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Vergils-Aeneis-und-der-Epische-Kyklos

Vergils-Aeneis-und-der-Epische-Kyklos

Vergils Aeneis – zwischen Weltdeutung des Epischen Kyklos und Römischem Nationalepos

von: Michael P. Schmude

 

Auf den ersten Blick verlaufen in Vergils Aeneis zwei – voneinander getrennte – epische Erzählstränge:

  • In der ersten Hälfte zeigt sich der Hauptheld als Umherirrender, als Heimat Suchender – Aeneas als Odysseus ? → Homers Odyssee
  • In der zweiten Hälfte zeigt sich der Hauptheld als Neuansässiger, als Eroberer – Aeneas als Achilleus ? → Homers Ilias
  • Im Ganzen ist die Aeneis die Geschichte des Troianers Aeneas und seiner Gefährten, die nach der Zerstörung ihrer Heimatstadt (im NW Kleinasiens) durch die versammelten Griechen über die Ägäis, das Ionische und das Tyrrhenische Meer auf der Suche nach der Heimat ihrer Vorfahren schließlich in Latium (an der Tibermündung) anlanden, um dort von Neuem ihre Stadt zu erbauen. Aus dieser soll (über die ‚Zwischenstation‘ Alba Longa) einmal Rom, das künftige caput mundi, hervorgehen.

 

Zur eigentlichen Präsentation im Ganzen → Innenseite

 

Anmerkungen zu den Folien der Präsentation

Die Aeneis und ihr Autor (a)

Enteignungen durch Octavian für seine Veteranen nach der Schlacht (Sept./Okt. 42 v. Chr.) bei Philippi (im Osten Makedoniens) gegen die Caesarmörder (Brutus, Cassius).

Vergilius Maro, geboren in dem Ort Andes bei Mantua, Eltern einfache, aber vermögend gewordene Landleute (Vater Töpfer). Umfassende Ausbildung in Rhetorik und Philosophie (Cremona, Mailand, Rom), insbesondere bei dem Epikureer Siron in Neapel.

Der Maecenas-Kreis ist eine Art literarischer Zirkel / Salon, ein Kreis von Dichtern: am bekanntesten Vergil und Horaz (den Vergil dort einführt [sat. 1, 6, 54 f.] und dem Maecenas ein Landgut schenkt).

[C. Cilnius Maecenas, 70-8 v. Chr., aus der etruskischen Stadt Arretium, Diplomat und Vertrauter des Augustus sowie bei Abwesenheit dessen Stellvertreter in Rom].

Augustus bittet den Dichter um ein Nationalepos für die Römer, und Vergil kommt diesem Anliegen – nicht ohne Zögern, aber durchaus auch aus eigener Überzeugung –  schließlich nach. Dies bring ihm bis heute von mancher Seite den Vorwurf ein, ein augusteischer Hofdichter zu sein. Vergil soll testamentarisch die Verbrennung der – noch nicht vollendeten – Aeneis verfügt haben, was Augustus aber verhindert haben soll (Plin. NH 7, 14).

Hermann Broch: Der Tod des Vergil (New York 1945).

 

Die Aeneis und ihr Autor (b)

Die Bucolica, 10 kurze Gedichte (= Eclogae) mit im Ganzen 829 vv., fußen auf der Hirtendichtung des Theokrit (3. Jh. v. Chr., aus Syrakus) und spielen mit Themen einer idealisierten Hirtenwelt in einer idealen Landschaft aus dem Sizilien des hellenistischen Dichters, aus der ‚geistigen‘ Dichterregion Arkadien und dem Oberitalien Vergils.

Die Georgica behandeln in vier Büchern B. 1: Ackerbau und Wetterkunde, B. 2 die Baumzucht (Olivenbaum und Weinstock), B. 3 die Haustierzucht und B. 4 die Welt der Bienen (bewusst übergangen hier [4, 116-48] der Gartenbau → [Lucius Iunius Moderatus] Columella [1. Jh. n. Chr.], 12 Bücher De re rustica [nach 64] B. 10).

 

Die Aeneis und ihr Narrativ (a)

Buch 1: Kurz nach ihrer Abfahrt von Sizilien gerät die Flotte des Aeneas in einen verheerenden, von Iuno bei dem Windgott Aiolos erwirkten Seesturm, welcher sie an die Küste Nordafrikas  zerstreut und verschlägt. Aeneas rettet sich in eine Bucht an der Küste Libyens.

Wechsel der Erzählebene: auf dem Olymp Zwiegespräch zwischen Venus und Iuppiter: dieser verspricht die Gründung einer Stadt in der Nachfolge Hektors – und Rom die künftige Weltherrschaft.

Ankunft des Aeneas (von seiner Mutter in einer Wolke verhüllt) in Karthago; im gerade erstehenden Tempel der Iuno sieht er sich mit Darstellungen der Geschehnisse vor Troia (u.a. Tod Hektors; Penthesileia → Aithiopis) konfrontiert (→ Odysseus durch den Sänger Demodokos bei den Phaiaken).

Zusammentreffen mit Dido, welche die Troianer willkommen heißt und ihre Fürsten zum Gastmahl in ihren Palast lädt. Dort beginnt Aeneas seine Erzählungen (und Dido, sich – unter Mitwirkung der Venus – in den Anführer der Troianer zu verlieben …).

Buch 4: Iuno und Venus sorgen jetzt gemeinsam dafür, dass sich die Königin endgültig in Aeneas verliebt, und es kommt zu einem eheähnlichen Miteinander samt gemeinsamem Weiterbau von Karthago. Es bedarf eines ‚Machtwortes‘ Iuppiters über seinen Boten Hermes, um Aeneas an dessen eigentlichen Auftrag, seine fata zu erinnern … Dieser setzt, obwohl von Dido zur Rede gestellt, die Flotte wieder Richtung Sizilien und Italien in Bewegung. Dido verwünscht ihn und stürzt sie sich ob des – für sie – Treuebruchs in Schwert und Scheiterhaufen.

 

Die Aeneis und ihr Narrativ (b)

Buch 6: Eingegliedert in die Unterwelt sind der Tartaros (→ Hölle) für die exemplarischen Verbrecher) wie das Elysium (→ Paradies) für die vorbildhaften Menschen wie Aeneas‘ Vater Anchises.

Aeneas trifft in der Unterwelt wieder auf Dido wie Odysseus in der Nekyia auf seinen alten Widersacher Aias (Streit um die Waffen Achills und Selbstmord des Aias nach seiner Niederlage gegen Odysseus ← Aithiopis) . Beide Begegnungen verlaufen unversöhnlich.

Anchises führt und erläutert – im Zusammenspiel mit der stoischen Lehre von der Seelenwanderung – seinem Sohn die ‚Heldenschau‘, die ‚Parade‘ prominenter Figuren der Römischen Geschichte – gipfelnd in den Vertretern der gens Iulia, dem Geschlecht von Caesar und Augustus.

Buch 7: Landung in der Tibermündung – das Tisch-Prodigium bestätigt Latium als das vorherbestimmte Land der Heimkehr (116-29).  Eine Gesandtschaft der Troianer an den ortsansässigen König Latinus führt sogleich zu gastfreundlichem Empfang und Bündnisangebot (gemeinsamer Ahnherr Dardanus / Latinus bietet – seinen fata entsprechend – Aeneas seine Tochter zur Ehe an).

Gegenaktion der Iuno:  mittels der Furie Allecto  treibt sie die Königinmutter Amata  und den Rutulerfürsten Turnus zur Feindschaft gegen die Troianer. Aufmarsch der latinischen ‚Völker‘  (641 ff.) zum Bündnis gegen die Ankömmlinge (← Schiffskatalog in Buch 2, 484 ff. der Ilias).

Buch 8: Anfangs der Fahrt tiberaufwärts zu Euander markiert das Sau-Prodigium (42-48; 81-85) den Ort für die Neugründung der Stadt (Alba Longa). Aeneas erhält durch seine Mutter eine neue Waffenrüstung von Vulcanus – die Schildbeschreibung zeigt ein Panorama römischer Geschichte ← so in der Ilias die neuen Waffen für Achill durch seine Mutter Thetis von Hephaistos, nachdem Patroklos (in der Rüstung Achills) von Hektor erschlagen worden war (Buch 18, 468 ff./19, 3 -18).

 

Die Aeneis und ihr Narrativ (c)

Buch 9: der Ausbruchsversuch des Nisus und Euryalus aus dem – während der Abwesenheit  des Aeneas – von Turnus bedrängten Lager der  Troianer endet in einem Blutbad unter den Rutulern und mit dem Tod der beiden Jungen ← in B. 10 der Ilias führt die Dolonie des Odysseus und Diomedes zu einem Blutbad unter dem Gefolge des thrakischen Königs Rhesos.

Buch 10: der junge Pallas, Sohn des Arkaderkönigs Euander, fällt im Kampf gegen Turnus, der ihm sein Wehrgehenk raubt (495-502) – dies wird der Anlass zum Todesstoß des Aeneas im finalen Zweikampf 12, 939 ff. ← Rache des Achill an Hektor (Ilias B. 22) für die Tötung und Spoliierung seines jungen Freundes und Cousins Patroklos  (Ende B. 16 / Anfang B. 17).  Aeneas tötet den vertriebenen Etruskerkönig Mezentius und dessen Sohn Lausus (762 ff.)

Buch 11: Camilla, die kriegerische Königin der Volsker, wird als Anführerin der latinischen Reiterei von dem Etrusker Arruns mit einem Pfeilschuss  getötet ← in der Aithiopis die Amazonenkönigin Penthesileia (auf Seiten der Troianer), von Achill getötet, der sich beim Anblick ihres Leichnams in sie verliebt  und von dem hässlichen Zänker Thersites dafür verspottet wird (er tötet diesen auf der Stelle).

Buch 12: auch wenn Iuno Friedensvereinbarungen hintertreibt [die Abmachung zum Zweikampf Turnus – Aeneas wird durch den Lanzenwurf des rutulischen Auguren Tolumnius gebrochen (258 ff.) ←  Il. 4, 85 ff. Bruch der Eide durch den Pfeilschuss des Troers Pandaros] und die Quellnymphe Iuturna, Schwester des Turnus, diesen wiederholt (in Gestalt seines Wagenlenkers) der Entscheidung entzieht, kommt es – nach einem letzten Gespräch zwi-schen Iuppiter und Iuno auf der Götterebene, welches Iuno zur Schutzgottheit des neuen, vereinten Ausonischen Geschlechtes macht (791-841) – zum Zweikampf, nach welchem Aeneas – unter dem Eindruck des geraubten Wehrgehenks des Pallas (947-49) – Turnus tötet.

 

Die Aeneis und Homer (a)

Buch 3: Verschiedene Orakel und Vorzeichen – in Thrakien (Leichnam des vom Thrakerkönig Polymestor ermordeten Priamossohnes Polydoros). Auf Delos (das Orakel weist sie ins Land ihrer Ahnen: Anchises deutet es fehl als Kreta, woher Teukros, Schwiegervater des Dardanus, stamme; eine Seuche vertreibt sie). Die Penaten erscheinen Aeneas im Schlaf und weisen auf Hesperien (woher Dardanus, der Vater des Ilus, Gründers von Troia, stamme). Bei den Strophaden (Inselgruppe im Ionischen Meer, wo die Harpyien hausen) weist die Harpyie Celaeno auf das Tisch-Prodigium (7, 116-29) voraus. In Actium begründen sie troianische Sportwettkämpfe. In Buthrotum (Epirus) bestätigt Helenos (Sohn des Priamos und unterdessen mit Andromache, Hektors Witwe, verbunden) Italien als Ziel und weist auf das Sau-Prodigium (Ara Pacis – 8, 81-85) als Ort der Stadtgründung voraus, warnt vor den Griechen an Italiens Ostküste [→ Diomedes: 11, 252-93, insbes. 285-87] sowie vor Skylla und Charybdis in der Meerenge von Messina [← Odysseus Od. 12, 222—59]: deswegen solle er westlich um Sizilien herum an die Westküste Italiens nach Cumae (südlich von Neapel) fahren.

Auf Sizilien, im Schatten des Ätna, nehmen sie einen Gefährten des Odysseus (Achaemenides) auf, den dieser auf seiner Flucht vor dem Kyklopen Polyphem zurückgelassen hat

 

Die Aeneis und Homer (b)

[Aufsatz] Homerische Motive in Vergils Aeneis,

in: Der Altsprachliche Unterricht  49, 2+3 (2006), S. 104–107.

Vergil sucht auf Schritt und Tritt die Anbindung an Homer – um es dann sogleich ‚anders‘ zu machen, zwei markante und aussagekräftige Beispiele:

  • Die Skylla-und-Charybdis-Episode aus B. 11 der Odyssee kommt auch bei Vergil vor: doch Aeneas fährt (B. 3), von seinem Schwager Helenos gewarnt, eben nicht durch die Meerenge von Messina – eigentlich der kürzere Weg ins verheißene Westitalien – , sondern entgeht ihnen (sieht sie auf der Fahrt von ferne) durch den Umweg um Sizilien herum.
  • Auch zum Kyklopen-Abenteuer des Odysseus (B. 9 der Odyssee) – für die Aeneis-Handlung völlig irrelevant – knüpft Vergil einen Seitenstrang: auf Sizilien (B. 3) nehmen sie einen Gefährten des Odysseus, der bei der überstürzten Fluch von der Insel Polyphems dort zurückgeblieben war, dauerhaft bei sich auf.

[Versuch einer Einigung durch den Zweikampf der Hauptbetroffenen statt durch den Krieg der Heere:

  • Das vereinbarte (Il. 3, 245-325) Aufeinandertreffen  Menelaos – Paris wird von Aphrodite ‚beendet‘ (380-82); Il. 4, 85 ff. dann Bruch der Eide durch den Pfeilschuss (124-26) des Troers Pandaros (Athene). Für die Ilias bleibt dies Episode. Das Duell zwischen Achill und Hektor folgt persönlichen Motiven (Patroklos) und beendet Nichts; der Krieg um Troia findet seinen Abschluss erst  mittels der List des Odysseus.
  • Die Vereinbarung zum Zweikampf Turnus – Aeneas  (Aen. 12, 75-80 /116 ff.) wird durch den Lanzenwurf des rutulischen Auguren Tolumnius (266-68) gebrochen, das finale Aufeinandertreffen der beiden aber nurmehr (durch Iuno-Iuturna) verzögert. Die Aeneis  kommt mit dem Duell der beiden Fürsten zu ihrem Abschluss.]

 

Die Aeneis im Rahmen des Epischen Kyklos

  • Der fatalen Heimkehr des Agamemnon (← Iphigenie in Aulis) und der troischen Seherin Kassandra hat der Tragiker Aischylos eine Trilogie (AgamemnonChoephorenEumeniden) gewidmet, die Orestie.
  • Diomedes kehrte zwar unversehrt in seine Heimat Argos zurück, wurde aber nach längeren Thronwirren von dort verbannt und wanderte mit seinen Gefolgsleuten in das südöstliche Italien aus und gründete in Apulien die Stadt Argyrippa (Arpi). Dem Turnus verweigert er auf Anfrage seine Unterstützung gegen Aeneas (11, 285-93 „… wenn es außerdem zwei solche gegeben hätte …“).
  • Die Odyssee des Odysseus ist der Nostos schlechthin … an Umfang wie märchenhaft-tragischem Gehalt.
  • Aeneas – auch die Aeneis ist ein Nostos → Dardanus …

 

Die Aeneis als Römisches Epos

  • Götterszene: Werdegang der Aeneas – Ascanius – Romulus – Augustus, mündend in ein grenzenloses Friedensreich.
  • Unterweltsbuch: Heldenschau von den Königen Alba Longas bis zu Augustus und dessen früh gestorbenem Wunschnachfolger Marcellus.
  • Schildbeschreibung: das kommende Schicksal des römischen Volkes – Szenen von Romulus und Remus mit der Wölfin bis zum Triumph des Augustus nach der Seeschlacht von Actium (← Schild des Achill Il. 18, 482-608) – auf den Schultern des Aeneas.

 

Aeneas und ‚seine‘ Troianer als erste Flüchtlinge und Migranten (a)

[Vortrag] Fremdheit und Migration in Homers Odyssee und Vergils Aeneis.

Die Königin des gerade erstehenden Karthago (Neu-stadt, wie das griechische Néa-pólis, heute Neapel), Dido, mit eigenständigem Migrationshintergrund, nimmt den (durchaus nicht unbekannten) Ankömmlingen gleich zu Beginn die Furcht vor den – notwendigen – Grenzsicherungsmaßnahmen.

Erkennbare Motive der Aufnehmenden sind die Prominenz der Flüchtlinge, Mitgefühl, nicht zuletzt die Aussicht auf Bündniszuwachs. Um das gemeinsame Flüchtlingsschicksal weiß Aeneas von seiner Mutter, Dido lässt es anklingen.

[Die Liebe der infelix, der unglücklichen Dido, zum Troianerfürsten wird – tragisch und gesteuert allerdings von außen – in der Folge hinzukommen …].

 

Aeneas und ‚seine‘ Troianer als erste Flüchtlinge und Migranten (b)

Auch in Latium wendet sich – gegenüber einer ordnungsgemäß diplomatischen Delegation der Aeneaden – der ortsansässige König Latinus gastfreundlich und verständnisvoll den hilfesuchenden und vom Hörensagen angekündigten Neuankömmlingen aus einem fernen Land zu. Einer der Gründerväter Troias, Dardanus, war von eben hier zu seiner Wanderung ins kleinasiatische Phrygien aufgebrochen.

Und es ist eigener Antrieb (sponte suā), welcher die Latiner die Fremdlinge aufnehmen lässt, noch nicht einmal gesetzlich geregeltes Gastrecht, sondern alter Götterbrauch (Saturnus [griech. Kronos] ist der Gottkönig des Goldenen Zeitalters in Italien), an welchen das uralte Geschlecht sich gebunden fühlt.

Den Ausschlag für den König gibt freilich die Rückbesinnung auf ein vormaliges Orakel seines Vaters Faunus, welcher ihm einen Schwiegersohn aus fernem Lande angekündigt hatte und aus der Verbindung seiner Tochter Lavinia mit diesem eine mächtige, weltbeherrschende Nachkommenschaft: es sind also in der Aeneis Vergils stets bereits auch politische – im heutigen Wortsinne – Motive mit ihm Spiel …

 

 

Sperlonga-eine-Ikonologie

Sperlonga-eine-Ikonologie

Eine ‚Odyssee in Marmor‘: Praetorium Speluncae – Das Bildprogramm der Skulpturengruppe in der Tiberius-Grotte von Sperlonga

 von:  M. P.  Schmude

[Die vollständige Fassung des hier nur angerissenen Artikels findet sich unter obenstehendem (grünen) Link → auf der ‚Innenseite‘ …]

Auf halbem Weg zwischen Rom und Neapel gräbt sich in einen Ausläufer der Fundanischen Berge (heute Monte Ciannito) wie eine überdimensionale Apsis unweit von Terracina und gegenüber dem campanischen Fischerort Sperlonga (im Tal von Fondi, dem ager Fundanus, woher nach Suet. Tib. 5; Cal. 23 die Familie [gens Alfidia] Livias, der Mutter des Tiberius, stammte) eine Meeresgrotte, welche dem Ort wie der vorgelegenen kaiserlichen Villa den Namen gab. Hier entging nach Sueton im Jahre 26 n. Chr. der Kaiser Tiberius einem verheerenden Steinschlag nur knapp und aufgrund des beherzten Einsatzes seines Prätorianerpräfekten Sejan (Tib. 39; Tac. Ann. 4, 59, 1f.), und hier wurde ein Skulpturenprogramm entworfen, dessen Auftraggeber bisher nicht sicher bekannt war. Bis zum Jahre 1957 lag es zudem – in Einzelfragmente zur Unkenntlichkeit zerschlagen – im angeschwemmten Sand der Grotte, wie noch 1879 der Inspektor der Altertümerverwaltung Di Tucci berichtet. Jedenfalls aber entsprach es in seiner Verbindung von natürlich verbliebener Umgebung und darin umso lebendiger wirkender Statuen denen der  hellenistischen Figurenparks auf Rhodos (heute im Park von Rhodini), wohin der Kaiser sich vormals – genauer: vor seiner Ernennung zum Thronfolger 4. n. Chr. – für acht Jahre zurückgezogen hatte. Nach dem o.g. Einsturz der Höhlendecke, bei welchem einige seiner Diener vor seinen Augen erschlagen wurden, zog er sich dann 26/27 n. Chr. endgültig nach Capri zurück. Im kreisrunden Becken eingangs der Villengrotte von Sperlonga ist der Sockel der monumentalsten Figuren-, der Skyllagruppe, erhalten geblieben, ihr vorgelagert ein von einem rechteckigen Meerwasserbassin gesäumtes ‚Freilicht‘-Triclinium auf einer Insel, deren Substruktionen und Einfassungen noch heute begehbar sind.

Zu-R-Schrott-Homer-Ilias-Buch-I

Zu-R-Schrott-Homer-Ilias-Buch-I

Homer – Ilias, übertragen von Raoul Schrott, kommentiert von Peter Mauritsch  (München, C. Hanser 2008), 631 pp., gebunden 34,95 Euro.

Bereits nach Lektüre des ersten Gesanges von Sch(rott)s Ilias – eingebettet als Zweiter Teil des Troianischen Krieges nach (Inhaltsangaben der) Kypria und vor Aithiopis1 – stellt sich ein ausgesprochen ungutes Gefühl über Sprachform und Diktion dieser Übertragung ein, welche (im hinteren Klappentext) immerhin den Anspruch erhebt, „noch nie zuvor […] dem heutigen Leser dieses große Epos vom troianischen Krieg so nahe [zu bringen], in einer ebenso kraftvollen wie bildhaften Sprache“. Voss (1793), Schadewaldt (1975), Hampe (1979), Ebener (1983), Latacz (2002) haben „wesentlich dazu geführt, daß die Ilias heute kaum mehr gelesen wird …“ (S. XXXII) – man muß solche Verstiegenheit nicht kommentieren. Stattdessen sei der Hinweis erlaubt, daß die Abfolge bei den Homerica zunächst einmal umlaufender, dichtender Volksgeist und seine weitere, jahrhundertelange mündliche Verbreitung durch fahrende Sänger (Rhapsoden) ist, sodann erst (anders Sch. S. XXVIII f.) die Spracharbeit eines Dichters (Homer) deren literarischen Niederschlag schafft – ohne darum doch die Zeugen ihrer Herkunft aus der oral poetry gleich auszumerzen. Ob Platon im Ion diese Entstehungsgeschichte epischer Werke vor Augen hatte, bleibe dahingestellt, der Verweis auf ihn (S. XXXIII) ist wohlfeil – wer wollte seiner Aufforderung an den Rhapsoden seiner Zeit, zu verstehen, „was der Dichter meint“, widersprechen, aber: was er sagt und wie er es meint, bleibt Interpretation und am engsten darin erkennbar, wie er es formuliert: „Homer von seinem Ufer abzuholen, um ihn ins Heute zu bringen“ ist eben nicht mehr genuin Homer, sondern Schrott nach Inhalten der homerischen Ilias, und die von ihm „substituierte“(!) philologische Übersetzung nicht eine „das Wörtliche2 liebende“, sondern eine das Wort des Autors in seinem <Sitz im Leben>. Diese Unterscheidung nimmt Sch.s Übertragung nicht ihren Eigenwert.

Kritikpunkte am literarischen Vorgehen bleiben gleichwohl: So wird eine Veranschaulichung homerischer Figuren – irdischer wie überirdischer – insbesondere durch die bis hin zur Albernheit reichende Banalisierung ihrer Sprachform angestrebt. Völlig unterschiedliche Stilhöhen stehen innerhalb ein und derselben Rede ein und derselben Person in unvermitteltem und unausgewogenem Kontrast nebeneinander; ganz besonders störend wirkt dies in der Rede des Altersweisen Nestor an die Kampfhähne zu Beginn (Il. I 254 ff.). So sprechen keine Heroen des Epos, so spricht der Hanswurst in der Komödie: es ist keinerlei Gespür für eine der jeweiligen literarischen Gattung angemessene Stilebene erkennbar.

Eine Auflistung von schriftsprachlich gezielt und gesucht, bemüht Unpassendem – im Ganzen oder in der Kombination seiner Versatzstücke –  enthielte etwa die Verse Il. I 31, 57, 122, 130, 132, 148, 173, 210, 229, 256, 261, 273, 285, 291f., 300f., 304, 332, 342, 347, 349, 360, 378, 387f., 410f., 521 f., 527, 540, 553, 560, 567, 570, 575f., 581f., 589: welcher jugendsprachliche Mainstream mit diesen (mehr oder minder schweren) verbalen Flapsigkeiten und Redewendungen auch immer bedient werden soll – er wird seine Freude haben an beinahe bürokratischen Gespreiztheiten in vv. 68, 215, 320, sich wenig ereifern über stetig fortlaufende sachliche Ungenauigkeiten wie in vv. 36, 73, 225f., 407, 500, 513, 518, 557 oder 5733 und andererseits brillante Formulierungen, die es natürlich auch gibt, wie in vv. 358, 429, 477 und 607, kaum wahrnehmen. Ein ausgesprochenes Lieblingswort des Übersetzers scheint „Hundsfötterei“ (so in vv. 181, 233) zu sein – wer kennt es, und worin liegt sein Beitrag zum tieferen Verständnis des Gesagten ?  Hierzu fügt sich durchgängig weiter Umgangssprachliches der Art von runter (81), rum (109, 133, 288), drauf (333), was (363, 541, 556)4.

Von diesen einfach zu zahlreichen Mißtönen werden auch die durchaus gelungenen Partien in Frage gestellt: es will im Ganzen nicht recht ‚passen‘ … Und man macht das Geschehen im Epos und die darin handelnden Charaktere nicht dadurch anschaulich(er) oder lebensnäh(er), daß man sie ihrer Eigenart im und für das Epos quā Sprachform entkleidet, welche ihrerseits ja durchaus ihren Beitrag zum platonischen Gebot leistet, „das, was [der Dichter] denkt, in seiner ganzen Breite und Tiefe verstehen zu können“, und ihn derjenige bleiben läßt, der er ist – ein dichtend-gestaltender Rhapsode,  (vielleicht) das Großgriechenland des (frühen) 8. vorchristlichen Jahrhunderts ‚befahrend‘, ein Kollege seines Demodokos und Phemios, von Vergils Iopas, ein Vorfahr Volker von Alzeys und der mittelalterlichen Minstrels ?

Michael P. Schmude, Boppard

 

1Eine ausführliche Inhaltsangabe auch der Ilias selbst (S. 623-31), die Einleitung (S. V-XL) zu Autor und Vortrag, Zeitgeschichte und Gesellschaft, Dramaturgie und Komposition; zu Wörtlichkeit und Interpretation, Sprache und Rhythmik der vorliegenden Fassung (um nur einige Gesichtspunkte zu nennen), sowie ein Anhang (S. 527-621) mit knappem Kommentar und dramatis personae bilden einen Rahmen, in welchen auch Sch.s Monographie: Homers Heimat – der Kampf um Troia und seine realen Hintergründe (München, C. Hanser 2008) sowie die seit dem 22.12.07 in den Feuilletons namentlich der FAZ und der Süddeutschen Ztg. ausgetragenen Debatten um die dort vorgetragenen Thesen einzubeziehen sind. Eine fächerübergreifende (Kulturgeographie und -geschichte, Sprachwissenschaft und Dichtungstheorie) Zwischenbilanz zieht der Tagungsband eines interdisziplinären Symposions an der Universität Innsbruck von 2008: „Lag Troia in Kilikien ? – Der aktuelle Streit um Homers Ilias“, hg. v. Chr. Ulf / R. Rollinger (Darmstadt, WBG 2011).

2So eindimensional ist die griechische Wortfamilie <Lógos> eben gerade nicht.

3Sind Chryseis und Briseis nun schön-wangig oder haben sie runde Backen – so vv. 143/185, und auch 429 deutet in Sch.s [!] Übertragung darauf hin – , während jene in v. 310 gerötete Wangen hat, diese in v. 346 gleichschön ist: man mag sich dabei Unterschiedliches vorstellen, aber das hängt wohl auch mit Sch.s ganz eigenem Verständnis von festen Epitheta zusammen [S. XXXVII f.], so zu Achills schnellem Schritt vv. 58 gegenüber 84 und 488, zu Heras Kuhaugen in vv. 551 gegenüber 568 und ihren weißen Ellen vv. 569/572 gegenüber 595.

4Mühsam ist auch die Druckgestalt: durchgängige Kleinschreibung, auch der Eigennamen und nach Satzende (mit Punkt), mag Geschmackssache sein. Daß auf Interpunktion vielfach verzichtet, stattdessen aber (die zum Deutschen häufig unterschiedliche) Originalbetonung griechischer Eigennamen (aber auch das nicht konsequent) gegeben wird, verbirgt seinen tieferen Sinn. Die Zeilen-/Verszählung verteilt sich ‚großräumig‘.

Homerische-Motive-in-Vergils-Aeneis

Homerische-Motive-in-Vergils-Aeneis  [überarbeitete und fortlaufend ergänzte Fassung aus: Der Altsprachliche Unterricht 49, 2+3 (2006), 104-107; → auch Scrinium 55, 3 (2010), 23]

Homerische Motive und Entsprechungen in Vergils Aeneis

von   Michael P. Schmude,   Boppard

 [Die vollständige Fassung des hier nur angerissenen Artikels findet sich unter obenstehendem (grünen) Link → auf der ‚Innenseite‘ …]

Vergil sucht durchgängig in der Odyssee- wie Iliashälfte seiner <Aeneis> zugleich Berührung mit seinem Vorbild Homer wie Kontrast: Stationen der <Odyssee>, auch wo die eigene Route dies nicht unbedingt verlangt (Insel der Kyklopen), Bauteile der <Ilias>, auch welche die Handlungsführung der <Aeneis> nicht zwingend fordert (Nisus/Euryalus-Episode – Homers ‚Dolonie‘), Personen- und Handlungskonstellationen mit (mehr oder minder) unmittelbarem homerischen Hintergrund, um sie dann aber eben gerade anders als das offenkundige Vorbild, ganz auf seine eigene Weise zu gestalten.

Eine Sammlung solcher Textpassagen, in denen Vergil Homer bzw. den <Epischen Kyklos> zitiert und seinen Darstellungsabsichten verfügbar macht, möchte die folgende Übersicht bieten, als Grundlage und für eine mögliche Auswahl eines Lektüreganges unter dem Gesichtspunkt „Vergil und Homer – Vorbild und Neugestaltung“. Eine Unterrichtsreihe in diesem Sinne ist grundsätzlich in jedem altsprachlichen Oberstufenkurs denkbar, vor Allem aber wohl auf Leistungsniveau, und ideal, wenn dieser Latein-Leistungskurs mit möglichst vielen auch Griechisch-SchülerInnen besetzt ist. Der Überblick kann aber ebenso den KollegInnen einen bequemen Zugriff auf Einzelsequenzen an die Hand geben, um mittels der Lektüre ausgewählter, begrenzter Beispiele (ggfs. auch in Übersetzung) Vergils Vorgehensweise im Ganzen zu erarbeiten.

Von Eris zu Fama zu Gloria   [aus: Scrinium 55, 3 (2010), 23]

Die rastlos suchende Zwietracht, des männermordenden Ares leibliche Schwester und Gefährtin, die zuerst noch klein sich erhebt, darauf aber das Haupt an den Himmel drängt und auf der Erde wandelt – die warf ihnen auch jetzt den Streit ohne Unterschied mitten unter, das Schlachtgetümmel abschreitend, das Stöhnen der Männer nährend“ – so beschreibt Homer (Il. 4, 440-45) das Aufsteigen der Dämonin Eris aus kleinen Anfängen zum wahllos verderbenden Monstrum (die in den Kyprien mittelbar schon den Anlaß zum trojanischen Krieg liefert). Ebendieses homerische Motiv überträgt und wandelt Vergil in der für ihn ganz typischen Weise1 ab, um das schneeballmäßig-geschwinde Anschwellen der Gerüchteküche um Dido und den fremden Ankömmling und potentiellen Geliebten Aeneas im neuerstehenden Karthago (Aen. 4, 174-77) für seinen eigenen Zweck zu veranschaulichen: „Fama […] mobilitate viget virisque adquirit eundo; parva metu primo, mox sese attollit in auras ingrediturque solo et caput inter nubila condit“ – entsprechend die lithographische Darstellung der Gigantin „Das Gerücht“ von A. Paul Weber (1943/53)2, und auch in Ovids Metamorphosen wächst sie wie die Eris Homers aus kleinstem Beginn durch ihr Werk – eine Mélange von Lügen – an (9, 137-39; auch 12, 54 und Aen. 4, 190), „quae veris addere falsa gaudet et e minimo sua per mendacia crescit3.

Ihr zwiespältiges Wesen noch bei Isidor von Sevilla (Etym. 5, 27, 26 f.: fama felicitatismalarum famanomen certilocum non habet, adiciens multa vel demutans de veritate)4 ‚spezialisiert‘ sich in der Folgezeit gleichwohl in eine Allegorie des Ruhms und mündet insbes. im 18. Jh. synkretistisch in die Verwandtschaft einer Curiosità oder Gloria. Mit dem Aufkommen des Mediums Presse kehrt das sensationslüsterne Moment zurück, und der Bogen spannt sich im 19. und 20. Jh. wieder hin zur dämonischen Seite in der Sensationsnachricht von Zeitung und Internet – wie unlängst die Literaturwissenschaftlerin Uta Kornmeier in einem Vortrag im Berliner Museum für Kommunikation nachgezeichnet hat5.

 1Vgl. AU 49, 2+3 / 2006, S. 104-107.

2In der Aeneis-Ausgabe von E. Bury (Stuttgart/Klett 1987 ff. [Rote Reihe]), S. 45.

3Val. Flacc. Arg. 2, 116-20; Stat. Theb. 3, 426/30; Lucr. Rer. nat. 6, 341.

4Weiter Etym. 2, 30, 2; Diff. 1, 218 gloria … virtutum est, fama vitiorum.

5Vgl. FAZ vom 08.12.2010, S. N3.