowie in der Folge die kulturelle Wechselwirkung: Ägyptisierung – Orientalisierung – Hellenisierung (S. 149-55) zwischen Entdeckungsreisenden und den einheimischen Gesellschaften ins Blickfeld.

M.s Ansatz schwankt zwischen wissenschaftlicher Diskussion und den begrenzten Möglichkeiten objektiver Geschichtsdarstellung auf der Grundlage stets subjektiv und zeitbedingt interpretierter Schrift- wie archäologischer Quellen (S. 13 f., 43-52). Eingehend werden die personalen und diplomatischen Netzwerke des vorderasiatischen Großraumes gewürdigt. Belegstellen wie (zumeist neuere) Sekundärliteratur sind in den flüssig geschriebenen Text eingefügt und in einem ausführlichen Verzeichnis (S. 157-74) aufgeschlüsselt (man vermisst J. Seiberts Forschungen zu Hannibal 1993), Indices fehlen indes gänzlich. Abbildungen, Karten (zu klein das Format auf S. 8) und Rekonstruktionszeichnungen unterstützen den Zugang zum behandelten, omnipräsenten Movimentum mediterraner Kulturgeschichte.

 

Michael P. Schmude,  Boppard

 leicht gekürzte Fassung in: FORUM CLASSICUM 59 (2016), S. 113 f.