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Salviani-de gubernatione-Dei-libri-octo

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Salviani (presbyteri Massiliensis) De gubernatione Dei libri VIII

ed. F. Pauly (Wien 1883)

[in CSEL 8: Salviani presbyteri Massiliensis opera omnia]

übersetzt von  Michael P. Schmude,  Vinzenz Pallotti University Vallendar

Salvianus von Massilia – Philosoph und Theologe in den Stürmen der Völkerwanderungszeit

Salvian von Marseille, ursprünglich aus dem nördlichen Gallien stammend und Angehöriger einer Familie der romanischen Oberschicht in Trier (← De gub. VI 72) oder Köln (← epist. I 5), ist Betroffener und für uns ein wichtiger Zeitzeuge der Völkerwanderung und des Übergangs von der römischen zur fränkischen Herrschaft an Mosel und Rhein im 5. Jh.; seine Lebenszeit umfasst die Spanne von 400-480. Er studiert Jura und Rhetorik, was ihn auf eine Laufbahn in der Reichsverwaltung vorbereitet. Nach der Zerstörung Triers (die er neben derjenigen von Mainz in De gub. VI 39 erwähnt) flieht er mit seiner Frau Palladia und der Tochter Auspiciola (zur familiären Aufstellung → epist. 4) in den Süden des Landes, wo seit etwa 400 der gallische Prätorianerpraefekt und somit das Zentrum der weströmischen Verwaltung ansässig sind. Ein Teil seiner Verwandtschaft bleibt im besetzten Köln, wo der Machtwechsel zu den Franken wohl ohne Verwüstungen erfolgt ist; allerdings beklagt er, dass eine Angehörige dort jetzt aus Armut bei Barbarenfrauen Dienst tut (epist. I 6). 426 wird Salvian indes Mönch (← epist. I 8) in der asketischen, von Honoratus (dem späteren Bischof von Arles) um 410 begründeten Gemeinschaft auf der Insel Lérins (bei Cannes), enger Freund des (späteren Bischofs von Lyon) Eucherius (epist. II, VIII) und gegen 439 Presbyter in Marseille. Gennadius, Priester ebenda von 492-496 und jüngerer Zeitgenosse von Salvian, bezeugt in seinem Hauptwerk De viris illustribus von 495 für ihn (67 f.) ein Corpus von neun Briefen, vier Bücher Timothei ad Ecclesiam (ein Armuts- bzw. Askesegebot für die Priester und für die Christen insgesamt, ererbtes Vermögen der Kirche zu übereignen) sowie als (unvollendetes) Hauptwerk acht Bücher De gubernatione Dei aus dem Jahre 439/40.

Der darin gestellten Theodizee-Frage bzw. dem Vorwurf, Gott sorge sich nicht um die von ihm geschaffene Welt, begegnet er mit einer großangelegten Beweisführung, dass alles Leid der Zeit (im Besonderen die Einfälle der heidnisch-häretischen Goten, der Franken und Vandalen) Ausdruck von Gottes bereits einsetzendem Gericht über die mannigfachen Verfehlungen seines Volkes – namentlich im Römischen Reich – seien und gerade darum von einer Vernachlässigung (neglegentia) überhaupt keine Rede sein könne. Vielmehr kennten die Römer den Willen Gottes, ohne ihn zu befolgen, wohingegen die nichtchristlichen Barbaren moralisch handelten, ohne von diesem zu wissen; der beklagte Erfolg der Ungläubigen sei auf deren größere Sittenstrenge gegenüber der moralischen Verkommenheit der christlichen Römer zurückzuführen. Das Ergebnis ist eine schonungslose Abrechnung mit der ihn im weitesten Sinne umgebenden Gesellschaft im kynisch-stoischen Geiste und in der Haltung fortlaufend von ihm zitierter Mahner aus AT und NT. Literarische Vorbilder fand er hierfür in der klassisch-römischen Historiographie (Sallust, Tacitus), doch ist sein sprachlich-inhaltlicher Duktus durchaus auch von Elementen der oratorischen Téchnē geprägt. Vor diesem Hintergrund muss auch sein Wert als unmittelbare Quelle für die gesellschaftlichen Zustände im weströmischen Gallien des Jahrhunderts der Völkerwanderung gesehen werden.

Literatur: H. Lietzmann, in: RE [2. Reihe] I A, Sp. 2017 f.; R. Nürnberg, in: LThK3 8, Sp.1499 f.; S. Letsch-Brunner, in: DNP 10, Sp. 1271; A.M. Ritter, in: RGG4 7, Sp. 811. – J. Badewien: Geschichtstheologie und Sozialkritik im Werk Salvians von Marseille (Göttingen 1980); M. Meier: Geschichte der Völkerwanderungszeit … vom 3. bis zum 8. Jh. (München 82021), insbes. 555-559.

Textnahe Übersetzung des lateinischen Originals. – Zugleich eigenständige Grundlage einer daraufhin erfolgenden, zielsprachenorientierten Übertragung im Rahmen der ‚Bibliothek der Lateinischen Literatur der Spätantike‘ (BLLS) der Universitäten Eichstätt und Münster.

Zur Übersetzung aller acht Bücher de gub. Dei → ‚Innenseite‘

Zum-Rechtfertigungsbegriff-der-Confessio-Augustana

Zum-Rechtfertigungsbegriff-der-Confessio-Augustana

Zum Rechtfertigungsbegriff der Confessio Augustana (CA) und seiner Ausarbeitung in der Apologia Confessionis (AC)

von  Michael P. Schmude

I. CA und Apologie im Procedere des Augsburger Reichstags und in ihrem Verhältnis zueinander

Von der allgemeinen Atmosphäre her, welche das kaiserliche Ausschreiben zum Reichstag nach Augsburg vom Januar 1530 zu vermitteln suchte und in welcher es protestantischerseits – insbesondere von Melanchthon – auch aufgenommen wurde, war eine eindeutige theologische Bekenntnisschrift ebenso wenig erwartet noch beabsichtigt worden wie eine ausgearbeitete Verteidigung als Folge der um sie entstehenden Auseinandersetzungen. So diplomatisch der Kaiser die Glaubensfragen zu behandeln ankündigte1, so bereitwillig war Melanchthon, den gemeinsamen Nenner mit der etablierten Kirche herzustellen; und so war ursprünglich auch lediglich der Vortrag eines Corpus von ‚abusus gültiger Kirchenbräuche‘ vorgesehen, welches im wesentlichen auf den Torgauer Artikeln (vom März 1530) basierte, einem Gutachten der Wittenberger Theologen – maßgeblich Melanchthons – zu Fragen der Kirchenordnung, welches der sächsische Kurfürst Johann (im Sinne einer Abgrenzung von radikaleren Kräften wie dem hessischen Landgrafen Philipp) in Auftrag gegeben hatte; es stellt (neben dem Unterricht der Visitatoren) den Hintergrund von CA 22-28 dar.

Unterdessen hatten die bayerischen Herzöge den Auftrag an Joh. Eck erteilt, den „häretischen Charakter der protestantischen Lehren von ihrem ersten Entstehen bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt“ aufzuzeigen2; das Ergebnis waren hingegen seine 404 Artikel, in denen 380 häretische Sätze aus den Schriften der Reformatoren neben 24 eigenen Thesen zusammengestellt waren und welche die Ausgangssituation erheblich verschärften. Dieser Angriff auf die reformatorische Lehre, die man bisher in den Schwabacher Artikeln, dem Bekenntnis der kursächsischen Lutheraner vom Oktober 1529, hinreichend niedergelegt ansah, zwang zu einer wesentlichen Erweiterung der bis dahin auf Fragen der Kirchenbräuche beschränkten Ausführungen.

Hierfür verwandte Melanchthon, unter zunehmender Mitwirkung der evangelischen Stände und Fürsten3, neben den Schwabacher insbesondere die Marburger Artikel, in welchen Luther die Positionen im Marburger Religionsgespräch vom 1.-4. Oktober 1529 mit Zwingli protokolliert, seinerseits aber bereits einen Entwurf der Schwabacher Artikel Melanchthons aus dem Sommer d. J. benutzt hatte4. Beide liegen CA 1-21 zugrunde.

Das somit entstandene Dokument, in seiner ursprünglichen Konzeption also eine Art Apologie der kursächsischen Kirchenreform, noch sichtbar im zweiten Teil (Articuli in quibus recensentur abusus mutati), ist in seiner abschließenden Fassung, um die Articuli fidei praecipui – also den ersten Teil – erweitert, zu einem Bekenntnis in Glaubens- und Lehrfragen geworden, welches in scharfer Abgrenzung von der oberdeutschen Reformation stark irenische Tendenzen gegenüber den Altgläubigen aufweist5. Aus dieser auf Ausgleich bedachten Haltung heraus wurden denn auch wesentliche Fragen der reformatorischen Lehre wie die des Papsttums und des allgemeinen Priestertums stillschweigend ausgeklammert6.

Ganz anders die Entgegnung der katholischem Seite: die vom Kaiser einem Gremium unter Joh. Eck (mit maßgeblicher Beteiligung von Joh. Cochläus und Joh. Fabri) aufgetragene Confutatio der nunmehr (25. Juni 1530) verlesenen und übergebenen CA musste in einer ersten Fassung, die in der Hauptsache auf den Vierhundertvier Artikeln basierte (auch Catholica Responsio), gar wegen zu großen Umfangs und zu scharfer Polemik von jenem selbst und den gemäßigten katholischen Ständen abgelehnt werden; aber auch die überarbeitete Fassung (3. August 1530) suchte die Lehrdifferenzen, insbesondere die der reformatorischen Rechtfertigungslehre, eindeutig und unversöhnlich herauszustellen7.

Abermals waren die Protestanten zur Reaktion gezwungen: zur Annahme der Confutatio aufgefordert, ohne diese in der schriftlichen Fassung zur Verfügung gestellt zu erhalten, arbeitet Melanchthon anhand von Notizen bei der Verlesung eine Apologia Confessionis aus8, in welcher – bei gleichem Aufbau wie die Confessio, aber erheblich größerem Umfang im Einzelnen – die Präzisierungen und ausführlicheren Begründungen (gerade auch zur attackierten Rechtfertigungslehre) gegeben werden, die der summarisch harmonisierende Geist der Confessio noch zu erübrigen können glaubte.

Zu einer Verlesung ihrerseits kam es gleichwohl nicht; auf Anraten verweigerte der Kaiser am 22. September die Annahme. Bis zum Mai 1531 überarbeitete und verbesserte Melanchthon die Apologie (insbesondere den Abschnitt über die Rechtfertigungslehre), die uns somit gedruckt gegenüber der Augsburger Version in er­weiterter Fassung vorliegt. 1537 wurde sie in Schmalkalden neben der Confessio offizielle Bekenntnisschrift9.

II. Die Rechtfertigungsartikel innerhalb des Aufrisses von CA und Apologie

Der zentrale Rechtfertigungsartikel in der CA ist der vierte De iustificatione10; seine Stellung innerhalb der Confessio ist vor dem Hintergrund einer weitgehenden Kongruenz im Aufbau zwischen dem ersten Teil der CA und dem altkirchlichen Glaubensbekenntnis11 zu sehen.

Die trinitarische Grundlegung in CA 1 stellt sich mit dem Verweis auf das Nicaeno-Constantinopolitanum (von 381) ausdrücklich in die Tradition der altkirchlichen Gotteslehre, eine Ubereinstimmung, welche auch der zweite Artikel über die Erbsünde und der christologische dritte12 erweisen sollen. Mit dem fünften Artikel über den Heiligen Geist als Vermittler des Wortes setzt die Behandlung des geistlichen Amtes und der Kirche (bis Art. 8) im reformatorischen Sinne ein. Damit ist die Rechtfertigungslehre in die dem zweiten (Christus) und dritten (Hlg. Geist) Teil des Glaubensbekenntnisses entsprechenden Artikel eingebettet. CA 17 Von der Wiederkunft Christi zum Gericht (und damit auch der Wiederauferstehung der Toten) schließt den Aufriss, welcher im Anschluss an das Credo auch für die Lehrartikel der Confessio Augustana festzustellen ist13.

Insgesamt ist der Aufbau der Apologie der gleiche wie derjenige der CA. Doch hatten sich erhöhte Ausführlichkeit und Präzisierung der darzulegenden Lehren bereits im erheblich umfangreicheren Artikel 2 Von der Erbsünde niedergeschlagen, so stellt der vierte Artikel der Apologie Von der Rechtfertigung strenggenommen eine eigene Abhandlung für sich dar, in fünf Abschnitten und einer ausgiebigen Antwort auf die Argumente der Widersacher14, gefolgt von der Kirchenlehre und den Sakramentsartikeln. Insgesamt bietet die Apologia parallel zur Confessio eine eingehende theologische Auslegung der dort vergleichsweise knapp und summarisch dargelegten Grundzüge des protestantischen Verständnisses.

III. Der Rechtfertigungsbegriff der Confessio Augustana

„Gleichermaßen lehren sie, dass die Menschen vor Gott nicht durch eigene Kraft, Verdienste oder Werke gerechtfertigt werden können, sondern umsonst um Christi willen durch den Glauben gerechtfertigt werden, wenn sie glauben, dass sie in die Gnade aufgenommen und ihre Sünden erlassen werden um Christi willen, der durch seinen Tod für unsere Sünden Genüge geleistet hat. Diesen Glauben rechnet Gott als Gerechtigkeit vor sich selbst an“15 (Art. 4).

Die entscheidenden Begriffe des reformatorischen Rechtfertigungsverständnisses sind in einer maßvoll formulierenden, darum aber nicht weniger eindeutigen Sequenz zur Sprache gebracht: Verneinung der Wirksamkeit eigener Leistungen und Verdienste, dagegen Beharren auf den Prinzipien des gratis und des propter Christum; was diesen gegenüber auf der Seite der Gläubigen erwartet wird, ist der Glaube an die Gnade Gottes um Christi willen. Bemerkenswert und für das diplomatische Anliegen Melanchthons bezeichnend, dass der excludierende Grundsatz des sola fide noch nicht ausdrücklich auftaucht16, gleichwohl der Sache nach verfochten wird.

Der Glaube des Menschen an Rechtfertigung vor Gott ist gleichgesetzt mit dem Glauben an Christus und seinen (von den Sünden) erlösenden und damit gerecht machenden (iustificare) Opfertod; Rechtfertigungsglaube im Sinne eines Christusglaubens ist somit „seinem Wesen nach Heilszuversicht“17. Dabei zeigt das Nebeneinander von propter Christum und per Christum, dass die Rechtfertigung nicht nur (äußerlich) um Christi willen, sonden eben auch durch Christus selbst vollzogen wird. CA 20 wird dies folgendermaßen verdeutlichen: „… quod propter Christum recipiamur in gratiam, qui solus positus est mediator et propitiatorium, per quem reconcilietur pater“18; CA 21 wendet dies sinngemäß gegen einen übertriebenen Heiligenkult an19.

Der Glaube als die Haltung, in welcher man die Gnade der Rechtfertigung überhaupt erst erfahren könne, wird nun ausdrücklich aus der Heiligen Schrift hergeleitet, aus Rom. 3, insbes. 24 und 26 und Rom. 4, 5, in welchen der Gedanke des gratis, also der Ablehnung eigener Verdienste, und der des (sola) fide in entsprechender Weise miteinander verknüpft sind20. Ganz eindeutig schließt später AC 4 eine ‚Verdienstauffassung‘ aus und ersetzt sie durch die strikte Exklusivpartikel gratis. Freilich ist damit in erster Linie ausgesagt, dass die Rechtfertigung von vorangegangenen Leistungen nicht abhänge, der objektive ethische Wert (möglicherweise nachfolgender) ‚guter Werke‘ soll hingegen keineswegs aufgehoben werden21.

Zahlreiche weitere Aussagen zum Rechtfertigungsgeschehen aus reformatorischer Sicht finden sich über die einzelnen Artikel der CA verstreut22; es sollen nun im Folgenden diejenigen noch kurz überblickt werden, welche die in CA 4 bereits genannten Grundelemente der Rechtfertigung – gratis, propter Christum, per fidem – in sich aufnehmen:

  1. Von der Sündenvergebung aus Gnade, die (allein) durch den Glauben und nicht durch eigene Verdienste zu erreichen sei, sprechen sodann Artikel 6 (BKSL 60, 13-17 / § 3 Ambrosius s. o. Anm. 16), Artikel 20 (BKSL 79, 3-5 / § 22 – Klosterleben u. ä.) und Artikel 28 (BKSL 129, 6-9 / § 52 – Gottesdienste).
  2. Christus als der Stifter dieser Gnade wird uns in den Artikeln 20 (BKSL 76, 26 – 77, 30 / §§ 9-14 – Paulus, Ambrosius und Augustin – und 79, 11-13 / § 23 – ‚Historienglaube‘ – wahrer Glaube), 26 (BKSL 101, 17-21 / § 5 – gegen äußerliche Kultvorschriften – und 104, 28 – 105, 1 / § 27 – Petrus) und 27 (BKSL 116, 5-13 / § 37 – Relativität des von Menschen eingesetzten Kultus, nach Paulus23) mehrfach vor Augen geführt.

Als Ganzes betrachtet, findet eine weitere Differenzierung des Rechtfertigungsgedankens hier noch nicht statt; dies wird die ‚Abhandlung‘ AC 4 zu leisten haben. Die Confessio zeichnet das Gerüst des Rechtfertigungsgebäudes auf, ein materialreiches Ausfüllen und quasi die Feinarbeit im Einzelnen erbringt die Apologie. Zahlreiche parallele Wendungen und synonyme Begriffe zu gerechtfertigt werden / iustificari finden sich – nicht allein in den oben eigens genannten Stellen –, etwa zu Gnaden nehmen, Vergebung der Sünde verdienen oder Gnade und Vergebung der Sünden erlangen24.

Verschiedene Aspekte der Rechtfertigung sind durchaus ungeschieden nebeneinandergestellt: ihr Grundcharakter ist forensisch im Sinne einer Zurechnung der Gerechtigkeit als göttlichem Akt im Himmel (mithin ‚ausserhalb‘ des gläubigen Menschen)25; auf dieses richterliche Urteil Gottes deutet der letzte Satz von CA 4. In engem Zusammenhang damit steht der Begriff der ‚imputativen Gerechtigkeit‘, welche bereits Luther in den Doppelgedanken einer Nichtanrechnung der Sünden und einer Anrechnung der Gerechtigkeit Christi faßte26. Freilich ist unter dem Imputationsgedanken keine bloße Zurechnung zu verstehen: von einer  ‚magischen‘ Hinwegnahme aller Sünde aus dem ‚alten Menschen‘ kann keine Rede sein, doch wird der sich als solchen erkennende Sünder quasi zum ‚neuen Menschen‘ in die (durch Gott selbst) wiederhergestellte Gottesgemeinschaft hinein wiedergeboren, die verlorene Gottesnähe neu bewirkt27. Von diesem Standpunkt aus konnte auch E. Schlink28 (forensische) Gerechterklärung und (effektive) Gerechtmachung gleichsetzen. Eine Trennung dieser beiden Prinzipien ist in der CA jedenfalls noch nicht beabsichtigt; sehr stark betont wird allerdings durchweg der (paulinische) Gedanke des gratis.

IV. Die Ausarbeitung des Rechtfertigungsbegriffs in der Apologia Confessionis

Es bietet sich nun an, gerade die letztgenannten Gesichtspunkte der CA in der Apologie weiterzuverfolgen29. Vom forensischen Charakter seines Rechtfertigungsbegriffes spricht Melanchthon ausdrücklich: BKSL 209, 32-34 (lt.) „Und gerechtfertigt werden bedeutet hier nicht, aus einem Gottlosen zu einem Gerechten gemacht zu werden, sondern nach dem usus forensis zu einem Gerechten erklärt zu werden“; nicht minder deutlich BKSL 219, 43-46 (lt.) „Rechtfertigen aber heißt an dieser Stelle (Röm. 5, 1) nach dem forensischen Gebrauch den Angeklagten freisprechen und für gerecht erklären, allerdings um einer fremden, nämlich Christi Gerechtigkeit willen, welche als fremde Gerechtigkeit uns durch den Glauben vermittelt wird. Und wenn daher an dieser Stelle unsere Gerechtigkeit die Anrechnung (imputatio) einer fremden Gerechtigkeit ist, …“ [jeweils eigene Übers.]; nach der Abgrenzung von einer philosophisch begründeten Werkgerechtigkeit findet sich innerhalb weiterer Pauluszitate 2. Kor. 5, 21 folgendermaßen angewandt: „Aber weil Christi Gerechtigkeit uns durch den Glauben geschenkt wird, ist deswegen der Glaube als Gerechtigkeit in uns angerech­net, d. h. er ist das, wodurch wir zu Angenommenen bei Gott wegen der Anrechnung und Einsetzung vor Gott gemacht (efficimur) werden, wie Paulus sagt (Röm. 4, 3/5): Der Glaube wird gerechnet zur Gerechtigkeit“30. Man sieht neben dem imputativen auch das effektive Moment recht deutlich; freilich wird nun nicht eine neue ethische Qualität des (jetzt etwa gerechten) Menschen bewirkt, vielmehr eine neue Weise der Gemeinschaft Gottes mit dem (nach wie vor sündigen) Menschen, eine neue Gottesnähe des Menschen durch Gott in Christus geschaffen .

Eine weitere Stelle der AC drückt dies noch eingehender aus: In Artikel 4 heißt es im vierten Abschnitt Dass wir Vergebung der Sunde allein durch den Glauben an Christum erlangen31: „So aber denken wir nicht über den Glauben, sondern verteidigen folgendes, dass wir eigens und wirklich durch den Glauben selbst um Christi willen für gerecht erachtet werden bzw. vor Gott angenommen sind. Und weil gerechtfertigt werden bedeutet, aus Ungerechten zu Gerechten gemacht bzw. wiedergeboren zu werden, bedeutet es auch, für Gerechte erklärt bzw. gerechnet zu werden. Auf beiderlei Weise spricht nämlich die Heilige Schrift. Deswegen wollen wir zuerst dies zeigen, dass allein der Glaube aus einem Ungerechten einen Gerechten macht, d. h. die Vergebung der Sünden empfängt.“ Die Gerechtmachung besteht also in einer Neubegründung des Verhältnisses zu Gott auf dem Wege der Sündenvergebung um Christi willen.

Nach den fünf eigenen Lehrabschnitten trifft Melanchthon in der ‚Antwort auf die Argumente der Widersacher‘ allerdings eine Unterscheidung zwischen effektivem und imputativem Moment (BKSL 209, 32 ff.): „Und gerechtfertigt werden bedeutet hier (bei Jak. 2, 2432) nicht, aus einem Ungerechten zu einem Gerechten gemacht zu werden, sondern nach dem usus forensis für gerecht erklärt zu werden … folgendermaßen denken wir über die Worte des Jakobus: Gerechtfertigt wird der Mensch nicht allein aus dem Glauben, sondern auch aus den Werken, weil gewiss die Menschen für gerecht erklärt werden, die den Glauben und gute Werke besitzen. Denn gute Werke gehören – wie wir sagten – zu den Heiligungen der Gerechtigkeit und gefallen wegen des Glaubens. Denn nur die Werke preist Jakobus, welche der Glaube hervorbringt, wie er bestätigt, wenn er von Abraham sagt: der Glaube unterstützt seine Werke. In diesem Verständnis wird ausgesagt: die das Gesetz erfüllen, werden gerechtfertigt, d. h. für gerecht erklärt, die mit dem Herzen an Gott glauben und dann auch gute Früchte tragen, welche wegen des Glaubens gefallen und deswegen die Erfüllung des Gesetzes darstellen (52)“ [eigene Übers.]. Hier wird vordringlich der Folgecharakter der guten Werke aus dem Glauben im Anschluss an Jakobus unterstrichen33, denen die Rechtfertigung durch Sündenvergebung vermittels Christi vorangegangen ist34.

Und hiernach richtet sich auch die Unterscheidung zwischen den beiden Formen der Rechtfertigung: für gerecht erklärt werden hier diejenigen, an denen der Rechtfertigungsvorgang als solcher bereits vollzogen ist und die als Früchte ihres lebendigen Glaubens und ihres neuen Verhältnisses zu Gott dies jetzt auch durch gute Werke bestätigen35. So kann Melanchthon den scheinbaren Widerspruch der gesamten Passage Jak. 2, 14-26 zur paulinischen Rechtfertigungslehre etwa aus Röm. 4, 1-8 erklären, ohne sich um die lästige Stelle aus dem Jakobusbrief herum zu winden oder ihn, wie Luther, gegenüber Paulus herabzusetzen36.

Das neue Verhältnis zu Gott erklärt Melanchthon mit einer weiteren Stelle aus dem Römerbrief (5, 1): „pacem habemus erga Deum“, und zwar als „iustificati ex fide“ (BKSL 219, 42 f.); und weiter unten (ib. 52 f.): „… (der Glaube), durch den wir zu Angenommenen bei Gott gemacht werden …“37. Die Gerechtigkeit wird auch hier im Zuge eines forensischen Aktes zugesprochen, und sie kann auch nur zugesprochen werden, da sie ja, wie mehrfach auch an dieser Stelle betont, die Gerechtigkeit Christi, also eine ‚Fremdgerechtigkeit‘ ohne jede eigene Leistung ist. Die Leistung des Sünders besteht lediglich darin, dass er im Glauben an Christus ein Medium bereit hält, durch welches ihm Christus und dessen Gerechtigkeit zuteilwerden konnte.

Einige kurze Bemerkungen zur Rolle Christi und zum Gedanken des gratis seien noch angefügt: der Wert der ‚guten Werke‘ als Rechtfertigungsgrund ist hinreichend abgewiesen, und gerade CA 4 hatte auf den Begriff gratis großen Wert gelegt; an ganz anderer Stelle der Apologie, im 24. Artikel Von der Messe (was Opfer sei), wird dieser gratis-Gedanke mit der Opfertat Christi in Verbindung gebracht: dort (BKSL 354, 26-31) wird von einem Sühnopfer (sacrificium propitiatorium, i. e. satisfactorium) gesprochen, welches Gott versöhnt (reconcilians) bzw. Anderen Sündenvergebung (remissionem peccatorum) verdient. Wir erkennen zentrale Begriffe von CA 4 wieder38. Weiter: nicht wegen unserer Gerechtigkeit, sondern wegen fremder – Christi – Verdienste will Gott sich uns versöhnen lassen (ib. 355, 31-37)39.  Und schließlich im Art. 27 (Von den Klostergelübden): „… nicht, um wegen unserer eigenen Werke die Sünden zu erlassen, sondern um seine Verdienste, seine Versöhnungstat dem Zorn Gottes für uns entgegenzusetzen, damit uns umsonst / ohne Verdienst verziehen werde“40; dieser ver­zeihende Gnadenakt (in gratiam recipi aus CA 4) wurde schon im ersten Abschnitt von AC 4 als die gratuita remissio peccatorum et iustitia fidei charakterisiert41.

Wir haben somit sehen können, dass der vierte Artikel der Apologia Confessionis die knappen, aber grundlegenden Gedanken des Artikels 4 der Confessio Augustana an zahlreichen Stellen aufgreift, präzisiert und – nicht zuletzt mit mannigfachen Schrift­zeugnissen – zu belegen sucht. Auch die Tendenz, sich ganz in die Tradition der Alten Kirche, insbesondere der paulinischen Rechtfertigungslehre, zu stellen, ist durchgängig beibehalten. Lag der beherrschende Gedanke von CA 4 im Begriff des gratis, demgegenüber auf eine scharfe Trennung zwischen forensischer und effektiver Rechtfertigung verzichtet worden war, so unterscheidet die Apologie hier doch genauer: das effektive Moment des Rechtfertigungsgeschehens betrifft wesensmäßig nicht den (sündigen) Menschen in einer (neuen) ethischen Qualität, sondern seine neue Gottesnähe nach der Sündenvergebung (um Christi willen). Diese neue Gottesgemeinschaft wird quasi ‚erklärt‘ in einem forensischen Akt, mit welchem ihn Gott unter Anrechnung seines Glaubens (anstelle seiner Sünden) für gerecht erklärt und somit wieder (in Gnaden) annimmt. Dieses Nebeneinander und nicht eine gleichwie geartete rationelle Abfolge zwischen beiden Momenten42 entspricht auf das Genaueste dem lutherischen Grundgedanken des simul iustus et peccator43.

Saarbrücken, im Frühjahr 1986

[aus: Beiträge zu den Sprach- und Literaturwissenschaften, hg. v. R. G. Fischer (Frankfurt a. M. 1986), 39-54].

Anmerkungen:

1„… alle ains yeglichen gutbeduncken, opinion und maynung zwischen uns selbs in liebe und gutligkait zuhören, zuverstehen und zuerwegen …“ (Text nach K. E. FÖRSTEMANN, Urkundenbuch zu der Geschichte des Reichstages zu Augsburg im Jahre 1530, 2 Bde. (Halle 1833-35, ND Osnabrück 1966), Bd. 1, 7 f.).

2Kl. R1SCHAR, Johann Eck auf dem Reichstag zu Augsburg 1530, in: RGST 97 (1968), hier insbes. 17, vgl. auch 18-23.

3Erst hier tritt auch das Bestreben in den Vordergrund, ein protestantisches Bekenntnis auf breiterer Basis zustande zu bringen.

4Deren endgültige Form stellt somit quasi eine ‚Ratifizierung‘ auch der Marburger Artikel dar und wird sehr bald nach den Religionsgesprächen vorgelegen haben; jedenfalls wurden sie zwischen dem 3. und 7.10. 1529 in Schleiz von Kursachsen und Brandenburg-Ansbach angenommen, die sich zusammen mit Nürnberg am 16.10.1529 in Schwabach und am 2./3.12.1529 in Schmalkalden von Hessen, Ulm und Straßburg schieden. Darüber hinaus hatte Melanchthon bei der Abfassung auch Luthers Bekenntnis Vom Abendmahl Christi (1528) sowie seine Katechismen verwertet; vgl. hierzu insgesamt auch B. LOHSE, Die Confessio Augustana und die Apologie, in: C. ANDRESEN (Hg.), Handb. d. Dogmen- u. Theologiegeschichte, 3 Bde. (Göttingen 1980-84), Bd. 2, 1980, 81-94 (mit weiterer Literatur), hier insbes. 83 f.

5S. dazu Luthers Bemerkung (bei aller Zustimmung im Grundsatz) in einem Brief an Kurfürst Johann von Sachsen (15. Mai 1530): „… denn ich so sanfft und leise nicht tretten kan“ (WAB 5, Nr. 1568, 8).

6S. dazu auch Luthers erneute Kritik am ‚Leisetreten‘ in einem Brief an Justus Jonas vom 21.07.1530 (WAB 5, Nr. 1657, 6-9).

7Zur Confutatio insgesamt s. V. PFNÜR, Einig in der Rechtfertigungslehre ? Die Rechtfertigungslehre der CA (1530) und die Stellungnahme der katholischen Kontroverstheologie zwischen 1530 und 1555 (Wiesbaden 1970), 222-50.

8Notwendig geworden nicht zuletzt auch durch das endgültige Scheitern der noch bis Ende August stets parallellaufenden Ausgleichsverhandlungen unter theologischer Federführung Melanchthons und insbesondere des päpstlichen Legaten Campeggio; zu diesen Ausschüssen im Einzelnen s. PFNÜR, a. O. 251-71.

9Zum ‚Schicksal‘ der Apologie auf und nach dem Augsburger Reichstag s. auch: Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche [fortan BKSL] (Göttingen 1930, 91982), Einleitung XXII f.

10Bekenntnisschriften 56 f. mit parallelen reformatorischen Texten.

11Diese kommt in der Weise zustande, dass CA 1-17 auf den siebzehn Schwabacher Artikeln basieren, in welche wiederum Luthers Bekenntnis von 1528 (s. o. Anm. 4) Eingang gefunden hatte. Dieses Bekenntnis einerseits, wie auch Melanchthons Loci von 1533/35 (vgl. Corpus Reformatorum [Berlin 1834 ff.], XXI 349) orientieren sich ausdrücklich am Aufbau des Apostolisch/Nicänischen Glaubensbekenntnisses; gerade die genannten Loci aber zeigen die gleiche Anordnung wie die CA, so dass es sich anbietet, das Credo der Alten Kirche auch als Hintergrund dieses Teiles der Confessio anzusehen (hierzu auch PFNÜR a. O. 97-99 mit früheren Gliederungsansätzen für die CA).

12Auch am Ende dieses Artikels wiederum der Verweis auf das Symbolum Apostolorum, s. Bekenntnisschriften 54, 26 bzw. § 6.

13Zur Sakramentenlehre und ihrer Einordnung in den Artikeln 9-13 (nach Luthers Vorarbeiten insbes. zum dritten Teil des Glaubensbekenntnisses) sowie zu CA 14-16 als sekundären Zusatzartikeln s. PFNÜR a. O. 104 f.; dort spricht Pfnür auch einleuchtend vom „heilsgeschichtlichen Rahmen“ bzw. „konsequenter heilsgeschichtlicher Ordnung“, 101 von „der Verbindung von trinitarischem Aufriss und heilsgeschichtlicher Linie“ sowie „der Hinordnung der Rechtfertigungslehre sowohl auf den zweiten als auch auf den dritten Teil des Glaubensbekenntnisses“ innerhalb der Lehrartikel 1-17 der CA. Auch die Artikel 18-21 werden allgemein als Zusatzartikel zu einzelnen Fragestellungen (insbes. Vorwürfen Ecks aus den 404 Artikeln) angesehen (vgl. PFNÜR a. O. 98).

14Bekenntnisschriften 158-233.

15Bekenntnisschriften 56 §§ 1-3.

16S. aber Bekenntnisschriften 56, textkritischer Apparat zu (dt.) 3/8 „allein aus Gottes Gnaden …“ in einer Vorform des deutschen Textes. In einem Ambrosiuszitat findet sich der Gedanke dann im sechsten Artikel (Bekenntnisschriften 60, 16 / § 3).

17Vgl. B. LOHSE a. O. (s. o. Anm. 4) 87.

18Bekenntnisschriften 77 § 9; im deutschen Text findet sich allein der Begriff des ‚Mittlers‘. Den Christus propitiator wird auch die Apologie ausarbeiten, s. etwa Bekenntnisschriften 206, 17-23 (erläuternd dazu auch ib. 218, 42-46), ib. 382, 38 – 383, 11.

19Bekenntnisschriften 83 b, 14 – c, 2 (mit 1. Timoth. 2, 5 und Röm. 8, 34) / 83 b § 2; s. auch Torg. ib. 83 b, 23 f. Weitere Begriffe wären etwa der der hostia in CA 3 (54, 10-12 / § 3) oder der oblatio aus CA 24 (93, 26-28 / § 25).

20Dabei steht gratis in Verbindung mit der Rechtfertigung (dikaioúmenoi dōreán) im NT nur hier (Röm. 3, 24; PFNÜR a. O. 144). S. dazu die Annotationes zum Römerbrief ( 1530), CR 15, 451 mit ihrer klaren Unterscheidung zwischen Gesetz (/merita) und Evangelium (/gratis), Moses als Gesetzgeber und Christus als Erlöser sowie CA 20, Bekenntnisschriften 77 § 14 (Ps.-Ambros. de voce gent. I 17); auch die Apologie führt (ib. 179, 28 – 180, 13) wortreich aus Augustin (de spiritu et lit. 13, 22) und Paulus die Rechtfertigung ‚ungeschuldet‘ auf den Glauben und nicht (als Lohn) auf gute Werke zurück.

21S. Bekenntnisschriften 170, 55 f. gratuitum excludit nostra merita; ib. 174, 45 – 175, 22: (nach der Herleitung der gleichfalls Exklusivpartikel sola aus Paulus) „… excludimus … opinionem meriti … Dilectio etiam et opera sequi fidem debent. Quare non sic excluduntur, ne sequantur, sed fiducia meriti dilectionis aut operum in iustificatione excluditur …“ Zu den Kernbegriffen der re­formatorischen Rechtfertigung vgl. auch PFNÜR a. O. 144-54.

22Eine Gesamtzusammenstellung bietet PFNÜR a. O. 140-43.

23Zur Zurückdrängung des Einflusses von Kirchen- und Gottesdienstordnungen, von überkommenem Brauch und Zeremoniell s. auch Bekenntnisschriften 106, 24 – 107, 4 / §§ 40-42 (Art. 26) und 117, 15-27 / § 48 (Art. 27).

24Dieser Wendung ist im lateinischen Text von Art. 20 (BKSL 79 § 23) die iustitia ausdrücklich beigegeben, im deutschen aber schon gar nicht mehr eigens ausgedrückt. Art. 5 (BKSL 58 § 3) läßt dem Deus … iustificet im Deutschen (10) ein gnädigen Gott haben entsprechen.

25Hier setzt sich Melanchthons persönliche Lehre durch; im ‚Osiandrischen Streit‘ (1549-66) hat sie sich später gegenüber der Ansicht zu behaupten, dass die Gerechtigkeit Christi dem Glaubenden realiter einwohne.

26Vgl. SCHEEL, Rechtfertigung II (Dogmengeschichte) 7/8, in: RGG 4 (1913), Sp. 2083-86, hier insbes. 2083 f. und IHMELS, Rechtfertigung, in: RE für Protestant. Theologie und Kirche3 16 (1905), hier 502-08, insbes. 504-06 sowie HERMANN (u. Anm. 27) 202 f.

27Vgl. R. HERMANN, Ges. Studien zur Theologie Luthers und der Reformation (Göttingen 1960), 112.

28Die Theologie der Bekenntnisschriften (München 1948), 141 (zu AC 4).

29Eine ausführliche Bibliographie zum Rechtfertigungsbegriff der Apologie in der Forschung seit F. LOOFS (1884) gibt PFNÜR a. O. 155 Anm. 94/95.

30Röm. 4, 5 „Dem aber, der nicht mit Werken umgeht, glaubt aber an den, der die Gottlosen gerecht macht [effektiv], dem wird sein Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit [imputativ]“.

31BKSL 174, hier insbes. 34-44; vgl. dazu auch PFNÜR a. O. 173 f.

32S. BKSL 207, 35-37 und PFNÜR a. O. 175 m. Anm. 255.

33Jeder Verdrehung dieser Worte ins umgekehrte Verhältnis und den sich daraus ergebenden Schlüssen auf das Verhältnis Christus – gute Werke im Rechtfertigungsgeschehen wird im Folgenden (bis 210, 8) energisch und wortreich widersprochen (s. auch ib. 207, 35-55).

34Zum Nachfolgecharakter der Werke aus dem rechtfertigenden Glauben (sowie ihrem Stellenwert ganz allgemein) s. auch BKSL 186, 48-54 und 187, 27-35 (Gesetz und Werke); 188, 1-14 (praecedere fidem, sequi dilectionem); 191, 36-55 (Christus – Werke/Gesetz); 197, 45 – 198, 39 (gute Werke als Früchte und Betätigungen des Glaubens, zugleich aber auch als Christi Werke im Großen wie im Kleinen; dazu auch HERMANN a. O. 271-74); 214, 46-52 (gute Werke als Folge und äußeres Zeichen der Aussöhnung).

35S. hierzu auch PFNÜR a. O. 175 f. – Die guten Werke werden überhaupt zu solchen, die Christus/Gott durch den Menschen verrichten lässt und damit heiligt; die Haltung des Menschen, dies an und durch sich geschehen zu lassen, kann damit durchaus im Sinne des biblischen Werkverständnisses gesegnet werden, vgl. H. ASMUSSEN, Warum noch lutherische Kirche – ein Gespräch mit dem Augsburger Bekenntnis (Stuttgart 1949), 77 und 80-82; zur Stellung der Confutatio zu CA 4, insbes. ihrem berechtigten Hinweis auf den biblisch verankerten Lohngedanken („Gott wird einen jeden nach seinen Werken richten“) einerseits, ihrem Zugeständnis aber, dass „unsere Werke aus sich selbst nichts verdienen, sondern Gottes Gnade sie würdig mache des ewigen Lebens“, andererseits s. ASMUSSEN ib. 80.

36Hierzu wie zum Verfahren Melanchthons s. F. W. KANTZENBACH Der argumentative Schriftgebrauch in der reformatorischen Theologie des Heils, in: Lebendiger Umgang mit Schrift und Bekenntnis (Theologische Beiträge zur Beziehung von Schrift und Bekenntnis und zu ihrer Bedeutung für das Leben der Kirche), hg. von J. TRACK (Stuttgart 1980), 85-125, insbes. 108 f.

37Zu dieser Passage (BKSL 219, 42-53) s. o.; vgl. auch PFNÜR a. O. 177 f.

38Mit Verweis auf den Hebräerbrief wird auch (ib. 355, 15-19) die Einzigartigkeit dieses Opfertodes herausgehoben (vgl. ib. 356, 7). HERMANN a. O. 101: „Das ‚um Christi willen, der durch seinen Tod für unsere Sünden genuggetan hat‘ ist der tragende Grund des Artikels“ (CA 4). Hätte der Mensch sein gestörtes Gottesverhältnis selbst wiederherstellen können (eben durch ‚eigene Kräfte, Verdienste, Werke‘), so hätte Gott nicht seinen Sohn zu senden brauchen (HERMANN 102).

39Vgl. ib. 206, 17-23; 218, 42 f.: Christus propitiatorChristi merita (auch CA 20 – BKSL 77, 3 ff. / § 10 – spricht vom Verdienst Christi als dem einzigen Weg zu Gott).

40BKSL 382, 38 – 383, 11. S. auch PFNÜR a. O. 146-48.

41BKSL 163, 26 – 164, 21 (der deutsche Text ist wesentlich ausführlicher); o. g. Aussage dient als Abschluss des lateinischen Textes (164, 3 f.). Vgl. auch HERMANN a. O. 263 f.

42Zum Verhältnis zwischen forensischem und effektivem Rechtfertigungsbestand in AC 4 vgl. LOHSE a. O. (o. Anm. 4) 92 f.; ganz zu Recht lehnt auch er einen ‚analytischen‘ Recht­fertigungsbegriff, welcher den Menschen schrittweise gerecht (gemacht) werden ließe, um ihn schließlich für gerecht erklären zu können, für AC 4 ab. Man mag immerhin den Begriff eines ‚synthetischen‘ (Feststellungs-)Urteils verwenden, um die Rechtfertigung als einen Akt extra hominem verständlich zu machen.

43Anregung und Einführung in den hier behandelten Gegenstand verdanke ich F. W. KANTZENBACH.

Die-Apostelgeschichte-des-Lukas

Die-Apostelgeschichte-des-Lukas

Übergangslektüre(n)  –  Die Apostelgeschichte des Lukas*

von  Michael P. Schmude,  Boppard  

aus: Pegasus VIII/1 (2008), S. 30-41

 

A. Die Frage stellt sich stets aufs Neue, welche Textsorten geeignete Übergangslektüre(n) im Anschluss an den griechischen Sprachlehrgang und vor Beginn der eigentlichen Lektürephase zu bieten vermögen, und die Kolleginnen und Kollegen wissen um das allgemein bekannte Problem beim Übergang von Lehrbuch zu Lektüre, um den sog. ‚Lektüreschock‘: die Schülerinnen und Schüler haben durchweg brav und tapfer die Grammatikpensen ihres Lehrbuchs durchgearbeitet, müssten eigentlich über die sprachlichen Gesetzmäßigkeiten verfügen. Es kommt der erste (geschlossene) literarische Originaltext – und bleibt für (zu) viele Schüler ein Buch mit (zu) vielen Siegeln …

Man hat dem zu begegnen versucht durch den möglichst frühen Einsatz von möglichst eng am Original anliegenden Lehrbuchtexten, was aber wiederum für die Spracherlernung Schwierigkeiten aufgeworfen hat: kein originaler Text ist von seinem Autor zu Lehrbuchzwecken verfasst worden, also auch nicht zu einer möglichst aus dem (begrenzten) Text(abschnitt) heraus ableitbaren Einführung bestimmter grammatischer Erscheinungen wie Satzkonstruktionen, Modusgebrauch oder Deklinationsformen. Und so finden sich für das neu einzuführende sprachliche Phänomen im Lektionstext meist zu wenige aussagekräftige Beispiele, und man ist doch wieder entweder auf künstliche Übungen oder gleich auf entsprechend ausgerichtete und zugeschnittene Gebrauchstexte verwiesen.

Welche literarischen Gattungen sind nun geeignet, einen ‚weicheren‘ Übergang von notwendigen Kunsttexten in der Spracherlernungsphase und darauf folgend angestrebter Originallektüre zu ermöglichen ? Geeignet ggfs. auch schon als Interims-Lektüre an bestimmten Stellen der Lehrbuchphase und darum sinnvollerweise einem Lehrgang wie beispielsweise dem KANTHAROS bereits als Anhang beigegeben – zumal ein Lesebuch wie im Fach Latein der materialreiche PEGASUS von Friedrich Maier im Griechischen noch aussteht ?

 

B. Lektürebeispiele und –reihe: denkbar wäre eine Auswahl aus

1.) Anekdoten, kleinen, für sich eingrenzbaren Geschichten, wie etwa Kleobis und Biton (Herodot, Historien 1, 31, 2-5); Solons Gesetzgebung (Aristoteles, Staat der Athener 5, 1-2; 6, 1; 7, 1; 11, 1) oder die Fahrt zum Mond (Lukian, Verae historiae 1, 9–12); die 1. Lysias-Rede; Episoden aus der Bibliothek Apollodors um Herakles, Theseus u.a. oder auch Partien aus Longos’ Daphnis und Chloe.

2.) Fabeln: „Schlau wie ein Esel oder dumm wie ein Fuchs ? Wie bitte ? Nein, Fuchs und Esel dürfen niemals ihre Rollen tauschen: Die tierischen „Helden“ der antiken Fabel bleiben sich immer gleich und scheinen unverwüstlich. In der späteren Literatur, bis in die Gegenwart hinein, wurden sie immer wieder gerne aufgegriffen: Die einfachen Charaktere, die formale Schlichtheit und die klaren moralischen Lehren der Fabel reizen zur Nachahmung, zum Widerspruch, zur Travestie – und sie machen die Fabel zur idealen Anfangslektüre in der Schule“ (aus den RAAbits II/C1, Autoren 2). Daneben ist reizvoll auch einmal eine ganz untypische Fabel, in welcher die Tiere eben nicht Träger feststehender Eigenschaften sind, sondern ihr Handeln sich aus unterschiedlichen Lebensräumen ergibt: Aesops Adler und Fuchs, die Auftaktfabel der Hausrathschen Sammlung; eine Auswahl weiterer aesopischer Fabeln (33 III; 49; 60 II; 71; 177 Hausrath; 177; 179 Halm) im Textanhang des Kantharos S. 159.

3.) ‚Kleinere‘, einführende philosophische Themen: Solon und Kroisos zum ‚glücklichsten‘ Menschen (Herodot, Historien 1, 29-33); Sokrates über sein Nichtwissen und seinen Dienst an der Stadt (Chairephon und das Orakel von Delphi)1.

Nun sind Fabel und Anekdote als ‚kleine Gattungen’ schon im Lateinischen für eine Interims- und/oder Übergangslektüre unstrittig. Neben weiteren von den Kolleginnen und Kollegen eingesetzten oder denkbaren Partien sind im Besonderen auch sinnvolle und mögliche Zeitansätze zu diskutieren, denn es  liegt auf der Hand, dass das Interesse der Schülerinnen und Schüler hieran nach einer Weile dann auch seine Grenzen erreicht. Und so bietet dieser (keineswegs einheitliche) Punkt der Lektüre Anlass und Gelegenheit, zu einem ersten geschlossen fortschreitenden Textcorpus hinzuführen, der

4.) Apostelgeschichte des Lukas: diese berührt mit ihrem Inhalt, ihren zumindest in Umrissen bekannten Gestalten und Geschichten die eigene Lebenswelt der Schüler durchaus und nicht zuletzt auch im Kontrast mit heute fremdartigen Gepflogenheiten und Lebensverhältnissen2 und kommt ihnen zugleich durch ihre sprachlich eher schlichte (dabei nahe am Attischen und alle Phänomene bietende) Gestalt der Koiné noch ein Stück weit entgegen.

 

C. Zur Einführung: Die Apostelgeschichte wird von Lukas selbst (Apg 1, 1) als zweites Buch seines Geschichtswerks bezeichnet. Das Evangelium schließt mit der Himmelfahrt Jesu in Bethanien; die Apostelgeschichte beginnt mit dem gleichen Ereignis – freilich auf dem Ölberg (Apg 1, 12) in der Nähe von Jerusalem. Sie dürfte um 90 n. Chr., etwa zehn Jahre nach dem Evangelium, abgefasst sein; der Entstehungsort lässt sich für beide Schriften nicht bestimmen.

1.) Der (uns ansonsten gleichfalls unbekannte) Heidenchrist Lukas3 adressiert das zusammenhängende Gesamtwerk an einen nicht genauer fassbaren Theophilus, eine zu ihrer Zeit möglicherweise hochgestellte Persönlichkeit, welchem der Autor die neue Lehre nahe bringen und über dessen Einfluss ihre Verbreitung weiter befördern möchte. Er schreibt ein quellenkritisch recherchiertes und geordnetes, (ursprünglich) selbständige Einzeltraditionen und –nachrichten in einen Zusammenhang stellendes und ausrichtendes, damit nahe an seine und seines Lesers Theophilus erlebte Gegenwart heranreichendes, literarisch abgeschlossenes Werk aus theologischer Lehrabsicht für außenstehende, aber nicht ohne Kenntnis interessierte Nichtchristen. Dieses gibt sich als geschichtliche Darstellung – man hat sogar an eine Verteidigungsschrift des (Juristen) Lukas für Paulus’ Prozess in Rom gedacht; es ist mit seinen Formelementen hellenistischer Geschichtsschreibung literarisch am ehesten der antiken historischen Monographie zu vergleichen, trägt aber erkennbare Züge der Heldenlegende im Stile etwa des Alexanderromans4. Das Geschichtsbild des Lukas folgt dabei einem dreiteiligen Heilsplan Gottes:

  • die Zeit Israels und seiner Propheten (→ AT) endet als Zeit der Erwartung mit Johannes dem Täufer (Lk 3)
  • die Zeit Jesu (← Lukas-Evangelium) als „Mitte der Zeit“ (Conzelmann; Löwith) ist angekündigt und vorbereitet im AT und bildet idealtypisch die zukünftige Gotteswelt vorweg ab, indem der Satan hier keine Macht über Menschen hat (vgl. Lk 4, 1-12)
  • die Zeit der Kirche beginnt mit dem Pfingstereignis (Apg 2) und endet mit der (verzögerten) Parusie.

In dieser ‚Choreographie’ des Heiligen Geistes behandelt das Lukas-Evangelium Wirken und Schicksal (Leiden5, Auferstehung und Himmelfahrt) Jesu sowie die Apostelgeschichte deren Bezeugung durch die Jünger. Johannes der Täufer verheißt Rettung Israels durch Sündenvergebung, Jesus ruft im Evangelium (insbes.) die Sünder, die Apostel alle Völker zur Umkehr und verkünden den Glaubenden die Generalamnestie ihrer Sünden: die Wiedererrichtung der „Hütte Davids“ wird somit Grundlage der Heidenmission (Apg 15, 16 f.). Der Grobaufriss unterteilt die Apostelgeschichte in die Zeit der Urgemeinde und Mission Antiochias (c. 1-14) sowie das Wirken des freien (c. 15-21) und des gefangenen (c. 21-28) Paulus; eine Gliederung der Apostelgeschichte gibt indes Jesus bereits 1, 8 mit dem Auftrag an die Apostel, Zeugen zu sein a) in Jerusalem (Apg 1-5 Gemeindebildung), b) in ganz Judäa und Samaria (Apg 6-12 Mission ebda.) und c) bis zum Ende der Erde (Apg 13-28)6. Das Buch endet mit dem ‚Triumph’ des Paulus (Apg 28, 30 f.) in Rom – sein Martyrium war bereits Apg 20, 22-25 angekündigt worden: die Apostelgeschichte findet ihr Ziel mit dem ungehinderten Wirken des gefangenen Paulus in der Welthauptstadt7, das Programm (Apg 1, 8) richtet das Geschehen „bis ans Ende der Erde“.

 2.) Aufriß:

c. 1 – 12   Die Zeit der Urkirche (Zentrum: Petrus und Jerusalem)

1 – 2   Himmelfahrt; Pfingstereignis (2, 14-36: Predigt des Petrus); Anfänge der Urgemeinde

3 – 5   Worte und Taten der Apostel in Jerusalem

6 – 7   Predigt und Martyrium (Steinigung) des Stephanus; Verfolgung der Gemeinde (Saulus)

8 – 12   Beginn der Heidenmission als Folge der Christenverfolgung in Jerusalem: Samaria und Antiochien ( Philippus 8, 4 ff.; Damaskus-Erlebnis des Saulus 9, 3 ff.; Petrus und Cornelius 10; Gründung der Gemeinde in Antiochien durch versprengte Jerusalemer Christen und Barnabas 11, 19-26)

c. 13 – 28   Die Weltmission des Paulus (13, 9: Saulus → Paulus) (Zentrum: Paulus, die Völkerwelt und Rom)

13 – 14   Erste Missionsreise (Antiochien und Kleinasien; Steinigung des Paulus in Lystra 14, 19)

15   Apostelkonzil: Anerkennung gesetzesfreier Heidenmission (Zerwürfnis mit Barnabas 15, 39; ← Silas)

16 – 18   Zweite Missionsreise (Kleinasien, Griechenland = Übergang 16, 11 nach Europa. 16, 19 ff.: Verhaftung in Philippi; 17, 22-31: Areopagrede des Paulus)

19 – 21   Dritte Missionsreise (Kleinasien, Griechenland; 19, 23 ff.: Aufruhr der Silberschmiede in Ephesus)

21 – 28   Über Jerusalem und Caesarea nach Rom; Gefangenschaft ( 21, 27 ff.: Festnahme in Jerusalem; 22, 1-21: Begründung seines Auftrags vor den Juden; 23, 11: Auftrag zum Martyrium in Rom [27, 24]; 24: Prozess in Jerusalem vor Hananias und dem römischen Statthalter Felix; 25, 10-12: in Caesarea bei Festus Antrag auf Appellation vor dem Kaiser in Rom; 27 – 28, 15 Seereise).

 3.) Literarische Eigenart(en): Lukas arbeitet mit modellhaft gestalteten und wiederkehrenden Szenen: a) Apg 2 Pfingsten: Wunder – erklärende Missionsrede – Reaktion der Adressaten; b) Apg 10 Bekehrung eines Nicht-Juden, hier: des römischen Hauptmanns Cornelius – durch Petrus !8; c) Missionsreisen (Apg 13 f.): in der fremden Stadt besucht Paulus zuerst die Synagoge und verkündet den Juden aus dem Alten Testament Jesus als den Christus – dagegen erfolgt nach einer gewissen Zeit Widerspruch der Juden, zugleich Zustrom heidnischer Hörer – Paulus wendet sich von den Juden ab und den Heiden zu; d) Apg 4, 1-23 hat eine mirakulösere ‚Parallelfassung’ in Apg 5, 17-42 (Rezension B, s.u.). Die Damaskusgeschichte Apg 9, 3-19 wird noch zweimal (Apg 22, 5-16; 26, 12-19) wiederholt – mit Variationen entsprechend der beabsichtigten (apologetischen) Botschaft9.

In der Quellenfrage10 bieten historisch wohl zuverlässige Berichte eine jerusalemisch-cäsareensische Quelle für Apg 3, 1 – 5, 16; 8, 5-40; 9, 31 – 11, 18; 12, 1-23 (der Evangelist Philippus ?) sowie eine antiochenisch-jerusalemische Quelle für Apg 6, 1 – 8, 4; 11, 19-30; 12, 25 – 15, 35 (Silas ?), die sogen. „Rezension A“ (Harnack). Im ersten Teil seines „Geschichtswerks“ (Apg 1-12) verwendet Lukas etwa ein Dutzend selbständiger Geschichten (aus Antiochia ?), die er aber nicht einfach sozusagen parataktisch miteinander verknüpft, sondern durch umfassende ‚Summarien’ (s.u.) ins Grundsätzliche erhebt. Die Partie Apg 16-28 enthält zwar die „Wir-Berichte“, welche Augenzeugenschaft vermitteln wollen, den ‚roten Faden’ insbes. für Apg 13-21 dürften Aufzeichnungen eines oder mehrerer Begleiter des Paulus, möglicherweise zusammengefasst zu einem ‚Itinerar’, vorgegeben haben11, Quellencharakter besitzen die Reiserouten gleichwohl nicht.

Kompositorische Verknüpfungen, z.B. die Einfügung weniger Bemerkungen über Saulus in das Stephanus-Martyrium (Apg 8, 1.3) zur Vorbereitung der Damaskus-Episode (Apg 9, 1-30) – darin spannungserzeugende (9, 9) wie retardierende (9, 13 f.) Momente –  sollen ebenfalls einen ‚historischen Zusammenhang’ stiften, mit dem Apostelkonzil des c. 15 als Dreh- und Angelpunkt zweier Perioden: derjenigen der Urgemeinde des Petrus und Jakobus (historisch einmalig und damit abgeschlossen in Himmelfahrt Christi, Apostelkreis, Mosegesetz und Gütergemeinschaft), welche diejenige der Heidenmission des Paulus (weltoffen und gesetzesfrei) vorbereitet und hier legitimiert, beide in der Kontinuität der Herrschaft des Heiligen Geistes und des Wirkens des Paulus. Neben dem Apostelkonzil leisten Verzahnungen auch die eigentliche Begründung der Heidenmission durch die Hellenistenführer Stephanus (Apg 6, 5.8 in Jerusalem) und Philippus (Apg 8, 5 f./40 in Samaria), ihre erste Übernahme durch Petrus (Apg 10, 34 f.) sowie die Gemeinde in Antiochia als Ausgangspunkt für Paulus12.

Die Einlage von Reden an Stellen ohne unmittelbaren situativen Bezug oder Notwendigkeit, aber zur Deutung des Geschehens im Ganzen wie die Areopagrede, Stephanus (Apg 7, 2-53) oder Paulus in Milet (s.u. ,Testament’) entspricht bester historiographischer Tradition (← Thukydides). Sie stammen also vom Autor selbst und folgen festen Typen:

  1. Missionsansprachen des Petrus an Juden: Anknüpfung an das AT, christologisches Kerygma, Schriftbeweis und Heilszuspruch mit Bußruf (vgl. Paulus in Apg 13).
  2. Stephanusrede Apg 7 (Synagogenpredigt) – ein kritischer Überblick über die Geschichte Israels zur Begründung der Heidenmission.
  3. Areopagrede (Apg 17, 22-34): eine paulinische Missionsansprache vor Heiden.
  4. Eine typische Abschiedsrede des Paulus (Apg 20, 17-38) vor den ephesinischen Gemeindeältesten in Milet als Abschluss seiner Mission („der ideale Gemeindeleiter“).
  5. Verteidigungsreden des gefangenen Paulus: Christentum und römischer Staat stehen in keinem Widerspruch.

Das missionarische Anliegen der dem Petrus (Apg 2. 3. 5. 10) oder Paulus (Apg 13) in den Mund gelegten Predigten indes ist bei antiken Historikern nicht zu finden; es entspricht der Absicht ihres Verfassers, literarisch für den neuen Glauben zu werben. So wird in der Areopagrede durch absichtsvolle Parallelen das Mittel der ‚indirekten Aussage’ angewandt, um den Werdegang des Paulus in eine Linie mit dem Schicksal des Sokrates zu setzen; Paulus wie sein ‚Vorgesetzter’ Petrus sind keine individuellen Figuren, sondern entsprechen dem Idealbild des theíos anēr13. Die Gefangenschaft des Paulus in Jerusalem und Caesarea gibt Gelegenheit zu drei Apologien des Christentums: vor der Volksmenge in Jerusalem (Apg 22, 1-21), vor dem Hohepriester Hananias und dem römischen Statthalter Felix (Apg 24, 10-21) sowie vor dessen Nachfolger Festus und König Agrippa (Apg 26, 1-23). Die Verstocktheit14 des Volkes Israel gegenüber Moses und den Propheten (← Stephanus) wiederholt sich gegenüber dem Messias Jesus und seinen Aposteln15, wenngleich man sich mit der strengstgläubigen jüdischen Richtung der Pharisäer in der Auferstehungshoffnung trifft16. Zwischen den örtlichen römischen Behörden und der christlichen Gemeinde wiederum besteht Einvernehmen – römische Beamte werden als korrekt handelnde gezeigt17, sprechen Paulus und damit auch die Christen von den Vorwürfen der jüdischen Priester und Ältesten frei18; die Einheit unter dem Imperium Romanum dient der weltweiten Verbreitung der Heilsbotschaft, und bis zur Parusie (Apg 1, 11; 3, 20 f.) muss mit diesem ein Auskommen gefunden werden (Apg 28, 31)19. Auch heidnische Kultur, insbes. griechische Philosophie20 und Dichtung21 finden durchaus Aufnahme. Buße und Bekehrung (Apg 3, 19) sowie Vertrauen auf den Herrn22 sind Voraussetzung für Taufe und Sündenvergebung (Apg 2, 38), um von Christus, welcher den Heiligen Geist ausgießt (Apg 2, 33)23 und Herr über das Leben ist (Apg 3, 15; 5, 31), im Jüngsten Gericht (Apg 10, 42; 17, 31) als Glaubender (Apg 15, 11) dessen im AT angekündigte24 Auferstehung zu erlangen.

Die heilsgeschichtlichen Zusammenfassungen, verallgemeinernde Sammelberichte zu paradigmatischen Einzelereignissen, „Summarien“25 zeichnen ein idealisiertes Bild der frühen Urgemeinde (‚Goldenes Zeitalter – Motiv’), so etwa der Eigentumsverzicht des Barnabas (Apg 4, 36 f.) zugunsten der „Schar der Glaubenden“ als Ausdruck des Jerusalemer ‚Liebeskommunismus’ (Apg 4, 32-35). Volksversammlungen, Gerichtsszenen, Wirtschaftskämpfe und Handwerk, Tempeldienst und Philosophenschule, aber auch Vertreter aller sozialer Schichten sollen der Darstellung realistische, lebensnahe Züge verleihen: im Ganzen vermittelt die Apostelgeschichte das Bild, welches man sich am Ende des 1. Jh. von der Zeit der Apostel machte26.

Eine verlässliche Historie des Urchristentums, offenbar kein Bedürfnis der jungen Gemeinde, ist mithin aus der Apostelgeschichte nicht zu gewinnen, sie bleibt in ihrer literarischen Eigenart wie in ihrer Geschichtsversion ohne Nachahmung. Der Darstellung der paulinischen Mission in drei Missionsreisen – einzig Apg 27/28 schildern eine tatsächliche27 Seereise (mit Schiffbruch bei Malta28 Apg 27, 41 – 28, 2) – widersprechen die Paulus-Briefe, welche der Verfasser der Apostelgeschichte auch sonst nicht benutzt: der Theologe Paulus aus den Briefen (Gesetzeslehre) und der Missionar der Apostelgeschichte erweisen sich als zwei Personen29. Andererseits erhält die Apostelgeschichte im Verlauf der Kanonbildung des NT den Charakter einer (späteren) Klammer zwischen Evangelien und Briefen30.

Zusammen mit dem Lukas-Evangelium legitimiert die Apostelgeschichte die junge Gemeinde mittels ihrer apostolischen Tradition und Sukzession als Vertreterin Gottes auf Erden; das lukanische Doppelwerk gibt so „der Kirche in Form einer Historie ihrer Vergangenheit den Mythos ihrer Autorität“31.

 

*Arbeitskreis „Griechische Übergangslektüre(n)“ des DAV-Bundeskongresses vom 25.-29. März 2008 in Göttingen (dazu auch im Kongressbegleitheft S. 81). Der Einführungstext C. ist um einige Binnenpartien sowie den wissenschaftlichen Apparat (Belegstellen, Anmerkungen, Literatur) erweitert; die Ergebnisse von Diskussion und Gruppenarbeit sind aufgenommen.

 

Anmerkungen:   1Platon, Apologie 20e 6 – 23c 1; je nach ‚Kurslage‘ kann die Partie 21e 3 – 22e 5 auch von Schülerseite aus einer Übersetzung oder als kurze Inhaltsparaphrase gegeben werden. – 2Gesellschaftsaufbau, Gedankenfreiheit, Einstehen für die eigenen Erkenntnisse und Überzeugungen, um nur wenige zu nennen. Die Behandlung der Apostelgeschichte mit den Schülerinnen und Schülern steht unter historischen und literarischen Gesichtspunkten; theologische Gedankengänge der folgenden Einführung C. richten sich allein an die Lehrperson. – 3Diskussion bei O. Stählin 1180-83. Er spricht etwa in Apg 16, 9 f./16; 20, 13-15; 21, 1-18; 27 f. als zeitweiliger Begleiter des Paulus in der ersten Person (Norden 483), kaum quellentauglich; der in Phlm 24 erwähnte Lukas kommt als Verfasser ebenso wenig in Frage wie der „Arzt Lukas“ (noch bei Norden 482) aus Kol. 4, 14 und 2 Tim 4, 11, mit welchem der Lyoner Bischof Irenäus Ende des 2. Jh. die kirchliche Tradition begründet hatte (Haenchen 504). – 4Res gestae …; der seit dem Ende des 2. Jh. bezeugte Titel práxeis apostólōn (Norden 481) stammt nicht vom Verfasser. – 5Gottgewollt (← AT) Apg 4,28; 13, 27; 17, 3; 26, 22 f. – 6Weltmission des Paulus: Apg 13 f. „Vorspiel“ – Paulus und Barnabas, Apg 15 theologische und „kirchenrechtliche“ Basis für die Heidenmission, Apg 16-28 Paulusreisen. – 7Haenchen 502. – 8Auf dem Apostelkonzil erklärt sich Petrus selbst zum ersten Heidenmissionar (Apg 15, 7-11), die Befreiung der Nichtjuden vom Mosegesetz wird von Jakobus unter Auflagen (Apg 15, 20/29; 21, 25) bestätigt, das junge Christentum emanzipiert sich erstmals als eigene Religion neben dem Judentum (Wilckens 447). – 9Haenchen 502; Ereignisse des c. 10 werden in c. 11, 1-17 berichtet, teils wörtlich wieder aufgenommen (Apg 10, 9-16 = 11, 5-10). – 10Norden 482-85; O. Stählin 1179-83; Wilckens 391; Vielhauer 385-93; Conzelmann/Lindemann 271-73; Rengstorf/Stählin 265 f.; Dihle 224; zur Textüberlieferung Haenchen 501, Vielhauer 381 f. – 11Dibelius 64; Haenchen 504; Vielhauer 71, 388. – 12Wilckens 392. – 13Haenchen 503; Wilckens 456 f.; Scholl 101; „auch wir sind Menschen“ Apg 10, 26 (Petrus); Apg 14, 15 (Paulus u. Barnabas). – 14Gottgewollt Apg 28, 26-28. – 15Sie führt in der Folge zur Hinwendung zu den Heiden (Apg 13, 46; 18, 6; 19, 9; 28, 25-28). – 16Apg 23, 6-9; 24, 15; 26, 5-8. – 17Apg 16, 37-39; 18, 14-16; 22, 25-29; 23, 23-30; 24, 22 f.; 25, 4 f./18-21. – 18Apg 24, 24-26; 25, 25; 26, 30-32; 28, 18. – 19Dihle 223; auch die Katastrophe des J. 70, die Zerstörung des Tempels durch die Römer unter Titus, ist selbstverschuldete Folge der Unfähigkeit des Volkes Israel, die mit Jesus einsetzende Friedenszeit zu erkennen (Lk 19, 41-44). – 20Etwa Apg 7, 48-50; 17, 25 das stoische Ideal in der Bedürfnislosigkeit Gottes. – 21Apg 26, 14 = Eur. Bacch. 795; Apg. 17, 28 = Arat Phain. 5. – 22Apg 10, 43; 11, 17; 16, 31; 20, 21; 26, 18. – 23Vom Heiligen Geist erfüllt Apg 2, 2-4; 4, 31; 10, 10-16/44-46; 11, 5; 13, 9; 19, 6 – oder noch nicht Apg 8, 16. – 24Apg 1, 3; 2, 31; 13, 35. – 25Apg 2, 42-47; 4, 32-35; 5, 12-16. – 26Haenchen 505. – 27Möglicherweise aber doch auch nach einer außerchristlichen literarischen Vorlage: Norden 483; Dibelius 64; Vielhauer 392; Conzelmann/Lindemann 273. – 28Hierzu H.C.R. Vella: Quintinus (1536) and St. Paul’s shipwreck in Malta, in: Melita historica 8 (1980) 61-64. – 29O. Stählin 1181; Vielhauer 391 f.; Conzelmann/Lindemann 275 f. – 30Wilckens 391, anders Vielhauer. – 31Wilckens 392 f.; Vielhauer 406.

 

Literatur: KANTHAROS: Griechisches Unterrichtswerk, von W. Elliger, G. Fink, G. Heil, Th. Meyer (Stuttgart/Klett 1982 [ND]); PEGASUS: Das lateinische Lesebuch der Mittelstufe, bearb. von F. Maier (Bamberg/Buchners 2002 [Antike u. Gegenwart]); RAAbits – Impulse u. Materialien Latein, II: Übergangsphase/C: Lektüren 1 – Autoren 2: Phaedrus, Fabeln von S. Duscha (Stuttgart/Raabe 2007).

Novum Testamentum Graece, edd. E. Nestle et K. Aland (Stuttgart 251975); Lukas: Evangelium u. Apostelgeschichte, griechischer Text (Aland) mit Übersetzung [Lk: H. Rengstorf, Apg: G. Stählin] (München 1977); Das NT übers. u. komm. von U. Wilckens (Hamburg 1970); A. Harnack: Die Apostelgeschichte, in: Beiträge zur Einleitung in das NT III (1908); Ed. Norden: Die antike Kunstprosa vom 6. Jh. v. Chr. bis in die Zeit der Renaissance, Bd 2 (Leipzig/Berlin 21918 [ND]); GGrLit, bearb. von W. Schmid u. O. Stählin, Teil 2: Bd 2 (München 61924 [ND; HdA VII 2, 2]); M. Dibelius: Aufsätze zur Apg, in: Forschungen zur Religion u. Literatur des AT und NT 60 (1951); H. Conzelmann: Die Mitte der Zeit. Studien zur Theologie des Lukas, in: Beiträge zur historischen Theologie 17 (1954); E. Haenchen s.v. <Apostelgeschichte>, in: Die Religion in Geschichte u. Gegenwart, Bd 1 (Tübingen 31957); K. Löwith: Weltgeschichte u. Heilsgeschehen – die theologischen Voraussetzungen der Geschichtsphilosophie (Stuttgart 41961 [ND 2004]), 168-174; Ph. Vielhauer: Geschichte der urchristlichen Literatur (Berlin/New York 1975 [ND 1981]); H. Conzelmann, A. Lindemann: Arbeitsbuch zum NT (Tübingen 21976); A. Dihle: Die griechische u. lateinische Literatur der Kaiserzeit – von Augustus bis Iustinian (München 1989); N. Scholl: Lukas u. seine Apg – die Verbreitung des Glaubens (Darmstadt 2007).

 

Glossar:

Damaskuserlebnis: dem Saulus, welcher im Zuge der ersten systematischen Christenverfolgung diese über Jerusalem hinaus bis nach Syrien verfolgt, erscheint Christus, wirft ihn nieder und blendet ihn. Saulus erkennt seinen Herrn und erhält Anweisungen zur Taufe in Damaskus als künftiger Herold Jesu (Apg 9, 3 ff.).

Gesetz: Bezeichnung für die im Pentateuch, den 5 Büchern Mose, gesammelten, auf die Gottesoffenbarung am Sinai begründeten Weisungen, allgemeiner auch für die Mosebücher als Ganzes.

Hebräer: ursprgl. die Vorfahren Israels in Ägypten bis zum Auszug (Exod 5, 3), aber auch die Völkerschaften, die sich unter Saul gegen die Philister stellen (1 Sam 14, 21), später archaisierender Ehrenname für die Israeliten, welche die väterliche Lebensweise gegenüber dem Hellenismus bewahren; in Apg 6, 1 die in Palästina geborenen und ansässigen, aramäisch sprechenden Juden, im Unterschied zu den

Hellenisten: aus der Diaspora nach Jerusalem zurückgekehrten, griechisch sprechenden Juden mit eigener Synagoge (Apg 9, 29), die auch innerhalb der christlichen Urgemeinde eine Gruppe bilden (ihre Führer sind Stephanus und Philippus, Apg 6, 5).

Heidenchristen: im Unterschied zu den Judenchristen, welche sich den Weisungen des (Mose-)Gesetzes weiterhin verpflichtet sehen, stellen sich die Heidenchristen in die Linie der Gesetzeskritik Jesu und sehen das Gesetz für neu bekehrte Heiden nicht als verbindlich an. Nach Paulus (Röm 10, 4) ist Christus das Ende des Gesetzes als Heilsweg, an dessen Stelle Glaube und Freiheit treten (Gal 5, 1).

Heilsgeschichte: Heilshandeln Gottes an seinem Volk innerhalb der Weltgeschichte, im Judentum der Bund Jahwes bis zur Landnahme der Väter und Kultstiftung (um 1200 v. Chr.), im NT das Christusgeschehen bis zum Kommen des Menschensohns (Löwith).

‚Hütte Davids’: gemeint ist der jüdische Tempel in Jerusalem.

Itinerar: Aufzeichnungen der Paulusreisen mit Notizen über Reisestationen (Landschaften, Städte), Gastfreunde, Dauer oder Erfolge der Mission.

Jerusalemer ‚Liebeskommunismus’: nicht ganz unumstrittene (Haenchen 505) Charakterisierung des Zusammenlebens der frühen Urgemeinde mit Verzicht auf Eigentum, Gütergemeinschaft und  Verpflichtung zu wechselseitiger Fürsorge.

Kerygma: Predigt / Verkündigung der heilsschaffenden Botschaft von Jesus Christus.

Parusie: Wiederkunft Christi als Richter am Ende der Weltzeit (Mt 24; Lk 12, 35-48).

Pharisäer: jüdische Religionspartei seit dem 2. Jh. v. Chr., welche die strengen Reinheitsgesetze des AT auch im Alltag praktizierte, geführt von der Gruppe der Schriftgelehrten (‚mündliche Tora’ als Auslegung des Gesetzes für die Gegenwart mit Berufung auf Mose); auch in der Urgemeinde vertreten (Apg 15, 5), mit Messiaserwartung, Hoffnung auf Auferstehung der Toten (Apg 23, 6-9; 24, 14 f.) und auf Bestehen im Jüngsten Gericht durch Gesetzestreue und gute Werke.

Rezension: in der Textkritik das Bemühen, durch Abgleich unterschiedlicher überlieferter Lesarten wieder eine möglichst nahe an die Originalversion heranreichende Fassung eines antiken Textes zu erstellen.

Schriftbeweis: Erklärung von Gegenwärtigem aus seiner Ankündigung im AT.

Urchristentum: die neue Bewegung in ihren ersten beiden Generationen zwischen 30 und 100, noch unter dem zumindest indirekten Einfluss der Gründerfiguren und im Entstehungszeitraum der wichtigsten Schriften des NT. Der noch ganz im jüdischen Kult verankerten Urgemeinde unter der Leitung des Petrus und der Zwölf in Jerusalem (Apg 2-6) steht bald eine Gruppe von Griechisch sprechenden, gesetzeskritischen Diasporajuden gegenüber. Angehörige dieser ‚Hellenisten’ (Apg 6, 1, s.o.), Opfer der ersten Christenverfolgung unter Saulus nach dem Stephanus-Martyrium (Apg 8, 1 ff.), missionieren sodann in Judäa und Samaria (Philippus) und bis nach Antiochia in Syrien (Apg 11, 19 ff.), wo es zu einer gemischt juden- und heidenchristlichen Gemeinde und damit einem zweiten, hellenistischen Zentrum kommt. Dieses wird, endgültig abgesegnet im Jerusalemer Apostelkonzil d. J. 48, zum Ausgangspunkt der Heidenmission des Paulus und Barnabas.

 

D. Leitfragen – Leitaspekte einer Lektüre der Apostelgeschichte, mit Vorschlägen aus der arbeitsteiligen Sichtung und gemeinsamen Diskussion im Arbeitskreis; diese können den Bedürfnissen der Lerngruppe und den zeitlichen Vorgaben entsprechend zu einer je ‚individuell’ strukturierten Lektüresequenz ausgewählt und kombiniert werden:

  • Judenchristen – Heidenchristen – Hellenisten

Apg   6 : Trennung Hebräer – Hellenisten.

Apg  10, 34 ff.: Petrus zu den Heidenchristen (s.u.).

Apg  15 : Apostelkonzil – ta éthnē (12) – Beschluss mit Brief und Minimalforderung als Kompromiss (23-29).

Was interessiert (möglicherweise) die Schülerinnen und Schüler ?

Integration von ‚Fremden’ – Wie wichtig sind uns unsere eigenen Traditionen ? Wie gehen wir damit um, wenn Andere etwas für „unverzichtbar“ halten (z.B. Kopftuch) ? – Wie hältst Du es mit der Religion ?

  • Gemeindestrukturen – Gemeindeverfassung  

Apg 2, 44-47 Eigentumsverzicht; Apg 6, 1-6 Fürsorgepflicht; Apg 15, 6-22 Konzil.

  • Reden: a) Einbettung und Funktion für den Kontext – b) verschiedene Typen – [optional] c) ihre Theologie.

Pfingstpredigt des Petrus – Areopagrede (Missionspredigt) des Paulus – Paulus vor den Juden in Jerusalem (Apg 22, 1-21, Apologie).

  • Persönlichkeitszeichnung und –entwicklung(en)

Damaskuserlebnis Apg 9, 1-9: vom Saulus zum Paulus;

Apg 10, 34-48: Petrus’ Annahme (auch) der Heidenmission.

  • Neben-‚Helden’ der Apostelgeschichte. Frauen und ihre Rolle  

Philippus – Barnabas – Silas. Lydia (Apg 16, 13 ff.); hochgestellte Frauen unter der Zuhörerschaft des Paulus (Apg 17, 4. 12): Drusilla – Frau des römischen Statthalters Felix (Apg 24, 24), Berenike – Schwester des Königs Herodes Agrippa II. (Apg 25, 23 / 26, 30); Prophetinnen – Töchter des Hellenisten Philippus (Apg 21, 9).

  • Welche Wege nimmt die Mission (‚Schaltstellen’)  

Übergang nach Europa (Apg 16, 11 f.) → Griechenland, Malta → Rom (Apg 28).

  • Vertreter Roms und die neue Gemeinde  

Apg 10 Bekehrung des Centurio Cornelius; Apg 18, 1-17 in Korinth hält sich der Statthalter Gallio aus den innerjüdischen Streitigkeiten heraus.

Apg 22, 25-30 Gefangennahme und Prozess des Paulus: Bürgerrechtsfrage; Apg 25, 11 f.: Appellation an den Kaiser → Überstellung nach Rom.

  • Neue Religion („Der neue Weg“) und Altes Testament → Reden.
  • Heilungswunder der Apostel und Wunderzeichen Gottes, Visionen 

Apg 3, 1-10: Petrus und der Gelähmte; Apg 9, 36 ff.: Auferweckung der Tabitha – relativ ausführlich narrativ und ‚spektakulär’, darum exemplarisch.

Apg 12, 6-10: Befreiung des Petrus aus dem Gefängnis in Jerusalem durch den Engel des Herrn; Apg 16, 25 ff. des Paulus und Silas in Philippi durch ein Erdbeben.

Apg 9, 10-16 Vision des Hananias (zu Paulus); Apg 10, 9-16 des Petrus (zu Cornelius).

 

 E. Vorschläge für eine Lektüre-Reihe:

Apg. 1, 1-14:   Himmelfahrt Christi.

15-26:   Ansprache des Petrus an die Jünger (Tod  des Judas) und Erneuerung des Zwölferkreises durch Zuwahl des Matthias.

Apg. 2, 1-14:   Pfingstwunder.

14-36:   Pfingstpredigt des Petrus an die Juden von Jerusalem (Auferstehung und Erhöhung Jesu, Ausschüttung des Heiligen Geistes – als Erfüllung der at-lichen Joel- und David-Prophetie).

37-47:   Wirkung auf die Juden: erste christliche Gemeinde in Jerusalem.

Apg. 6, 8-15:   Auftreten und Wirken des Stephanus (7, 2-53 Predigt des Stephanus wider das Judentum zur Väter- und Prophetenzeit des AT – ohne Bezug zur aktuellen Situation, der Anklage vor dem Hohen Rat, dem Synhedrion).

7, 54-60:   Stephanus erster Märtyrer: Steinigung (mit Billigung des Saulus).

8, 1-3:    Erste Christenverfolgung durch Saulus in Jerusalem.

Apg. 9, 1-30:   Damaskuserlebnis: von Saulus zu Paulus; Beitritt zum   Apostelkreis.

Apg. 10, 34-47:   Bekehrung des ersten Heiden – des römischen Centurio (10, 1) Cornelius – durch Petrus: Erkenntnis der gottgewollten Heidenmision auch bei Petrus und gegenüber den anwesenden Judenchristen.

11, 1- 4a:   Verteidigung des Petrus vor den Judenchristen in Jerusalem und

11-18:   Bekenntnis zur Heidenmission.

Apg. 15, 6-33:   Apostelkonzil in Jerusalem: ‚Absegnung’ der gesetzesfreien Heidenmission.

Apg. 17, 22-31:   Areopagrede: christlicher Glaube und griechische Philosophie.

Apg. 22, 1-21:   Verteidigungsrede des Paulus vor den Juden in Jerusalem und Begründung seines Auftrages zur Heidenmission.

Apg. 25, 7-12:   Antrag des Paulus auf Appellation vor dem Kaiser in Rom.

Apg. 27, 39 – 28, 6:   Schiffbruch vor Malta, Rettung und ‚Schlangenwunder’ – Ankunft im Abendland.